Bremer Christdemokraten im Trollmodus: Prämie für Populisten
Maß und Mitte verloren: Die CDU beantragt Untersuchungsausschuss wegen einer Staatsratsentlassung. Der ist ein Millionengeschenk für Antidemokraten.
A uch wenn's angesichts ideologischer Differenzen fast weh tut, das zu schreiben: Manchmal hat die Bremer FDP recht. So trifft ihre Bewertung des von der CDU beantragten Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur von der rechtspopulistischen Fraktion Bündnis Deutschland aufgebrachten und den Christdemokrat*innen seit Oktober betriebenen Staatsratsruhestandsversetzungsaffäre.
Einen „Untersuchungsausschuss, der mehr als eine Million Euro Steuergelder kostet und nur eine politische Hexenjagd zum Ziel hat“, sieht nämlich Thore Schäck, der Chef der Bürgerschafts-FDP, in dem, was die größte Oppositionsfraktion da einsetzen will.
Was das Land stattdessen brauche, so Schäck weiter, seien keine endlosen politischen Schlammschlachten, sondern Lösungen für ein vermutetes „grundlegendes Problem“. Das hänge nämlich „nicht an einzelnen Personalien“. Es liege im System. Sofern es denn überhaupt liegt – und nicht bloß populistische Aufregung darüber ist, dass politische Beamte nicht pro bono arbeiten.
Bremen hat einen reichen Erfahrungsschatz an politischen Skandalen. Gerade die Zeit der Großen Koalition unter Henning Scherf (SPD) war reich an irren Affären. Toller Erzählstoff, lustig und schrecklich zugleich. Vor allem dank der Christdemokraten.
Wanzen, Schampus, Schwarzarbeit
Da gab es den Senator, der rechtswidrig Hunderte Menschen wegen „punktypischen Aussehens“ festnehmen ließ und mit einem anderen Senator aus ihrem Amt heraus privat eine Bank kauften und betrieben; recht erfolglos, übrigens. Die Sache mit dem gefälschten Millionenscheck war aber erst später.
Es gab Senatoren, die von der Bühne herab Obdachlose verhöhnten, indem sie Sekt über sie ausgossen, es gab Senatoren, die … ach!; früher, als die CDU noch mitregiert und sich offenbar gegenseitig mit Wanzen bespitzelt hat – war das eigentlich noch, bevor der jetzige haushaltspolitische Sprecher Jens Eckhoff Bausenator war, oder danach? – war einfach mehr los in Bremen.
Für keinen dieser Spitzenleute, alle CDU, noch nicht mal für den Staatsrat, der polnische Bauarbeiter ohne Arbeitserlaubnis beschäftigte oder den, der die Behördenbilanz frisierte, gab es Untersuchungsausschüsse. Die gab es wegen Katastrophen, wegen systematischen Sozialleistungsbetrugs, wegen Megapleiten und einer korrupten Klinikverwaltung.
Es gab sie, wenn Menschen in der Haft, Kinder unterm Sozialamt oder Frühchen wegen Hygienemängeln im städtischen Klinikum starben. Sinnvoll wäre einer gewesen zu den massenhaft verschlampten Sozialamtsakten, aber da hatte die CDU keinen Bock: Die Fachpolitikerin soll krank gewesen sein; ja, und das Thema appellierte ja weder an Neid noch andere niedere Gefühle, und es ging nicht um eine Person im Rampenlicht, sondern die mühsame Aufbereitung kleinteiligen Verwaltungshandelns.
Die jetzige Affäre kreist dagegen darum, dass der CDU dank einer Anfrage der Rechtspopulisten aufgefallen ist, dass auch Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Die Linke) 2023 einen Staatsrat in den einstweiligen Ruhestand versetzt hatte. Die Christdemokrat*innen unterstellen nämlich, der habe sich das so gewünscht, bloß keine Entlassung beantragt, die ihn finanziell sehr viel schlechter gestellt hätte.
Mehr als eine Protokollnotiz – das ist gehobenes Hörensagen – hat sie für diese Bezichtigung bislang nicht vorgebracht. Gestützt wird sie nur darauf, dass die vielleicht etwas unbedarfte, vielleicht aber auch ob ihres geringen Handlungsspielraums frustrierte grüne Umweltsenatorin Kathrin Moosdorf einen analogen Fall Anfang Oktober zum Rücktritt genutzt hatte.
Prinzip Streumunition
Weil das selbst der CDU zu wenig Material ist, erhöht sie – Prinzip Streumunition – die Zahl der Verdachtsfälle auf sechs, auch hier gestützt auf die Vorarbeit von Bündnis Deutschland. „Wir müssen befürchten, dass es hier in Bremen ein System des goldenen Handschlags gegeben hat“, lässt sich die Vorsitzende Wiebke Winter zitieren.
Wiebke Winter, CDU-Vorsitzende in Bremen
Klar, ein solches System gibt's. Aber eben nicht nur in Bremen. Es heißt Beamtenrecht, stammt aus dem 18. Jahrhundert und macht immerhin die Spitzenposten in der öffentlichen Verwaltung konkurrenzfähig zu denen im privatwirtschaftlichen Management. Die Regelungskompetenz liegt in erster Linie beim Bundesgesetzgeber.
Es auf Landesebene zum Gegenstand eines Untersuchungsausschusses zu machen, kann politisch kaum zielführend sein. Außer, es ginge darum, die staatliche Organisation als solche verdächtig und verächtlich zu machen: Das wird Frau Winter und ihren Mittätern gelingen. Den antidemokratischen Kräften bereiten sie damit ein Millionengeschenk. Das ist nicht nur schäbig, hässlich und dumm. Es ist auch saugefährlich.
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