Britische Arbeitsministerin Amber Rudd: Rücktritt im Zorn
Amber Rudds Verhältnis zu Boris Johnson zeichnete sich seit dem Brexit-Referendum durch gegenseitige Abneigung aus. Sie hat diverse Krisen hinter sich.
Das Erstaunlichste am Rücktritt von Amber Rudd ist, dass sie jemals Ministerin unter Boris Johnson war. Die beiden verbindet ein Verhältnis gegenseitiger Abneigung seit dem Brexit-Referendum von 2016, als Johnson die Brexit-Kampagne anführte und die europafreundliche Energieministerin Rudd ihm zwei Wochen vor der Abstimmung in einer TV-Debatte bescheinigte, er sei „die Stimmungskanone auf der Party, aber man möchte nicht von ihm danach nach Hause gefahren werden“ – eine ungehörige Spitze in einem bis dahin höflichen Wahlkampf, der sich davon nie erholte.
Ihre nächste Sternstunde hatte Amber Rudd im Parlamentswahlkampf 2017. Sie vertrat in einer Fernsehdebatte Theresa May, die gerade keine Lust hatte, und machte so deutlich eine bessere Figur, dass sie seitdem als potenzielle Nachfolgerin gehandelt wurde. Aber ihre Karriere endete stattdessen abrupt im April 2018, als sie als Innenministerin verantwortlich für den sogenannten „Windrush-Skandal“ zeichnete – die unmenschliche Politik, schwarze Altimmigranten aus der Karibik von staatlichen Leistungen auszuschließen und sogar zu deportieren, wenn sie ihr bis dahin nie angezweifeltes Aufenthaltsrecht nicht nachweisen konnten.
Als der Guardian Rudd überführte, entgegen ihren eigenen Angaben ihrem Ministerium Zielvorgaben zur Zahl von Ausweisungen illegaler Immigranten gemacht zu haben, musste sie gehen. Erst im November holte Theresa May sie als Arbeitsministerin zurück, um die ungeliebte neue Sozialhilfestruktur „Universal Credit“ zu reformieren.
Amber Rudd hat den schillernden Hintergrund, den man von konservativen Führungspersönlichkeiten erwartet: Tochter eines Börsenmaklers und einer Richterin, direkter Nachkomme des Königs Charles II. aus dem 17. Jahrhundert, entfernte Kusine der Queen. 1963 geboren, leitete sie mit 24 ihre erste Firma. Sie ist als Statistin im Film „Four Weddings and a Funeral“ zu sehen, sie heiratete den preisgekrönten Journalisten A. A. Gill. 2005 ging sie in die Politik, und seit 2010 hält sie den südenglischen Küstenwahlkreis Hastings & Rye für die Konservativen. Unter David Cameron stieg sie zur Energieministerin auf, bis May sie weiter beförderte.
Rudd war vor sechs Wochen die einzige Ministerin des May-Flügels, die Boris Johnsons Machtübernahme überstand – die anderen traten alle zurück oder wurden entlassen. Manche hielten sie wegen ihrer Nähe zum ehemaligen Finanzminister Philip Hammond für ein U-Boot des Pro-EU-Lagers in Johnsons Kabinett. Nachdem vergangene Woche Hammond und andere aus der konservativen Fraktion ausgeschlossen wurden, konnte auch Rudd nicht mehr bleiben. In ihrem Rücktrittsschreiben an Boris Johnson sprach sie von einem „Angriff auf Anstand und Demokratie“ und erklärte: „Ich kann diesen Akt des politischen Vandalismus nicht unterstützen.“
Amber Rudd tritt daher auch aus der Fraktion aus. Aber sie bleibt eine „stolze Konservative“. Mal sehen, was ihr das bei den kommenden Neuwahlen bringt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative