„Bring Her Back“ von den Philippous: Hochglanzhorror im Leerlauf
Traumatisierte Geschwister und eine Pflegemutter mit finsteren Absichten: Danny und Michael Philippou setzen in „Bring Her Back“ auf Schreckbilder.

Ein langsamer Spannungsaufbau und leise Andeutungen gehören nicht zum Repertoire der Regiebrüder Danny und Michael Philippou. Schon in der Eröffnung ihres zweiten Langfilms, kündigt sich das Grauen ab, dem ihre beiden jugendlichen Hauptfiguren ausgeliefert sein werden. Körniges Videomaterial, entblößte Körper, ein Salzkreis und beschwörendes Flüstern in fremder Zunge – „Bring Her Back“ beginnt wie ein dunkles Ritual.
Als Andy (Billy Barratt) und seine jüngere Stiefschwester Piper (Sora Wong) wenig später ihren Vater tot im Badezimmer vorfinden, damit zu Waisen werden und schließlich in fremde Obhut geraten, lässt sich aber auch ohnedies schnell erahnen: In Laura (Sally Hawkins) werden sie keine liebevolle Pflegemutter finden, und in ihrem abgelegenen Landhaus keinen Ort der Geborgenheit.
Zwar empfängt die Frau die beiden mit überschwänglicher Herzlichkeit und wirkt geradezu weich in dem wallenden Ensemble aus Wolle, das sie trägt. Doch gleich darauf greift sie zum Smartphone des fast volljährigen Andy, arbeitet sich nonchalant durch seine Nachrichten, drängt sich auf einem hastig aufgenommenen „Jetzt sind wir eine Familie“-Foto in den Vordergrund und erzählt, kaum dass sie den ausgestopften Familienhund präsentiert hat, vom Verlust ihrer eigenen Tochter.
Die, wie Piper, übrigens sehbeeinträchtigt war und ihr ohnehin erstaunlich ähnelte. Spätestens als dann noch ein verstört dreinblickender Junge (Jonah Wren Phillips) auftaucht, um den sich Laura schon seit längerer Zeit „kümmert“, der seine Sprache verloren hat und seltsam ausgemergelt aussieht, verdichtet sich der Verdacht. Gemeinsam mit dem vielsagenden Filmtitel und dem okkulten Auftakt lässt es sich geradezu nicht mehr übersehen, in welch sinistre Richtung sich Lauras gar-nicht-mal-so-gut verborgene Absichten bewegen.
„Bring Her Back“. Regie: Danny Philippou, Michael Philippou. Mit Sally Hawkins, Billy Barratt u.a. Australien/USA 2025, 100 Min.
Mit Splatter und Slapstick wurden die Regiebrüder bekannt
Danny und Michael Philippou, die sich zuerst als „RackaRacka“ mit grotesk überzeichneten, zwischen Splatter und Slapstick changierenden YouTube-Videos einen Namen machten, nutzen diese Ausgangslage für ein nervenzerrendes Katz-und-Maus-Spiel zwischen Laura und Andy. Weil dieser bald das Sorgerecht für seine Stiefschwester beantragen möchte, versucht sie den ohnehin traumatisierten Teenager psychisch zu manipulieren und seine eigentlich gute Beziehung zu Piper zu sabotieren.
Was dabei entsteht, ist ein vor allem aus effektiv inszenierter Gewalt erwachsender Horror. Manche Szene überschreitet das genreübliche Maß an Grausamkeit, die Schockmomente verfehlen ihre Wirkung nicht – und doch hinterlassen sie kaum einen nachhaltigen Eindruck. Denn obwohl das australische Regiegespann immer wieder mit tieferliegenden Themen kokettiert, Trauer, Schuld und Verlust streift, gelingt es „Bring Her Back“ nicht, zu einer psychologisch, gesellschaftlich oder gar philosophisch interessanten Ebene vorzudringen.
Handwerklich ist das präzise gearbeitet, wie auch schon das Debüt „Talk to Me“, das von Jugendlichen erzählt, die mit Séancen experimentiert. Während sich jener Film aber noch zu dem bekannte, was er ist, und aus seiner Prämisse eher spaßiges als existenziell aufgeladenes Horrorkino formte, gibt „Bring Her Back“ lange vor, mehr zu wollen – ohne dass vage Motive zu einem tragfähigen Gedanken ausgearbeitet würden.
Empfohlener externer Inhalt
Ein Film, der Tiefe nur wie eine Kulisse mit sich führt, erzeugt unweigerlich eine gewisse Ernüchterung. Hier ist sie umso größer, als dass kaum ein anderer Horrorfilm dieser Kinosaison mit vergleichbarer Spannung erwartet wurde. Beflügelt von ersten US-Kritiken und einer beeindruckenden Präsenz in den sozialen Medien, wurde „Bring Her Back“ schon lange vor dem deutschen Start als herausragendes Genreereignis gehandelt – und entsprechend durch A24, die das Werk in den USA in die Kinos bringen, beworben.
Begleitet von einer durchorchestrierten Erwartungswelle
Hier scheint sich ein Muster abzuzeichnen: Ein neuer Horrorfilm, produziert oder vertrieben von den angesagten Indie-Schmieden A24 oder Neon, begleitet von einer durchorchestrierten Erwartungswelle – doch immer öfter mündet der mediale Sog in einer Enttäuschung. Nicht nur, weil das Kinoerlebnis dem Pathos seiner Ankündigung nicht standhält. Sondern auch, weil im Film selbst ein großer ästhetischer Aufwand betrieben wird, ohne die eröffneten Bedeutungsräume tatsächlich zu betreten.
Erst im vergangenen Sommer spielte sich mit Oz Perkins' „Longlegs“ und Tilman Singers „Cuckoo“, beide von Neon vertrieben, eine sehr ähnliche Entwicklung ab. Bedauerlich ist das – auch, weil es die stärkere Präsenz von A24 als stilprägendes Studio selbst war, die ab Mitte der 2010er Jahre eine neue Welle an Horrorfilmen wie Robert Eggers' „The Witch“ (2015) oder Ari Asters „Midsommar“ (2019) hervorbrachte, die sich existenzieller Fragen annahmen.
Das jüngere Neon wurde zum komplementären Gegenstück, das deutlicher auf radikal-körperliches Kino à la Julia Ducournaus „Titane“ (2021) setzte, oft verbunden mit einem gesellschaftskritischen Interesse an Gender und Gewalt. Inzwischen aber mehren sich die Anzeichen, dass der Trend dessen, was oft als „Elevated Horror“ oder „Art Horror“ bezeichnet wird, seinen Höhepunkt bereits überschritten hat. „Bring Her Back“ jedenfalls reiht sich nahtlos in diese Dramaturgie ein.
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