Bremen hyperventiliert: „Männer, die für uns kämpfen“

Vor dem Abstiegs-relevanten Spiel gegen Frankfurt häufen sich die schicksalsschwangeren rhethorischen Ausrutscher. Nur Werder bleibt erfreulich cool.

Menetekel für Werder? Die Brandruine des Sponsors Foto: Carmen Jaspersen/Wiesenhof

BREMEN taz | „Es ist ein Fußballspiel“, sagt Thomas Eichin. „Es spielen elf gegen elf“, sekundiert Trainer Viktor Skripnik seinem Geschäftsführer. Während man sich bei Werder um demonstrative Ruhe bemüht, wird Bremen vor dem morgigen Spiel gegen Eintracht Frankfurt von zunehmender Hysterie erfasst. Insbesondere der Weser-Kurier werkelt mit großem Einsatz an der Heimatfront, um der drohenden Katastrophe namens Abstieg in die Zweite Liga durch ein Alle-Mann-Manöver abzuwehren.

Sämtliche Bremer Haushalte erhielten gestern eine kostenlose Ausgabe im Vierseiten-Format, mit der Aufforderung, die auseinander gefalteten Innenseiten ins Fenster oder Auto zu hängen. Das sei „völlig unkompliziert“, versichert die Zeitung, so könne „jeder Haushalt für Werder ganz einfach Farbe bekennen“. Der Text der inneren Doppelseiten lautet: „Werder braucht Bremen braucht Werder“. Ganz oben rechts steht allerdings noch das sehr kleine Wörtchen „Anzeige“ – was darauf verweist, dass auch potentielle Krisen ein beachtliches ökonomisches Potential bergen, wenn man sie denn zu nutzen weiß.

Für den Verein hingegen, der nach vier Negativbilanzen dieses Jahr erstmals wieder einen positiven Haushaltsabschluss vorweisen kann, geht es um reale wirtschaftliche Risiken: Die Geschäftsführung fürchtet im Fall des Abstiegs einen Umsatzrückgang von rund 40 Prozent, verursacht durch eine Drittelung der Fernseheinnahmen und deutlich reduzierte Spieltag-Erlöse. Zweitliga-Eintrittspreise liegen erheblich unter denen der Ersten, aus Besuchersicht könnte das also sogar ein positiver Effekt eines Debakels gegen Frankfurt sein. Andererseits hat man in der Zweiten Liga auch mehr Problemfans um sich, die etwa von Vereinen wie Dynamo Dresden mitgebracht würden.

Das morgige Spiel gegen Eintracht Frankfurt hat ein historisches Vorbild: Am 17. Mai 1980 verlor Werder gegen die Hessen, der Abstieg der Bremer in die Zweite Liga folgte

Es war der einzige Abstieg der ersten Mannschaft in der Vereinsgeschichte. Werder nutzte die Deklassierung, um mit 30 Siegen einen Rekord nach absoluten Punkten in der Zweitligageschichte aufzustellen. Unter Otto Rehhagel gelang trotz eines Einbruchs bei den Zuschauerzahlen der direkte Wiederaufstieg.

Noch immer steht Werder auf Platz 2 der „ewigen Tabelle“. Von der mehrfachen Meisterschaft in der „Gauliga Niedersachsen“ über die britische Zonenmeisterschaft bis zum Europapokal- und Supercup-Sieg hat der Verein so ziemlich alles gewonnen, was möglich ist.

Am Samstag möglich sind der Klassenerhalt, der Gang in die Relegation und der direkte Abstieg. Letzteres setzt einen parallelen Sieg von Stuttgart über Wolfsburg voraus, der allerdings als unwahrscheinlich gilt. HB

Für manche scheinen die Abstiegsszenarien so bedrohlich, dass sie zu übersinnlichen Hilfsmitteln greifen: Selbst so rationale Charaktere wie der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel will eigenem Bekunden zu Folge am Samstag eine Kerze in der Kirche entzünden, um Werders Chancen zu steigern. Auch Schriftsteller wie Moritz Rinke, der einen hochintelligenten Schlüsselroman zur NS-Geschichte Worpswedes verfasst hat, lässt sich anscheinend schmerzfrei mit dem Appell zitieren, nun – vor dem Schicksalsspiel – müsse bei der Mannschaft die „Angst ausgemerzt“ werden.

Geschenkt dagegen, dass der Bürgermeister einen „Kampf bis zur letzten Minute“ erwartet, zumal sich sein Vorgänger Henning Scherf zu ganz anderen Betrachtungen aufschwingt: „Diese jungen Männer, die da auf dem Rasen kämpfen“, lässt der Weser-Kurier den Altbürgermeister dräuen, müssten wissen, dass sie das „stellvertretend für eine ganze Region“ täten.

Verständlich, dass Thomas Eichin derartige Phrasologien seinen Spielern nicht zumuten möchte. „Das ist nicht hilfreich, wenn ihnen so etwas jeden Tag um die Ohren gehauen wird“, sagte er gestern. Und Skripnik bekräftigt: „Wir brauchen jetzt vor allem Ruhe.“ Zudem gelte: „Wir glauben auf uns.“

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