Britischer Musiker Alabaster DePlume: Die vielen Zimmer des Jazz
Hippiesk, aber nicht verspult: „Gold“ ist das neue Folk-Pop-Jazz-Album des umtriebigen britischen Künstlers Alabaster DePlume.
Der Künstlername des britischen Saxofonisten, Sängers und Gitarristen Angus Fairbairn klingt ausgesucht bescheuert. Er sei von Manchester nach London gegangen, um als Alabaster DePlume ein anderer zu werden, hat Fairbairn in einem Interview erzählt.
Um in der Folge eine ganze Reihe Alben aufzunehmen, die hierzulande weitgehend unbemerkt geblieben sind. 2020 erschien dann auf dem US-Jazzlabel International Anthem „To Cy & Lee: Instrumentals Vol. 1“ und wurde reihum abgefeiert. Eine Trost spendende, in sich ruhende Musik, in der Jazz- und Folkstandards immer wieder aufscheinen, aber nie wirklich ausgespielt werden.
Folk war das auch in dem Sinne, dass es Alabaster DePlume immer um the people geht – seine Mitmusiker:innen, das Publikum, das auf Konzerten von ihm gerne für seine schiere Existenz gelobt wird, obwohl es eigentlich nur dasitzt, überhaupt Menschen, die einem begegnet sind.
Im Fall von Cy und Lee waren das zwei junge Erwachsene mit Lernbehinderung, die DePlume in seinem damaligen Beruf als psychiatrische Pflegekraft in Manchester kennengelernt hatte und die sehr gerne gemeinsam mit ihm gesungen haben sollen. Die Stücke auf „Instrumentals Vol. 1“, das seien eigentlich ihre Melodien.
Go Forward
Auf seinem neuen Album „Gold“, das in vollem Ernst den Untertitel „Go Forward in the Courage of Your Love“ trägt, kommt stilistisch alles zusammen, was Alabaster DePlume bislang auf verschiedenen Platten verteilt hatte: Jams („Fucking Let Them“, „Visitors XT8B – Oak“), Gospelartiges („The Sound of My Feet on This Earth Is a Song to Your Spirit“, „I Am Good at Not Crying“), Spoken-Word-Stücke („I Will Not Be Safe“), Folk („I’m Gonna Say Seven“) und eben Jazz. 18 Songs in immer wechselnden Besetzungen.
Man kann Jazz als Genre definieren, dann sind die Grenzen eher eng, aber immerhin klar gezogen. Oder man versteht Jazz als Produktionsprinzip. Menschen spielen zusammen, in immer wieder neuen Kombinationen, improvisieren und lassen einander dabei möglichst Raum. Wenn einer der Musiker:innen dann noch hin und wieder in ein Saxofon bläst, ist die Definition leichter, aber entscheidend ist es nicht.
Auch wenn DePlume mal mit Akustikgitarre den Singer-Songwriter gibt, mal gemeinsam mit dem britischen Synthesizerkünstler Danalogue ein Album mit knarziger Electronica fabriziert, ist das immer alles Jazz. Wie also beschreibt man diese Musik, ohne einfach von Crossover oder so etwas zu sprechen?
Vielleicht mit einem Kitschbild: Das Haus von Alabaster DePlume hat viele Zimmer, und die Türen stehen alle offen. In den Zimmern finden Menschen zusammen und machen Musik, gehen wieder auseinander, meistens klingt es wundervoll, manchmal auch nervtötend verschroben.
Den Raum mit Liebe füllen
Auf „Gold“ singt Alabaster DePlume wieder, und damit scheint stärker auf, was in den Instrumentals atmosphärisch mitschwingt. Es ginge ihm darum, „den Raum mit Liebe zu füllen“, sagt Angus Fairbairn, und seine glaubwürdige Kunstfigur Alabaster DePlume ist ohne Zweifel ein Hippie, vielleicht der letzte, der es wirklich ernst meint und dabei große Kunst produziert.
Wenn es so etwas wie Hippietum heute noch geben kann, dann so: unironisch, aber sehr komisch und im Wissen um das agierend, was am Hippietum schrecklich war und ist. Das Gruselige am indifferent Weltumarmenden wird von Alabaster DePlume im Verbund mit seinen Mitmusiker:innen aufgelöst in einer Performance, die Albert Aylers Idee, „music“ sei nicht nur eine, sondern die „healing force of the universe“, realisieren will.
In seltsamen Folk-Pop-Jazz-Vermischungen, die das Publikum Liebe und Selbstliebe lehren wollen. „I remember my identity / I remember my shame“, singt DePlume im Song „Don’t Forget You’re Precious“. „I remember the german word for calculator / But I forget that I’m precious.“
Das alles kann in seiner bedingungslosen Menschenliebe und Schratigkeit auch anstrengend wirken. Aber verspult ist diese Musik nicht. Alabaster DePlume weiß immer, wohin er will, auch konzeptuell. „Taschenrechner / They can’t beat us / They can’t beat us if we don’t forget / They can’t use us on one another if we don’t forget we’re precious.“ Vielleicht ist die naheliegende Hörerreaktion, das sei doch Hippiekacke, auch einfach nur Abwehr dieses sanften Einspruchs gegen Härte und Selbstverhärtung.
Alabaster DePlume: „Gold“ (International Anthem/Rough Trade)
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