Brigitte Bierlein folgt auf Kurz: Österreichs erste Kanzlerin
Nach dem Misstrauensvotum gegen Sebastian Kurz wird Brigitte Bierlein Kanzlerin des Übergangskabinetts. Zuvor war sie oberste Verfassungsrichterin.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen sorgte Donnerstagnachmittag für eine Überraschung, als er an der Seite der Spitzenjuristin durch die berühmte Tapetentür in der Wiener Hofburg trat. Die Gerüchteküche hatte ganz andere Namen für den interimistischen Regierungschef in Umlauf gebracht.
Bierlein, geboren 1949 in Wien, hatte erst mit einem Kunststudium geliebäugelt, legte aber dann mit 26 die Richteramtsprüfung ab, mit 28 Jahren wurde sie zur Staatsanwältin ernannt, mit 41 zur Generalanwältin und zehn Jahre später wählten sie die Staatsanwälte zur Vorsitzenden ihrer Standesvertretung. Sie erklärte ihre steile Karriere damals mit einem „gewissen gesunden Ehrgeiz“, gepaart mit „viel Spaß an der Arbeit“.
Ihre Ernennung zur Vizepräsidentin des Verfassungsgerichtshofs 2003 wurde von der SPÖ zunächst bekämpft. Die „stramme Konservative“ habe keine Erfahrung im Verfassungsrecht. Vergangenes Jahr stieg sie schließlich mit der Pensionierung von Gerhart Holzinger zur Präsidentin des Höchstgerichts auf.
Gut vernetzt
Obwohl sie als ÖVP- und sogar FPÖ-affin gilt, zeigte Bierlein vergangenes Jahr ihre Unabhängigkeit. Die vom damaligen Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) geplante Sicherungshaft für Asylwerber sah sie als „klassischen Fall von Anlassgesetzgebung“, der Schutz der persönlichen Freiheit sei in der Verfassung geregelt, die Präventivhaft nicht kenne. Sonst hielt sie sich mit politischen Aussagen zurück. Im vergangenen April betraute man sie mit der heiklen Leitung einer Sonderkommission zur Klärung der Vorwürfe gegen die Ballettschule der Wiener Staatsoper, wo Elevinnen von einer Lehrerin geschunden und zu Hungerkuren gezwungen worden sein sollen.
Bierlein, die in ihrer Freizeit gerne in der Ägäis segelt, fiel immer durch ihre modisch-elegante Kleidung auf. Mit ihrem Lebensgefährten, einem pensionierten Richter, sieht man sie auch häufig in der Oper und im Theater.
Dass die kinderlose Juristin gut vernetzt ist, bewies sie schon bei ihrer Präsentation am Donnerstag, als sie bereits zwei Namen für das Übergangskabinett nannte, obwohl sie nach eigener Aussage nur wenige Stunden Bedenkzeit hatte. Sie will dem Bundespräsidenten nun Personen vorschlagen, die „fachliche Expertise und politische Sensibilität mitbringen“. An den Verfassungsgerichtshof wird sie wohl nicht zurückkehren. Ende des Jahres winkt ihr dort bereits der Ruhestand.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee