Bremen gewinnt gegen Gladbach: Sieg mit flacher Hierarchie
Ersatzkapitän Aaron Hunt führt Werder Bremen zu einem überzeugenden 4:0 über Borussia Mönchengladbach. Und die bremischen Fans lassen sich von Negativ-Schlagzeilen nicht kirre machen.
BREMEN taz | Die Werder-Fans in der Ostkurve erlebten am Samstagnachmittag ein Wechselbad der Gefühle. Ausnahmsweise aber nicht während des Spiels, wie so oft in dieser Saison. Zwei Stunden vor Spielbeginn enthüllten Sie gemeinsam mit Werder-Offiziellen im Umlauf der Kurve eine Gedenktafel für den vor 30 Jahren im Hamburger Volkspark gewaltsam zu Tode gekommenen Adrian Maleika. Anschließend widmeten sie sich aktuellen Herausforderungen ihres Fanseins und kritisierten mit Spruchbändern das repressive Sicherheitskonzept von DFB und DFL, das demnächst gegen ihren Widerstand verabschiedet werden soll.
Da tat es gut, dass ihre Mannschaft ihnen anschließend 90 Minuten reine Freude schenkte. Dafür bereiteten die Bremer Zuschauer allerdings stimmungsmäßig den Boden, in dem sie Kevin de Bruyne, der sich während der Länderspielpause distanziert über die Mentalität der Deutschen geäußert hatte, eben nicht auspfiffen, wie es die Boulevard-Presse provozieren wollte. Der Belgier machte in der Folge sein bislang bestes Spiel im Werder-Trikot. Das 1:0 durch Nils Petersen bereitete er mit einem filigranen Eckball vor und packte des Öfteren seine Spezialität aus: den öffnenden Diagonalpass.
Auf eine andere medial aufgeblasene Frage lieferte die Mannschaft selbst die beste Antwort. Während der deutsche Fußball angeblich am Fehlen von Führungsspielern krankt, glänzte Werder gegen Mönchengladbach mit der wohl flachsten Hierarchie seit dem Wiederaufstieg 1981. Nach dem Ausfall von Kapitän Clemens Fritz trug erstmals der Aron Hunt die Kapitänsbinde, der mit seinen 26 Jahren plötzlich der älteste Bremer auf dem Platz war.
„Aaron nimmt die Herausforderung endlich an“, hatte Trainer Thomas Schaaf schon vor dem Spiel über Hunt gesagt, der früher in entscheidenden Situationen oft abtauchte. Am Samstag war er überall auf dem Platz zu finden, lenkte gemeinsam mit de Bruyne und Zlatko Junuzovic klug das Spiel und krönte seine Leistung mit einem Traumpass zum 2:0 durch Marko Arnautovic unmittelbar vor der Pause.
Auch der Österreicher wächst mit der gestiegenen Verantwortung. Zu Hause wartet ein kleines Baby und auf dem Platz hat er keinen Übervater Pizarro mehr, hinter dem er sich verstecken kann und gegen den er sich spätpubertär abgrenzen muss. In seiner neuen Rolle als Rechtsaußen spielt Arnautovic sachlich, effektiv und Samstag endlich auch erfolgreich. Zum 3:0 durch den kurz zuvor eingewechselten Niklas Füllkrug gab er nach feiner Einzelleistung die Vorlage.
Dass die Werder-Offensive zu solchen Leistungen fähig ist, war vorher bekannt. „Ich bin viel glücklicher über die Defensive“, sagte Schaaf nach dem Spiel. „Wir haben den Gegner nonstop bedrängt.“ Mit einer enormen Laufleistung schafften es die Bremer, den ballführenden Gegner meist zu dritt zu attackieren. Hinterher war dann von „harmlosen“ Gladbachern die Rede. Die hatten allerdings über eine halbe Stunde gut mitgehalten und ergaben sich erst nach dem 0:3 in ihr Schicksal. Den Testspielcharakter der letzten Viertelstunde nutzte dann Junuzovic für eine artistische Einlage zum 4:0.
Von der Euphorie nach dem Spiel ließ sich Thomas Schaaf, dessen Arbeit von Teilen der Medien massiv infrage gestellt worden war, nicht anstecken: „Die Einschätzung ,Vorher war alles schlecht und seit heute Abend ist alles gut‘ machen wir nicht mit. Ich sage immer noch, dass diese Mannschaft noch Zeit brauchen wird.“ Die sportliche Leitung in Bremen hat in den letzten Jahren sicher den Fehler gemacht, zu lange alte Erfolge konservieren zu wollen.
Jetzt, wo der Umbruch mit mutigem Konzept und überzeugendem Personal eingeleitet worden ist, sollte nicht gleich jeder Rückschlag zur Trainer-Frage und jedes gute Spiel zu Champions League-Ambitionen führen. Das Bremer Publikum hat Samstag jedenfalls bewiesen, sich vom eigenen Kopf und nicht von Schlagzeilen leiten zu lassen.
Davon kann in Mönchengladbach keine Rede sein. Aufgebrachte Fans wollten Sportdirektor Max Eberl, den sie vor Kurzem noch für den Borussen-Höhenflug gefeiert haben, nicht nach Hause fahren lassen.
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