Briefkastenfirmen in Deutschland: Die Schweiz in Schönefeld
Die Gemeinde Schönefeld bei Berlin ist eine Hochburg der Briefkastenfirmen. Ein konkurrenzlos niedriger Gewerbesteuersatz zieht sie magisch an.
Was die Lindenpassage von anderen Einkaufszentren unterscheidet, ist, dass sie neben den Dingen des täglichen Bedarfs auch noch ein internationaler Business-Hub ist. Mehr als 35 Unternehmen haben hier ihren Sitz. Immobilienfirmen, die Grundstücke weit außerhalb Berlins managen, Vermögensverwalter:innen und sogar eine international agierende Sockenmodemarke. Trotzdem ist von Angestellten weit und breit nichts zu sehen.
Beim Betrachten des türkisblauen Briefkastens, auf dem in gerade noch lesbarer Schriftgröße die Firmennamen dicht gedrängt auf weißen Etiketten stehen, kommt ein schwerwiegender Verdacht auf: Handelt es sich hier etwa um Briefkastenfirmen, die ihren Sitz in der Lindenpassage nur vortäuschen, um Steuern zu sparen?
Tatsächlich hat die Gemeinde Schönefeld mit Ländern wie der Schweiz, Luxemburg oder den Caymaninseln gemein, dass sie als Steueroase bekannt ist. Denn der Gewerbesteuersatz, dessen Hebesatz die Kommunen in Deutschland selbst festlegen können, ist in der Flughafengemeinde im Süden Berlins mit am niedrigsten. So beträgt die Gewerbesteuer in Berlin 14,35 Prozent, in Schönefeld sind es dagegen nur 8,4 Prozent.
Steuereinnahmen sollen sprudeln
Die Idee dahinter ist einfach. Speckgürtelgemeinden wie Schönefeld oder Zossen bei Berlin, aber auch Grünwald bei München oder Monheim am Rhein versuchen mit den niedrigen Steuersätzen Anreize für Unternehmen zu bieten, die es ansonsten viel eher in die benachbarten Metropolen zieht. Mit den Unternehmen sollen dann nicht nur Steuereinnahmen sprudeln, sondern auch Arbeitsplätze und Investitionen kommen.
In der Tat ist Schönefeld bei Unternehmen beliebt. Knapp 3.500 Firmen sind mit ihrem Sitz in der 20.000-Einwohner:innen-Gemeinde registriert. Das spülte 2022 nach Schätzungen des Netzwerks Steuergerechtigkeit rund 90 Millionen Euro Gewerbesteuer in die Kassen. Der Boom macht sich im Straßenbild bemerkbar, überall entstehen glitzernde Bürokomplexe, neu ausgewiesene Gewerbegebiete fressen sich in das umliegende Ackerland.
Doch allein das krasse Zahlenverhältnis von Einwohner:innen zu Unternehmen macht deutlich, dass die meisten Firmen, die nach Schönefeld kommen, weder Arbeitsplätze schaffen noch Büroflächen benötigen. Der Schaden, der durch das Steuerdumping entsteht, ist hingegen enorm: Jährlich eine Milliarde Euro Gewerbesteuereinnahmen gehen durch bundesdeutsche Steueroasen verloren, berechnet das Netzwerk Steuergerechtigkeit.
Ungefähr ein Drittel dieser Firmen seien Immobilienunternehmen, erklärt Christoph Trautvetter vom Netzwerk. Steueroasen wie Schönefeld seien ideal für Unternehmen, die Gewinne erwirtschafteten, ohne dass es viel Arbeit erfordere. „Das Einzige, was sie machen müssen, ist, ein Mal im Jahr eine Grundsteuererklärung zu unterschreiben.“
Die Besonderheit
Neben niedriger Gewerbesteuer bietet Schönefeld einen Flughafen und eine S-Bahn-Anbindung nach Berlin. Das ist praktisch, um schnell wieder wegzukommen, denn Schönefeld besteht aus Gewerbegebieten, Neubauwohnungen und Einfamilienhäusern.
Die Zielgruppe
Ob aspirierender Jungunternehmer oder vergreisender Milliardär: Schönefeld ist ein Traum für alle, die ihr hart ererbtes Geld vor dem bösen Staat retten wollen.
Hindernisse auf dem Weg
Keine. Onlineanbieter suchen, passendes Paket wählen (Co-Working-Space oder doch ein komplettes Büro?). Ein paar Klicks und Unterschriften genügen, um den Firmensitz zu eröffnen. Post und Anrufe leitet der Anbieter weiter!
Dieses Detail ist wichtig, denn ein Briefkasten allein macht noch keine Firma. Es braucht noch einen physischen Geschäftssitz, ansonsten wäre das ganze Unterfangen illegal. In der Lindenpassage wird dieses Problem platzsparend gelöst. Alle Unternehmen teilen sich einen Co-Working-Space, in dem sie einmal im Jahr besagte Erklärung unterschreiben oder andere wichtige Geschäftstätigkeiten durchführen können. Falls in der Zwischenzeit Post kommt, wird sie vom Dienstleister, der den Co-Working-Space vermietet, weitergeleitet.
Aufgeräumte Schreibtischinseln
Die Geschäftstätigkeit hält sich an diesem Mittwoch in Grenzen. Niemand ist anzutreffen. Ein Blick durch die Fensterscheiben des Co-Working-Spaces bestätigt den Eindruck. Schreibtischinseln stehen sauber aufgeräumt aneinander, Textmarker und Flipcharts warten darauf, benutzt zu werden. Das einzig Lebendige im Raum ist ein gut gewässerter Bürospargel.
In vielen Fällen werde die Grenze der Legalität in den Steueroasen auch überschritten, erklärt Trautvetter. Etwa, wenn Unternehmen anderswo Büros unterhalten, die Gewerbesteuer aber in Schönefeld bezahlen. „Da müsste die Steuerbehörde eigentlich eingreifen“, sagt Trautvetter, „aber Kontrollen passieren viel zu selten.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl