Brief eines Grimme-Jury-Mitglieds: Lieber Oliver Polak
Unser Autor saß in der Grimme-Preis-Jury. Dass Oliver Polak in der Kategorie Unterhaltung ausgezeichnet wird, will er nicht mittragen. Eine Distanzierung.
Eine Dreiviertelstunde. Ein Gast nach dem anderen setzt sich zu Ihnen und Sie entscheiden per Buzzer, wann genug geredet wurde – „Applaus und raus“, so heißt die Show. Ganz einfach.
Kann man machen. Kann man mögen. Sie schaffen tatsächlich ein paar erhellende Momente. Viele Einzelgespräche sind besser als der Daueraufguss Talkshow mit seinen fünf oder sechs Gästen in ihren Sesseln, bei denen jede und jeder pflichtschuldig von der Moderatorin ein paar Fragen gestellt bekommt und seine zehn Promo-Minuten abspult. Wenn es langweilig wurde, haben Sie das Gespräch einfach beendet.
Ich kann verstehen, warum meine Jury das für gute Unterhaltung hielt und hält. Ich kann aber nicht verstehen, warum die Sendung unter das Motto „Gast oder Spast?“ gestellt wurde, warum sie mit dem dazugehörigen Hashtag #GastoderSpast beworben wurde, warum Sie in der Sendung mehrfach das als Sinn dieser Show verkaufen.
Gast oder Spast
Wer ein bisschen mit Ihnen plaudern will, darf also kein Spast sein. Es ist die ultimative Ausladung. Man kann an Ihrem Schreibtisch machen, was man will, nur ein Spast sein, das darf man nicht. Dann ist man kein Gast mehr.
Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen. Keine Sorge, geht schnell. Es ist ein paar Jahre her, nach der Geburt meiner Tochter, da zog das Schicksal (oder an was auch immer man glaubt) eine ganz feine Linie zwischen „Gast“ und „Spast“. Ob sie das eine oder andere werden würde, hing nicht wie in Ihrer Show vom Schlag auf einen Buzzer ab, sondern von der Kühlmatte, auf der sie lag, die ihre Hirnschäden eindämmen sollte, vom Morphium, das die damit verbundenen Schmerzen bekämpfen sollte, vom Barbiturat, das ihre Krampfanfälle lindern sollte, von der künstlichen Beatmung, von der künstlichen Ernährung, von den Ärztinnen und Ärzten, den Schwestern und Pflegern.
Aber ich will hieraus keine Befindlichkeitsgeschichte machen, keinen Pathos ablassen. Ich hätte Ihren Hashtag, Ihr Showmotto auch ohne meine persönliche Erfahrung scheiße gefunden.
Was ich noch mieser fand, war Ihr Umgang mit der Kritik, die sich ob Ihrer Show regte. Ihr Sender ProSieben twitterte lediglich: „Die moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen“. Und einer Bloggerin und Mutter eines Kindes mit Behinderung, die sich über den Hashtag beschwerte, sollen Sie (oder jemand aus dem Team Ihrer Sendung) per Twitter-Direktnachricht geschrieben haben: „[W]enn wir für dich ein tatsächliches Problem darstellen, dann glaub ich nicht, dass du andere Probleme hast.“
Wenn alle Kritik an #GastoderSpast nur scheinheilig war, warum haben Sie den Namen des Accounts nach der Ausstrahlung der ersten Folge trotzdem geändert? Warum nutzten Sie den Hashtag nicht mehr? Die Selbstgerechtigkeit ist der Heiligenschein… ach, lassen wir das.
Es ist Ihre Freiheit, den Hashtag und den Account „GastOderSpast“ zu nutzen. Und es ist die Freiheit anderer, das zu kritisieren. Damit können aber weder Sie noch Ihr Sender umgehen, dennoch bekommen Sie einen Preis als „Vorbild für die Fernsehpraxis in der digitalen Welt“. Denn genau das sollen laut Statut des Grimme-Preises ausgezeichnete Produktionen leisten. Sieht so die vorbildliche Nutzung der digitalen Welt aus?
Ich weiß, dass Ihre Sicht auf Inklusion die ist, dass erst derjenige in unserer Gesellschaft ernst genommen wird, über den auch gelacht wird. Ich bin auch der Meinung, dass Unterhaltung Grenzen austesten darf, sie muss sie sogar überschreiten dürfen. Ich bin der Überzeugung, dass auch der schlechte Witz, das vermeintlich politisch Unkorrekte, gesagt werden darf, dass die Meinungs- und Kunstfreiheit so weit gehen muss wie möglich, dass Pointe vor Strafrecht geht. Ich will nicht den Bundesbeauftragten für Political Correctness spielen. Diese Rolle steht mir nicht. Nur: Wo war bei „Gast oder Spast?“ die Pointe? Wo war überhaupt der Witz? Welche Grenze haben Sie da ausgetestet? Oder welche neue Grenze haben Sie überschritten?
Das einzige, woran Sie mit diesem Reim mitgewirkt haben, ist die Etablierung eines Jahrzehnte alten Schimpfworts gegen Menschen mit Behinderungen.
Glauben Sie mir, ich mag kein Querulant sein. Ich musste mir von einem Jurymitglied anhören, dass ich es moralisch erpressen würde. Es wurde argumentiert, dass Sie ja auch mal Depressionen gehabt hätten und somit auch Ihr Päckchen Behinderung mit sich herumschleppen würden. Und dass man ja auch in der Begründung für Ihren Preis darauf eingehen könnte, dass man den Hashtag #GastoderSpast nicht gutheißen würde.
Kein Shitstorm, bitte
Das hat mich alles nicht überzeugt. Ein bisschen Grimme-Preis gibt es nicht. Sie bekommen keinen Spezialpreis für einen kleinen Ausschnitt aus Ihrer Sendung. Sie bekommen einen Grimme-Preis all inclusive – für den Buzzer, für Ihre Fragen, für die Gäste, für #GastoderSpast. Die Mehrheit in meiner Jury hielt das für mitauszeichnungswürdig.
Ich will keinen Shitstorm. Ich will weder, dass Sie im Scheißeregen stehen, noch ich oder sonstwer. Ich will auch keine Petition, die verlangt, dass Ihnen der Preis wieder genommen wird. Ich akzeptiere das Ergebnis der Abstimmung in der Jury. In meiner Jury.
Herr Polak, ich gratuliere Ihnen wirklich aufrichtig zu Ihrem ersten Grimme-Preis. Aber ich hätte Sie nicht ausgezeichnet.
Jürn Kruse, Ressortleiter taz2/Medien
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