Briefwechsel: "Benedikt, du faules Yak!"
Von Heiligkeit zu Heiligkeit: Der Dalai Lama hat einen persönlichen Hilferuf an Papst Benedikt XVI. verfasst - den eigentlichen Oberhirten unserer Breiten.
Lieber Benedikt,
ich brauche dich wohl nicht "Heiliger Vater" zu nennen, wir sind schließlich unter uns, wäre auch albern, bei dem geringen Altersunterschied. Übrigens geht auch mir die Anrede "Eure Heiligkeit" inzwischen ziemlich auf die Nerven. Lassen wir also die Formalitäten - ich wende mich mit einem Hilferuf an dich. Jetzt bald zehn Tage Deutschland haben mir den Rest gegeben. Ich bin am Ende, und glaube mir, meine mehrstündigen Meditationen täglich dienen inzwischen nicht zuletzt dem Zweck, mir das nicht anmerken zu lassen. Benedikt, du musst mehr ran! Ich bin überfordert.
Ich bin doch nur ein einfacher Mönch aus Tibet, viel zu früh von der Mutter getrennt, aufgewachsen im eiskalten Potala-Palast in der abgelegensten Gebirgsregion der Erde. Ich musste mich mein Leben lang zusammenreißen. Und nun das: Tausende gebildeter, wohlgenährter Deutscher lauschten in den vergangenen Tagen meinen Worten und ersehnten sich Erlösung. Ich sah die hohen Erwartungen in ihren hungrigen Augen, schon wenn ich die Bühne mit dem Thron im Hintergrund betrat. Am liebsten wäre ich gleich wieder verschwunden, abgegangen, und hätte mir einen netten Nachmittag inkognito auf einem eurer Rummel gemacht.
Aber das konnte ich nicht, schließlich erhofften die Leute von mir Ratschläge, sogar über Gentechnik. Obwohl ich davon doch kaum eine Ahnung habe.
Um jetzt mal direkt zu werden, und du weißt, wie schwer mir das fällt als Buddhist: Benedikt, warum gehst du eigentlich nicht mehr ran an die Leute? Du bist doch von hier. Warum muss ich jetzt die ganze Arbeit machen - ich, ein exilierter Mönch aus einer fernen, bitterarmen Gebirgsregion? Ich bin in Deutschland inzwischen sogar beliebter als du, das haben Umfragen ergeben. Benedikt, du faules Yak. Okay, ich will jetzt nicht einen meiner berühmten Wutanfälle kriegen. Om mani padme hum! Aber ist das nicht die letzte, die frechste Form von Kolonialismus, Mönche aus dem Himalaja vor wohlständigen Westlern auftreten zu lassen wie spirituelle Hofnarren?
Nicht mal von den hohen Eintrittsgeldern habe ich was, denn die Freuden der Westler wie flotte Autos, gut geschnittene Klamotten und willige Frauen darf ich als Oberspiritus nicht genießen, weil mein Image dann so schnell dahinschmölze wie ein Flöckchen Butter im Tee. Ihr habt mich in mein Image eingekerkert. Und das nur weil du, Benedikt, hier im Westen so einen schlappen Job machst. Du gibst den Leuten zu wenig an die Hand, um mit der Sorge um die Rente, dem Verlöschen der Liebe und dem Welken des Körpers besser klarzukommen.
Benedikt, ich weiß, die Menschen im Westen trauen dir nicht. Kein Wunder, wenn man seine Zeit damit verschwendet, die Verwendung von Kondomen zu geißeln und das sexlose Leben der Geistlichen ebenso zu verteidigen wie die Tatsache, dass Frauen keine Priester werden können. Dabei müssen auch im Buddhismus die Mönche ohne Sex auskommen. Nur hängen wir das nicht so an die große Glocke. Und die Sache mit den Frauen, die Nonnen werden wollen - nun, der Debatte kann ich mich nicht entziehen, seis drum, dann machen wir das eben mit.
Benedikt, an solchen Fragen darf man sich nicht festkämpfen. Was die Leute wollen, ist spiritueller Halt, keinen Streit um weltlichen Schnickschnack. Die Menschen brauchen ein bisschen Trost, weil sie merken, wie vergänglich alles ist. Deswegen machen diese alternden Hollywoodstars so viel Werbung für mich, die leiden nämlich besonders darunter, dass es mit dem Ruhm so schnell zu Ende geht.
Und, Benedikt, nach einem Leben harter Arbeit nach dem Tode das Paradies zu versprechen - also, das glaubt dir keiner mehr. Das Inaussichtstellen eines Paradieses ist durch die Anwerbung von islamistischen Selbstmordattentätern ohnehin etwas in Verruf gekommen. Unsere Idee mit der Seelenwanderung bietet da mehr Wahlmöglichkeiten. Das nur als Anregung.
Vielleicht solltest du auch eure Gebetstechniken ein bisschen modernisieren, nicht mehr so viel reden von Schuld und Sünde. Positive Suggestionen! Die helfen, sagt doch inzwischen sogar die Hirnforschung. Du musst dich mehr um den linken präfrontalen Hirnlappen kümmern. Da sitzt nämlich die gute Stimmung. Hat man bei Meditierenden festgestellt.
Also Benedikt, für mich wäre es eine große Entlastung, wenn du mal über ein paar Erneuerungen nachdenken würdest, die dich als geistlichen Führer für den Westen nach vorne brächten. Dann könnte ich endlich unauffällig in den Ruhestand gehen, anstand als spiritueller Importartikel weiter durch den Westen tingeln zu müssen. Ich allein schaffe den Job des Seelenhelfers jedenfalls nicht. Bin doch nur ein einfacher Mönch, der zum Glück am Sonntag endlich Deutschland wieder gen Himalaja verlassen kann.
Herzliche Grüße,
dein Lhamo Dondup aka Tenzin Gyatso aka Dalai Lama
GHOSTWRITING: BARBARA DRIBBUSCH
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers