piwik no script img

Breivik-Debatte im NetzRassistischer Wahnsinn in einer Person

Der Breivik-Prozess erregt die Gemüter: Bilder zeigen oder nicht? Berichten oder ignorieren? Auch im Netz gehen die Meinungen weit auseinander.

Wenigstens ein Bild zeigt das, was fast jeder gerne sieht: Breivik in Handschellen. Bild: dapd

BERLIN taz | Ausgerechnet der Boulevard geht mit pragmatischen Ansätzen voran: Leser der norwegischen Zeitung Dagbladet, die weder das Gesicht Breiviks noch dessen Namen oder irgendwelche Details über den Prozess in Oslo zur Kenntnis nehmen wollen, können online alles rund um den Massenmörder per Knopfdruck einfach ausblenden. Sie landen dann in einer breivikfreien Ausgabe.

Seit Tagen hält der Streit darüber an, inwieweit Medien, Blogger und Netznutzer dazu beitragen, das heroische Selbstbild Anders Behring Breiviks zu bestätigen, indem sie ihn zeigen und über ihn berichten. Die Spanne der Meinungen reicht von der Aufforderung, auf eine Berichterstattung komplett zu verzichten, bis zum Ruf nach noch mehr Details, um so ein Maximum an Aufklärung zu erreichen.

Das spiegelt sich auch in den Leserkommentaren der Online-Seiten diverser deutscher Medien wider. Egal ob Tagesschau.de, Zeit-Online oder taz.de – jeder neue Bericht und jeder neue redaktionelle Kommentar ruft widersprüchliche Reaktionen hervor. In Blogs und Online-Netzwerken sieht es kaum anders aus.

Blogger Sebastian Fellner meint: „Selten haben Medien so offensichtlich versagt wie bei der Berichterstattung über den rechtsextremen Attentäter von Norwegen. Breivik spielt ein perfides Spiel – das Zeitungen und Rundfunksender gerne mitspielen.“ Er wünscht sich stattdessen: „Gebt mir Bescheid, wenn es ein Urteil gibt. Bringt meinetwegen eine Meldung, wenn ein Zeuge oder eine Zeugin etwas bisher Unbekanntes aussagt. Aber füttert Breivik nicht mit der Aufmerksamkeit, die er sich wünscht.“

Muss wirklich alles raus?

Das Antifaschistische Dokumentationsarchiv ist hin- und hergerissen zwischen Abscheu und Aufklärung: „Und dann wabert dieses schreckliche Gefühl durch den Raum: Dass Bano Rashid, Gunnar Linaker, Ismail Haji Ahmed und die anderen 74 Opfer in Oslo und auf Utøya sterben mussten, weil Breivik eine Bühne brauchte. Weil er der ganzen Welt seinen vergorenen Gedankenbrei servieren will, übertragen in die ganze Welt, von Hunderten Journalisten in die Laptops gehackt und in Zeitungen und auf Webseiten gesetzt.“

Daniel Bennett hält seine Meinung im free speech blog zurück und analysiert lieber „die Ethik des Twitterns über Breivik“ inklusive hilfreicher Links auf Prozess-Berichterstatter, die auch Twitter nutzen – zum Beispiel Paul Brannan (Al Jazeera) und Helen Pidd (Guardian). Indes gefällt vor allem die Live-Twitterei der BBC aus Oslo nicht jedem.

Nur ein paar Klicks weiter findet sich auf Twitter immer noch der Account Breiviks mit 3.595 Followern und exakt einem Tweet – in dem er auf sein Manifest hinweist. Der Link führt mittlerweile ins Leere. Sein Profil auf Facebook ist nicht mehr vorhanden, dafür aber zig Gruppen, die ihren Hass auf Breivik zum Ausdruck bringen. Doch nur auf den wenigsten findet eine Auseinandersetzung mit dem Prozess und dem Amoklauf statt, die über wüste Beschimpfungen hinausgeht.

Test für den Rechtsstaat

In den ScienceBlogs löst sich Ali Arbia in einem lesenswerten Beitrag vom Fall Breivik und wendet sich der Frage zu, „was ein solcher Fall für den Rechtsstaat bedeutet und über unser Rechtsverständnis aussagt“.

