Bremer Wahlergebnis ist gültig: Ein AfD-Abgeordneter weniger
Der Staatsgerichtshof hat geurteilt: Es gibt keine Neuwahl und die SPD-Frau behält ihr Mandat. Die AfD hat den Streit um die Stimmenauszählung verloren.
Thomas Jürgewitz von der „Alternative für Deutschland“ (AfD) spricht von einer „Farce“. Die SPD-Abgeordnete Petra Jäschke fühlt sich, als habe sie unfreiwillig die Hauptrolle in einem „Auszählungskrimi“ gespielt: Eineinhalb Jahre nach der Bürgerschaftswahl herrscht in Bremen nun Gewissheit über das Wahlergebnis. Wie der Bremer Staatsgerichtshof gestern in seinem Urteil feststellte, kommt die AfD in Bremerhaven auf 4,9899 Prozent und verpasst damit in diesem Teil des Landes Bremen die Fünf-Prozent-Hürde. Petra Jäschke behält ihren Sitz in der Bürgerschaft, während Thomas Jürgewitz von der AfD wieder ohne Mandat bleibt.
Dem Urteil vorangegangen war ein juristisches Tauziehen: Weil die AfD angesichts des knappen Wahlergebnisses von zuvor 4,97 Prozent Fehler bei der Auszählung befürchtete, rief Jürgewitz nach Einsicht in die Wahlunterlagen das Wahlprüfungsgericht an. Das korrigierte nach einer erneuten Auszählung der AfD-Wahlzettel das Ergebnis und sprach Jürgewitz statt Jäschke den Sitz in der Bürgerschaft zu.
Landeswahlleiter Jürgen Wayand, die SPD-Abgeordnete Jäschke sowie die Landesorganisation der SPD legten dagegen Beschwerde vor dem Staatsgerichtshof ein: Das Wahlprüfungsgericht habe nur die AfD-Stimmen erneut auszählen lassen, dabei aber nicht berücksichtigt, dass Fehler auch bei der Auszählung der restlichen Stimmen passiert sein konnten.
Der Staatsgerichtshof ließ alle 33.958 Bremerhavener Stimmen erneut auszählen. 572 Stimmabgaben mussten schließlich korrigiert werden, am Ergebnis änderte das jedoch wenig: Die Verschiebungen waren allesamt „nicht mandatsrelevant“, wie die Präsidentin des Staatsgerichtshofs Ilsemarie Meyer in der Urteilsbegründung sagte. Die korrigierten Fälle bezeichnete sie als „Ungenauigkeiten, die sich bei Wahlen nicht vermeiden lassen – egal, wie sorgfältig man ist.“
Wayland fordert Entschuldigung von AfD und „Welt“
Offen ist nach wie vor, was mit 13 fehlenden Stimmzetteln passiert ist. Ihr Verschwinden konnte nicht rekonstruiert werden: Sie hätten sowohl während der Lagerung, bei der Akteneinsicht durch die Beschwerdeführer als auch beim Wahlprüfungsgericht verlorengegangen sein können, sagte die Richterin. Das Fehlen dieser 13 Stimmzettel begründe aber keine Pflicht zur Abhaltung von Neuwahlen. Auch die drei EU-Bürger, die in Bremerhaven gar nicht hätten wählen dürfen, fielen mit ihren maximal 15 Stimmen nicht ins Gewicht.
10. Mai 2015: In Bremen findet die Bürgerschaftswahl statt. Kurz darauf werden Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung bekannt. Die AfD beantragt Akteneinsicht zur Nachzählung.
28. Juli 2015: Die AfD legt Einspruch beim Wahlprüfungsgericht gegen die Gültigkeit der Wahl ein.
21. Dezember 2015: Das Wahlprüfungsgericht korrigiert das Ergebnis. Die AfD erhält einen weiteren Sitz in der Bürgerschaft zulasten der SPD. Landeswahlleiter Jürgen Wayand legt gegen die Entscheidung Beschwerde ein
13. September 2016: Der Staatsgerichtshof verkündet nach der Neuauszählung aller Bremerhavener Stimmzettel das Urteil
Landeswahlleiter Wayand zeigte sich nach dem Urteil erleichtert: „Die Überprüfung der Auszählung hat ergeben, dass in Bremerhaven alles im normalen Bereich verlief.“ Damit spielte er auf den von der AfD in der Zeitung Die Welt erhobenen Vorwurf der Wahlmanipulation an, den er durch das Urteil widerlegt sieht. „Es hat in Bremerhaven keine Wahlmanipulation gegeben“, sagte Wayand. „Deshalb wäre es jetzt schön, wenn sich Herr Meuthen und die Welt für die Vorwürfe entschuldigen würden!“
Auf Seiten der AfD stehen die Zeichen jedoch nicht auf Versöhnung: Der verhinderte Bürgerschaftsabgeordnete Jürgewitz sprach nach seiner Niederlage von einem „politischen Urteil“: Das sei „eine Farce und unter Einfluss von oben“ zustande gekommen. Man überlege, ob sich ein Gang zum Bundesverfassungsgericht lohne.
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