Gründerin über „Broligarchie“: „Boykott ist wieder eine Option“
Aya Jaff über Ungleichheit, die Macht der Tech-Elite und wie sie sich bekämpfen lässt. Europa hat die Werkzeuge – es fehlt nur die Entschlossenheit.
taz: Frau Jaff, Sie sprechen in Ihrem Buch von einer Broligarchie, einer digitalen Form der Oligarchie, in der Tech-Eliten über Daten und Plattformen enorme Macht gewinnen. Was unterscheidet sie von der klassischen Oligarchie?
Aya Jaff: Neu ist, womit dieses Vermögen aufgebaut wurde: mit Plattformen, Daten und Skalierung. Tech ist das neue Öl. Damit lassen sich heute Diskurse und politische Stimmungen viel direkter beeinflussen. Das ist eine Form von Vorherrschaft, die tiefer eingreift als frühere Industrien.
taz: Sie waren selbst Teil dieser Tech-Welt. Was hat Sie erstmals daran zweifeln lassen?
Jaff: Ich habe zwei Start-up-Ideen beendet, obwohl sie wirtschaftlich vielversprechend waren. Eine Digital-Health-Idee habe ich gestoppt, nachdem mir Ärzt:innen erklärt haben, dass die Anwendung eher Unsicherheit erzeugt. Beim zweiten Projekt, einem automatisch generierten KI-Podcast, wurde mir klar, wie gefährlich Halluzinationen sein können, also von der KI ausgespuckte falsche Informationen, die sehr überzeugend klingen. Als ich Bedenken äußerte und keine Trainingsdaten von Anbietern mit fragwürdigen Arbeitsbedingungen beziehen wollte, war ich für Investor:innen sofort „schwierig“. Dieser Moment hat viel verändert.
taz: In Ihrem Buch beschreiben Sie ein Start-up-Bootcamp im Silicon Valley, eine Art Intensivprogramm für Gründer:innen. Sie nennen manche Elemente darin „sektenartig“. Was meinen Sie damit?
Jaff: Ich war mit 18 in einem Start-up-Programm des Silicon-Valley-Investors Tim Draper, das sehr sektenähnliche Züge hatte: feste Rituale, tägliche Bekenntnisse und extreme Gruppendynamiken. Wir mussten täglich einen „Superhero Oath“ aufsagen: „I will promote freedom at all costs“. Später wurde klar: Gemeint war vor allem Freiheit von Regulierung oder demokratischer Kontrolle. In der Survival Week gab es eine Übung, bei der wir unter Gruppendruck ein Huhn töten sollten – als Metapher dafür, dass ein „starker Gründer“ jede Entscheidung konsequent durchzieht.
ist Tech-Unternehmerin und analysiert die Machtstrukturen der digitalen Ökonomie. Ihr Buch „Broligarchie“ über die neue Macht der Tech-Elite ist gerade bei Econ erschienen.
taz: Wann wurde Ihnen klar, dass Sie diese Tech-Ideologie grundsätzlich hinterfragen müssen?
Jaff: Als ich rausgezoomt habe. Ich habe meinen Algorithmus radikal geändert, mich mit anderen Stimmen beschäftigt, etwa mit dem Unternehmer Sebastian Klein, der viel über Ungleichheit und alternative Wirtschaftsmodelle schreibt. Darüber habe ich eine Welt entdeckt, in der über Ungleichheit, Reichtum und Alternativen gesprochen wird.
taz: In Virginia entstehen ganze Landschaften aus Rechenzentren, ohne dass Gemeinden über den Bau informiert werden. Was zeigt dieses Beispiel über die neue Machtordnung?
Jaff: Genau das ist das Bild der neuen Ökonomie. Staaten und Tech-Konzerne arbeiten eng zusammen, und gebaut wird Infrastruktur, die am Ende vor allem den großen Plattformen dient. Die Machtfrage ist damit nicht theoretisch: Wer Rechenleistung kontrolliert, kontrolliert auch, welche KI möglich ist.
taz: Kann man diese Machtkonzentration überhaupt noch demokratisch brechen? Oder hat sich die KI-Ökonomie bereits verselbständigt?