Patrick Breitenbach beginnt beim „Dilemma der Medien“ und kommt von dort aus auf die „Mündigkeit des Rezipienten“ zu sprechen: „Nicht mehr ‚die Medien‘ sind Schuld, wenn wir mit Breivik eine neue Ikone des Bösen inklusive potenzieller Nachahmungstäter erschaffen, sondern allein wir selbst, denn zum ersten mal haben wir uns memetisch emanzipiert, d.h. wir können uns dem Einfluss eines Themas komplett entziehen. Daneben obliegt uns aber eben auch die Verpflichtung gewisse Themen nicht einfach so auszublenden. Wir müssen uns selbst aktiv um die Themen bemühen.“

Wenn alles vorbei ist

Der Politblogger freut sich schon auf andere Tage: „Der Tag wird kommen. Der Tag, an dem das Urteil über Anders Behring Breivik gesprochen wird. Anschließend wird man ihn wegsperren. Entweder ins Gefängnis oder in die Psychiatrie. Er wird nie mehr im Mittelpunkt des Interesses stehen. Er wird sich nie mehr öffentlich aufblasen dürfen.“

Pro Asyl missfällt ein anderer Aspekt: „Ist einer, der versucht, allen rassistischen Wahnsinn dieser Welt in seiner Person zu bündeln, wirklich nur ein irrer Einzeltäter? #breivik.“ Womöglich ist es genau dieser Aspekt, an dem man im Nachhinein wird beurteilen können, ob die Berichterstattung über den Prozess in Oslo gelungen ist oder nicht.

Werden die meisten Medien die rechtsextreme Ideologie, die aus dem Täter spricht, erkennen oder bleibt es bei der Darstellung eines „Spektakels“ rund um den „Irren von Utoya“?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • W
    webmarxist

    Breivik macht mehr schlecht als echt den rechten Hampelmann und die Journallie hat nichts besseres zu tun, als jedes Wort und jeden Pups auf seine Bedeutung hin zu untersuchen und interpretieren. Selten eine so inzsenierte und erbärmliche Vorstellung von Justiz und Presse gesehen.

     

    Das er maximal schuldig ist, ist bei 77 Toten klar! Die einzige prozessrelevante Frage: Knast oder Klappse. Der Rest ist Eitelkeitendarstellung von Richter, Staatsanwältin und Verteidigern sowie Breivik.

  • F
    Frage

    Und wie lautet die Haltung der taz?

  • D
    Domenq

    Breivik kämpft gegen die norwegischen Sozialdemokraten, die auf der Insel den eingebürgerten Nachwuchs ihrer Mehrheit an Wählerstimmen auf Kurs bringen.

     

    Das war Breivik's ursprüngliche Argumentation.

  • S
    stimmviech

    Breivik wird vermutlich nicht aus der Öffentlichkeit verschwinden, genauso wenig wie der Olympia-Attentäter Eric Rudolph, der aus dem Hochsicherheitsgefängnis aus den USA heraus eine Webseite betreibt und seine Morde an Abtreibungsgegnern darauf rechtfertigt. #

    Wenn man- was ich ja nicht tun würde- also auf die Todesstrafe verzichtet, wird man sich mit Breiviks Gedanken auch in Zukunft auseinandersetzen müssen.

    Und in diesem Zusammenhang auch mit den eigenen Ideologien. Sind wir soviel besser als Breivik, wenn wir die Afrikaner ins Hungerelend stürzen dadurch, daß wir ihre Meere industriell befischen? Und sind wir soviel besser, wenn wir die aus diesem Elend übers Meer flüchtenden Afrikaner wieder zurückschicken?

