Brandenburger Landespolitik: Im besten Sinne staatstragend
Dietmar Woidke erhält bei seiner Wiederwahl als Ministerpräsident auch Oppositionsstimmen. Die dürften von der CDU kommen, obwohl die das bestreitet.
Königsmacher“ sei die CDU ein paar Stunden zuvor gewesen, war von einem AfD-Abgeordneten am Donnerstagnachmittag im Brandenburger Landtag zu hören. So sei aus einer neuen Oppositionspartei ganz schnell wieder eine Regierungspartei geworden. Das war als Kritik vorgetragen und sollte mutmaßlich abschätzig klingen.
Tatsächlich hat der AfD-Mann den Christdemokraten ungewollt ein Lob ausgesprochen. Denn mutmaßlich dabei mitgeholfen zu haben, den SPD-Mann Dietmar Woidke jenseits aller Parteitaktik zwar nicht zum König, aber erneut zum Ministerpräsidenten zu machen und damit einer Destabilisierung entgegenzuwirken, ist staatstragend im besten Sinne und maximal lobenswert.
Zur Erinnerung: Woidke hatte am Donnerstag im ersten Wahlgang nur 43 statt der nötigen 45 Stimmen im 88-köpfigen Landtag erhalten. Wenn aus seiner tags zuvor vertraglich festgeschriebenen Koalition mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) nur eine Stimme gefehlt hätte, wäre das keine Überraschung gewesen.
Denn der BSW-Abgeordnete Sven Hornauf hatte angekündigt, für niemanden zu stimmen, der – wie Woidke – die Aufstellung des Raketenabwehrsystems Arrow 3 in Brandenburg unterstützt. Ohne Hornauf hätte es aus der Koalition aber immer noch 45 Stimmen und damit trotzdem die nötige Mehrheit geben müssen. Nun aber waren es nochmal zwei weniger.
Tiefpunkt für Woidke
Jetzt hätte man sich ganz entspannt geben, ein Durchfallen auch im zweiten Wahlgang in Kauf nehmen und alles auf den dritten ankommen lassen können. Denn dort gilt die einfache Mehrheit – Woidke hätte bloß mehr Ja- als Nein-Stimmen gebraucht, und im ersten Wahlgang standen den 43 Ja- 40-Nein-Stimmen und mehrere Enthaltungen und ungültige Stimmen gegenüber.
Doch schon ein zweiter Wahlgang war ein Tiefpunkt in der 34-jährigen Geschichte brandenburgischer Ministerpräsidentenwahlen – bei den drei Amtsinhabern Manfred Stolpe, Matthias Platzeck und eben Woidke 2014 und 2019 reichte zuvor jeweils ein Wahlgang.
Das war die Ausgangssituation, vor der die CDU nach dem ersten Wahlgang stand. Eine weitere Beschädigung von Woidke ansteuern, dem parteipolitischen Gegner, aber dafür zugleich eine Beschädigung des Amtes hinnehmen? Vielleicht auch im dritten Wahlgang mit Nein stimmen und samt der AfD und Abweichlern aus der Koalition dafür sorgen, dass Woidke komplett durchfällt?
CDU-Fraktionschef dementiert
Das kann die CDU nicht gewollt haben, und deshalb haben sich mutmaßlich zumindest einige Abgeordnete gefragt: Warum dann nicht schon im zweiten Wahlgang zustimmen? Auf diese Weise dürfte es passiert sein, dass es im zweiten Anlauf 50 Ja-Stimmen und damit mindestens vier gab, die nicht von SPD und BSW kamen.
Daran ändert auch nichts, dass CDU-Fraktionschef Jan Redmann genau wie die AfD behauptete, aus seiner Partei habe es keine Unterstützung gegeben und Woidke sei mit Hilfe der AfD gewählt worden.
Denn was wäre gewesen, wenn Woidke gescheitert wäre? Die Situation war ja komplett anders als vor eineinhalb Jahren in Berlin, als Kai Wegner (CDU) erst im dritten Wahlgang Regierender Bürgermeister wurde. Die AfD behauptete damals ganz anders als nun im Fall Woidke, mehrere ihrer Abgeordneten hätten für Wegner gestimmt und ihn damit ins Amt gebracht.
Anders als in Brandenburg gab es in Berlin nämlich eine Alternative zu jener schwarz-roten Koalition, die kurz davor war, Wegner durchfallen zu lassen: Auch ein rot-grün-rotes Bündnis hätte im Abgeordnetenhaus eine Mehrheit. Da wäre es gegen das ureigene Interesse von Grünen und Linkspartei gewesen, Wegner über die Hürde zu helfen.
Scheitern Woidkes hätte zu Neuwahlen geführt
Ganz anders nun in Potsdam. Dort kommt seit der Wahl vom 22. September jenseits von ausgeschlossenen Bündnissen mit der AfD nur eine SPD-BSW-Koalition – zumindest rechnerisch – auf eine absolute Mehrheit im Landtag. SPD und CDU hätten zusammen nur 44 der 88 Sitze gehabt. Aus einer solchen „Patt“-Situation heraus zu regieren, wie es jetzt in Thüringen der neue Ministerpräsident Mario Voigt (CDU) mit Unterstützung der Linkspartei versucht, hatte die Brandenburger CDU ausgeschlossen.
Die Folge wären Neuwahlen gewesen. Dazu wäre gar keine gescheiterte Vertrauensfrage nötig gewesen, wie sie im Bundestag am Montag ansteht. Denn in Artikel 83 der Landesverfassung heißt es: „Kommt die Wahl des Ministerpräsidenten innerhalb von drei Monaten nach der Konstituierung des Landtages nicht zustande, so gilt der Landtag als aufgelöst.“ Das wäre am 22. Januar passiert.
Ohne dass sich das auf Umfrageergebnisse stützen würde: Anzunehmen ist, dass die SPD, von Woidke im September unter vollem persönlichen Einsatz gerade noch an der AfD vorbei zum Wahlsieg geführt, nach dieser Schmach verlieren und die CDU im Zuge ihres bundesweiten Aufwinds auch in Brandenburg dazugewinnen würde.
Zwangsläufig aber würde dann aber die AfD profitieren, weil nach einem Debakel am Donnerstag noch mehr Menschen das Vertrauen in demokratische Institutionen wie den Landtag verlieren dürften. Die Regierungsbildung wäre danach kaum leichter geworden.
Wer auch immer unter den zwölf Mitgliedern der CDU-Fraktion in geheimer Wahl für Woidke stimmte, ist als wirklicher Demokrat zu betrachten und als jemand, der oder die einen anderen Artikel der Landesverfassung ernst genommen hat, den mit der Nummer 55: „Die Opposition ist ein wesentlicher Bestandteil der parlamentarischen Demokratie.“
Dieser Satz bedeutet auch: Die Opposition hat nicht destruktiv am Rand zu stehen, wenn das größere Ganze in Gefahr ist. Genau das ist der Unterschied zwischen einer Oppositionsfraktion, die zum Staat und seinen Einrichtungen steht, ihn bloß besser funktionieren lassen möchte als die Regierung – und eben jener, der es um reines Unterminieren geht.
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