Jaff: Sie muss brechbar sein. Und es gibt dafür Hebel. Der Google–Idealo-Fall zeigt, dass Big Tech verwundbar ist.
taz: Das Landgericht Berlin hat Google kürzlich verurteilt, weil der Konzern in seiner Suchmaschine die eigenen Dienste bevorzugt und Idealo benachteiligt hat.
Jaff: Idealo soll deswegen über 465 Millionen Euro Schadensersatz bekommen. Solche Urteile tun weh, viel mehr als jeder Imageverlust. Die Macht politisch zu begrenzen, ist schwieriger, weil Konzerne wie Google oder Meta global agieren und mehr Ressourcen haben als viele Staaten. Regulierung ist deshalb langsamer als die Machtverschiebung. Aber ohne sie kann Demokratie im digitalen Raum nicht funktionieren.
taz: Was bedeutet für Sie digitale Souveränität?
Jaff: Dass Infrastruktur und Daten dort kontrolliert werden, wo demokratische Kontrolle möglich ist. Europa hat die Werkzeuge: den Digital Markets Act, den AI Act, Open-Source-Alternativen. Es fehlt nur der politische Wille, sie konsequent zu nutzen. Die Frage ist nicht technisch, sondern politisch.
taz: Sie sprechen im Buch von kultureller Gegenmacht. Was kann Kultur dieser Tech-Logik konkret entgegensetzen?
Jaff: Kulturelle Gegenmacht entsteht dort, wo dominante Tech-Narrative gebrochen werden. Wenn Billie Eilish während einer Preisverleihung Milliardäre wie Marc Zuckerberg fragt: „Why are you a billionaire?, erreicht das Menschen, die sonst keine politischen Essays lesen. Und man sieht es auch im Konsum: Viele meiden heute bewusst Produkte und Plattformen wie Shein oder Spotify, weil sie Ausbeutung oder Ungleichheit reproduzieren. Boykott ist wieder eine Option. Das zeigt, dass Leute nicht mehr alles mitmachen, was ihnen als Fortschritt verkauft wird.
taz: Sie warnen im Buch vor Identitäts- und Überwachungssystemen. Welche Rolle spielt das Datenanalyse-Unternehmen Palantir in dieser Verschiebung von Macht?
Jaff: Bei Palantir sieht man sehr deutlich, wie problematisch es wird, wenn private Unternehmen sicherheitsrelevante Daten verarbeiten. Das Unternehmen arbeitet mit Polizei und Militärbehörden, und genau dort zeigen sich die Risiken: Entscheidungslogiken, die tief in Grundrechte eingreifen können, werden als Effizienz verkauft, oft ohne echte öffentliche Debatte.taz: Wenn KI so viel Aufmerksamkeit bekommt – warum bleibt die Kontrolle über Rechenzentren, Daten und Chips so unsichtbar?
Jaff: Wir reden oft über KI, aber viel zu wenig über die Infrastruktur dahinter. Rechenzentren, Datensätze, Chips, all das kontrollieren wenige Unternehmen wie Palantir, Google oder Amazon. Und diese Entscheidungen wirken tief in gesellschaftliche Prozesse hinein.
taz: Was macht Ihnen an dieser Entwicklung am meisten Angst?Jaff: Die schleichende Machtkonzentration. Dass Rechte Stück für Stück abgebaut werden – zuerst für queere Menschen, Migrant:innen und Frauen – und dass es irgendwann schwer wird, überhaupt noch zu protestieren. Das passiert nicht auf einen Schlag. Es passiert, wenn Macht immer weiter in den Händen weniger liegt, auch, weil Plattformen und Infrastrukturen bestimmen, wie Informationen fließen und welche Stimmen überhaupt sichtbar bleiben.
taz: Und was wäre die eine Veränderung, die wirklich etwas ausrichten würde?Jaff: Höhere Steuern für Superreiche. Ganz einfach. Die Broligarchie ist nur ein Kapitel eines viel größeren Problems: extreme Vermögenskonzentration. Wenn wir Ungleichheit nicht angehen, wird sich nichts ändern, egal, wie viel wir über KI, Tech oder Regulierung reden.
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