  • T
    Tajmahal

    Breivik stellt sich als ein Neo-Faschist dar, und rechtfertigt Massenmorde an 'Kulturmarxisten' mit dem Kampf gegen den 'Untergang des Abendlandes'. Dieses Buch schon mal gelesen? Also bloß nicht nach den Motiven oder nach der rechten Szene fragen, die ihn so feiert. Sonst gibt es vielleicht noch was aufs Dach. Lieber als durchgedrehte 'Killerbestie' darstellen, mit immerhin 8000 Facebook-Freunden. Na ja, da ist er uns als 'Irrer' isoliert im freien Raum lieber, sonst müßten wir nachdenken. Leute, fragt nicht nach den Ursachen! Das gibt ihm doch nur eine Bühne. Wenn ein Flugzeug mit 77 Insassen abstürzt, wollen wir die Ursachen ja wohl auch nicht wissen,oder? Bloss nicht danach suchen. Das gäbe ja nur eine Bühne für die Frage nach den Gründen!

  • WP
    Wolfgang Pohrt

    Wenn ein Idiot heute weder von Religion noch von Politik und auch sonst gar keine Ahnung hat – von der „Scharia“ quasselt er immer. Wenn es um den Islam geht, ist jeder Dorftrottel plötzlich Spezialist für Glaubensfragen, Orientalistik und Islamwissenschaft, ja sogar für Arabisch. In jedem Diskussionsforum im Internet gibt es faschistische Hetzer, die Koransuren angeblich aus dem Original zitieren, um zu beweisen, wie schrecklich und gefährlich der Islam sei.

     

    Diese Akribie erinnert an Eichmanns Judenreferat im Reichs­sicher­heitshauptamt der SS, wo mit der Zeit die umfassendste Sammlung von Judaika zusammengetragen wurde und die Beflissensten unter den Mördern sogar Hebräisch gelernt hatten. Die kannten den Talmud besser als jeder Jude. Und so ist das heute auch. Die Moslemfresser können Koransuren zitieren, die einem Moslem mit Sicherheit unbekannt sind.

     

    Breivik hat viele Brüder im Geiste.

  • A
    Alex

    Es ist doch ganz offensichtlich, Herr Breivik hat die Zeit seines Lebens, nicht umsonst hat er seinen eigenen Tod zu verhindern gewusst. Verrückt ist er vielleicht, dumm ganz sicher nicht, er weiss mit den Medien zu spielen und jene lassen sich nur zu bereitwillig darauf ein. Der Hitlergruß ist im wohl zu banal, Breivik will selber Führer sein und erdenkt sich seine eigene Herrenmenschengeste. Nun ist es die geballte rechte Faust, nicht sonderlich kreativ, aber die Aufmerksamkeit ist ihm sicher, es landen genau die Bilder auf den Titelseiten, die er sich wünscht. Das wir Breivik für sein Gemetzel einen Orgasmus nach dem anderen bereiten ist der eine Punkt, bald sind Psychiater sein einziges Publikum. Ein ganz anderer Punk aber, sind die übrigen Zeitbomben da draußen, die sich durch so eine Medienberichterstattung in der Annahme bestätigt sehen, durch Mord und Totschlag zu Popstars werden zu können.

    Insofern ist die Sache mit dem Ausblenden per Knopfdruck jawohl eine Alibimaßnahme, die Verantwortlichen in Presse und Rundfunk wollen die Verantwortung dem Rezipienten zuschieben. Presse und Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, aber die ethischen Grundsätze sind verdreht. Diese Show ist es, die Breiviks Brüder im Geiste geil macht, da könnte man auch Kinderpornographie veröffentlichen und dann darauf verweisen, dass der Leser sein Anrecht auf Information hat. Aber das tut man nicht, genauso wie meine keine abgeschlachteten Robbenbabys präsentiert oder von US-Militär-Jets zerfetzte Kinderleichen, dem Rezipienten nur keine wirkliche Grausamkeit zumuten, die Gewalt nicht zeigen wie sie ist. Aber der pervertierte Voyeurismus der Öffentlichkeit muss Auflage und Qoute zur Liebe befriedigt und der political correctness zur Liebe hinter dem Informationsauftrag versteckt werden. Und Breivik kann nicht aufhören zu grinsen, über seine aufgeklärten, guten Mitmenschen.

  • S
    spin

    >>Werden die meisten Medien die rechtsextreme Ideologie, die aus dem Täter spricht, erkennen oder bleibt es bei der Darstellung eines „Spektakels“ rund um den „Irren von Utoya“?

