Brandenburg, die "kleine DDR": Märkischer Landraub
Rund 10.000 so genannte Bodenreform-Grundstücke hat sich das Land Brandenburg selbst überschrieben. Der Regierung droht nun ein Untersuchungsausschuss.
Auf den ersten Blick befasst sich der Haushaltsausschuss des Brandenburger Landtags diesen Montag mit Dingen wie Haftungsfreistellungserklärungen und Aufstellungsansprüchen. Auf den zweiten Blick befasst sich der Ausschuss mit einer Geschichte, die viel über Politikverständnis, Verwaltungsherrlichkeit und -willkür zeigt, in einem Land, das vom einstigen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD) nicht nur als "kleine DDR" bezeichnet, sondern von der Regierung wohl auch ein wenig so regiert wurde.
Es geht um nicht weniger als die Frage, ob das Land Brandenburg seine Bürger vielfach um ihren rechtmäßigen Grundbesitz gebracht, ja gerade zu enteignet hat. Darüber wollen sich die Mitglieder des Haushaltsausschusses in einer Sondersitzung aufklären lassen - und gegebenenfalls einen Untersuchungsausschuss einberufen.
10.000 sogenannte Bodenreform-Grundstücke hat sich das Land nach Meinung des Bundesgerichtshofs (BGH) unrechtlich angeeignet. Das sind Grundstücke, die im Zuge der Bodenreform in Ostdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg an sogenannte "Neubauern" verteilt worden waren. Bei der Enteignung der Erben sei das Verhalten des Bundeslandes "eines Rechtsstaates unwürdig" gewesen, heißt es in dem Urteil - damit umschrieben die Richter höflich-juristisch, dass Brandenburg sich verhalten hat wie eine Bananenrepublik.
Nun droht der Regierung ein Untersuchungsausschuss. Die große Koalition steht unter Spanung und die Staatsanwaltschaft Potsdam prüft, ob sie wegen Untreue oder Betrugs gegen das Land ermitteln soll.
Was war geschehen? Kurz bevor im Oktober 2000 eine Frist ablief, mit der das Land Brandenburg eigene Ansprüche auf die Bodenreform-Grundstückeheuet erheben konnte, wurde das Land aktiv: Zunächst mussten die Ängste der Kommunen ausgeräumt werden. Mit großzügig ausgestellten so genannten Haftungsfreistellungserklärungen entband die Regierung die Kommunen von der Pflicht, selbst nach möglichen Grundstückserben zu suchen. Dann ließ sich Brandenburg von den Landkreis-Mitarbeitern kurzerhand selbst als "gesetzlicher Vertreter" in die Grundbücher eintragen, wenn kein rechtmäßiger Erbe eines Bodenreform-Grundstücks bereitstand. Sei es, weil es einen solchen Erben gar nicht gab, sei es, weil das Land nicht hinreichend gesucht hatte. In 10.000 Fällen erklärte sich das Land Brandenburg damit in aller Stille zum Grundstückseigentümer. Die bis dato unbekannten Erben wurden de facto enteignet. Zwei Brüder aus dem märkischen Dorf Genschmar klagten nun erfolgreich vor dem Bundesgerichtshof.
Das Land habe sich bei der Enteignung der Erben sittenwidrig verhalten, schimpfte das Gericht. Und mehr noch: Brandenburg habe sich das Grundstück in einer Art angeeignet, "die nachhaltig an die Praxis der Verwalterbestellung der DDR erinnert".
Ein Rückschlag für die brandenburgische Regierung, die jetzt die 10.000 Grundstücke an die rechtmäßigen Erben übertragen oder diese gegebenenfalls entschädigen muss.
Den Vorwurf, das Land habe sich bereichern wollen, weist Ingo Decker, Sprecher des Finanzministeriums, jedoch zurück: "Es ging nur darum, mögliche Ansprüche zu sichern", sagt er. Die Grundbuchübertragungen ohne Prüfung eines Richters seien zum damaligen Zeitpunkt nach juristischer Mehrheitsmeinung rechtens gewesen.
Finanzminister Rainer Speer (SPD) will sich in der Sondersitzung des Haushaltsausschusses erstmals zu dem Urteil des BGH äußern. Kerstin Kaiser, Fraktionsvorsitzende der Linken im brandenburgischen Landtag, fordert, es müsse geklärt werden, wer für das vom BGH gerügte Verfahren verantwortlich gewesen sei und welche Schadenersatzansprüche nun auf das Land zukämen. Das Finanzministerium hat derweil eine Info-Hotline für verunsicherte Bürger eingerichtet. Innerhalb eines Tages gingen über hundert Anfragen ein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos