Brexit und Klimapolitik: Goodbye, Green Britain
Der Brexit schwächt die Öko-Achse in der EU, die eine knappe Mehrheit hatte. Britische Umweltschützer machen sich auf harte Zeiten gefasst.
Der Brexit führt also nicht ins Öko-Paradies. Im Gegenteil. Auch wenn es für belastbare Studien noch viel zu früh ist, ist doch schon klar: Auf mittelfristige Sicht könnte der Ausstieg der Briten einen Rückschlag für eine nachhaltige Politik in der EU und auf der Insel bringen. Denn mit den Briten verabschiedet sich ein Land aus dem fortschrittlichen Block der 28 EU-Länder.
Gegenüber den Oststaaten der Visegrád-Gruppe, die auf Kohle setzen, und den Südländern, die traditionell andere Sorgen haben als die Einhaltung der Umweltgesetze, stärkte London in der Achse mit Deutschland, oft Frankreich, Benelux und den Skandinaviern ein grünes Kern-Europa, das in den letzten Jahrzehnten für Fortschritte bei Luftreinhaltung, Gewässern, Chemikalien und Rohstoffpolitik gesorgt hat. In der „Green Growth Group“ versammeln sich seit 2014 insgesamt 13 EU-Länder, um in der Energie- und Klimapolitik ein Gegengewicht gegen die Kohlefreunde des Ostens zu bilden. Die Gruppe repräsentierte etwa 60 Prozent der Länderstimmen im EU-Rat. Mit dem Brexit fällt diese Mehrheit auf knapp über 50 Prozent.
Die EU-Kommission kann jetzt zudem ihre Planungen zum Klimaschutz in die Recyclingtonne werfen. In der ersten Jahreshälfte wollte sie eigentlich das „Effort Sharing“ für die Klimaziele 2030 vorschlagen. Damit wird bestimmt, welches Land wie viel leisten muss – nun muss ganz neu gerechnet werden. Unklar ist auch, ob und wie London dem Pariser Klimaabkommen neu beitreten muss, ob die EU deshalb erst später ratifizieren kann, und wie die EU-Klimapolitik ohne die britische Diplomatie international auskommt.
Prompt fiel nach der Entscheidung der Preis für die CO2-Zertifikate im europäischen Emissionshandel auf etwa 5 Euro die Tonne – nach dem Abkommen von Paris hatte er noch bei 8 Euro gelegen. Das zeigt, dass noch mehr Zertifikate auf dem Markt erwartet werden, wenn die britischen Kraftwerke keine Emissionsscheine mehr kaufen. Andererseits hat Großbritannien seit 2008 ein vorbildliches „Klimagesetz“, das dem Land ein Kohlenstoff-Budget vorschreibt und die Emissionen bereits um 38 Prozent gesenkt hat.
„Klimaskeptiker“ in Brexit-Kampagen
Auch wenn in der Brexit-Kampagne viele Klimaskeptiker prominent vertreten sind, sieht Jonathan Gaventa vom Londoner Thinktank E3G „im Brexit kein Mandat, das Klimagesetz zu verändern“. Er kann sich auch vorstellen, dass die Briten Wege finden, trotz Austritts im EU-Emissionshandel zu bleiben. Schwer wiege allerdings die Verunsicherung für die Investoren. Großbritannien benötigt dringend neue Kraftwerke, aber „die Schwankungen, die wir derzeit beim Währungskurs sehen, können Investitionen in grüne Technologien verzögern“.
Wie sich der leere Stuhl auf die Brüsseler Verhandlungen zu Öko-Fragen auswirken wird, ist unsicher. In der Landwirtschaft habe London zwar zu Hause ordentlich Geld für Öko-Maßnahmen und kleine Höfe eingesetzt, sei aber in Brüssel eher als „umweltpolitisches Neutrum“ aufgefallen, sagt Lutz Ribbe, EU-Experte vom Umweltverband Euronatur.
Umweltschützer Craig Bennett
Auf der Insel jedenfalls machen sich die Ökos auf harte Zeiten gefasst. „Jetzt beginnt der Kampf, um zu verhindern, dass Großbritannien Umweltstandards verwässert, die wir von der EU geerbt haben“, schreibt Craig Bennett, der Vorsitzende des Umweltverbands Friends of the Earth. Die Vorteile Europas aus Umweltschützersicht: EU-Gesetze wie die FFH-Richtlinie schützen die Natur, die Strände sind sauberer, weil Abwässer nicht mehr ungefiltert ins Meer fließen dürfen, Bienen profitieren vom Pestizidverbot.
Beim Recycling gebe es „dramatische Verbesserung“, bei den grünen Energien „schnelles Wachstum“, beim Kampf gegen Luftverschmutzung und in der Chemiepolitik schütze die EU auch die Briten. Und die Fischbestände in der Nordsee hätten sich durch die EU-Fangquoten teilweise erholt. Nicht umsonst waren viele Fischer schlecht auf die EU zu sprechen.
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