  • T
    Tunfisch

    Würde der Brevik-Prozeß nicht so wie damals der O.J.Simpson-Prozess medial so stark verbreitet werden, wäre das Massaker das was es ist, die Tat eines geisteskranken Einzeltäters.

     

    So aber wird der Täter nachträglich hochstilisiert und verschiedene Verbindungen (siehe NSU, PI, Broder) konstruiert, die gar nicht existieren. Das solche Organisationen wie Pro Asyl Mißbrauch mit der Tat begehen ist leider typisch, von der AmadeoAntonio Stiftung kennen wir das auch.

    Das ist eine Schande für die Medien und diese Nutznießer-Vereine und ein Schlag ins Gesicht der Opferfamilien.

  • H
    Heidi

    Mir missfällt die öffentl. gar so ausführliche Berichterstattung. Damit gibt man dem Täter viel zu viel Raum und spielt ihm auch noch in die Hände. Die Frage inwieweit jemand mit solchem Profil und wahnhaften Gedanken trotzdem verantwortlich gemacht werden kann im strafrechtlichen Sinne wird doch nicht von der Öffentlichkeit beantwortet werden können. Eine indirekte Berichterstattung ergebnisorientiert wäre völlig ausreichend. Es bleibt die Frage,inwieweit und wieviel Voyeuristischer Journalismus sich hinter dem Deckmantel der Aufklärung verbirgt. Ich meine viel.

  • T
    tommy

    "Pro Asyl missfällt ein anderer Aspekt: „Ist einer, der versucht, allen rassistischen Wahnsinn dieser Welt in seiner Person zu bündeln, wirklich nur ein irrer Einzeltäter? #breivik.“ Womöglich ist es genau dieser Aspekt, an dem man im Nachhinein wird beurteilen können, ob die Berichterstattung über den Prozess in Oslo gelungen ist oder nicht."

     

    War ja klar, dass Gruppen wie ProAsyl Breiviks Mordtat nutzen wollen, um alles, was sie als "Rassismus" bezeichnen (sprich jede Haltung, die auch nur ein bißchen kritisch gegenüber der von ProAsyl befürworteten Masseneinwanderung ist) zu kriminalisieren. Wer versucht, die Debatte über Einwanderung dermaßen einzuschränken, muss sich nicht wundern, wenn labile Charaktere wie Breivik sich gewalttätige Wege suche, um ihrem Anliegen Geltung zu verschaffen.

  • DH
    Dr.Klaus Heine

    Brutalität von irregeleiteten Menschen, sei es nun in Rechtradikalität, wie im Falle Breivik, oder durch Morde der linken Szene wird sich wohl nie auslöschen lassen. Friedliches Zusammenleben der Menschen auf einem immer enger werdenden Globus wird rar.

    In -zig Kriegen unserer Zeit sehen wir doch laufend

    Beispiele vom asozialen, gewaltätigen homo sapiens.

    Jeder Tote, der durch andere politische Überzeugung, durch Neid, Gier nach Geld oder Macht sein Leben lassen mußte, sollte zum Nachdenken aufrufen, warum es geschah und wie es vermieden werden kann. Ändern wird sich leider wenig dadurch, egal ob nun dieser Norweger seine Bühne für kurze Zeit bekommt, oder ohen Aufsehen verurteilt und dann still weggeschlossen wird. Diesen Pessimismus werde ich nicht los.

  • F
    fuchs

    Ich finde die öffentliche Berichterstattung gut. Allerdings sollte man es sich nicht so einfach machen, A.B. als Irren abzutun. Eine öffentliche Diskussion darüber, wie solche Täter sich entwickeln, wäre nicht schlecht.

    So monströs die 77 Erschossenen in Norwegen auf uns wirken, in anderen Ländern der Welt gibt es viele solcher Rassisten, Rebellen, Guerillas, Bombenleger...

    Auch unsere Außenpolitik geht ja inzwischen dazu über, anstelle von Diplomatie lieber gleich Krieg zu führen, da wird Gewalt von offizieller Seite als Lösungsansatz vorgelebt.

    Wird Deutschland in Afganistan verteidigt (Peter Struck, SPD)?