Brandanschlag in Saarlouis 1991: Prozess gegen „Gewaltäter“
Beim Brand der Asylunterkunft in Saarlouis starb Samuel Yeboah. Jetzt wird dem Hauptbelastungszeugen Beihilfe zum Mord vorgeworfen.
Das OLG hat den jüngeren Peter S. im Oktober letzten Jahres wegen der Haupttat nach Jugendrecht zu sechs Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt, weil er zur Tatzeit erst 20 Jahre alt war. Nun geht es um den möglichen Tatbeitrag des älteren St., laut Anklage „Initiator“ des Brandanschlags.
Man kann sich den Zeugen Heiko S., inzwischen 51 und sichtlich gealtert, kaum noch als jungen Skinhead vorstellen. Ein roter Pulli spannt über seinem Bauch. Er blinzelt durch dicke Brillengläser, hakt mehrfach nach, weil er Fragen nicht auf Anhieb versteht.
Seit einer lebensbedrohlichen Sepsis, die er nur knapp überlebt hat, klagt er über Erinnerungslücken, nimmt Psychopharmaka, leidet unter Schlafstörungen und Depressionen. Schon Mitte der 1990er ist er aus der rechten Szene ausgestiegen, gilt als „Verräter“. Doch er steht zu seiner Vergangenheit. Sein Kopf trägt noch immer das Tattoo „Gewaltäter“, mit nur einem t. „Bei Schlägereien war ich auch dabei“, bekennt er.
Am Vorabend des tödlichen Brandanschlags waren die drei zusammen, Heiko S., der damals 20-jährige Peter S. und der angeklagte Peter St. „Wir sind nicht in die Kneipe, um Wasser zu trinken“, erinnert sich Heiko S. an das Besäufnis im „Bayerischen Hof“. Allerdings habe er danach noch selbstständig zu Fuß nach Hause gehen können. „Der St. hat schon bestimmt“, sagt Heiko S. und bestätigt dessen Führungsrolle.
Auf die Frage, ob er mehr als 30 Jahre nach dessen Ausstieg noch Angst vor St. habe, antwortet sein früherer Kumpel mit einem klaren Ja: „Er ist gewalttätig.“ Bedeutend ist seine Erinnerung an den Satz, als von den Angriffen auf Ausländer in Hoyerswerda die Rede war: „Hier müsste auch mal so was passieren!“, habe St. gesagt.
Vorbild rechter Mob in Hoyerswerda
Mit Sympathie hätten sie über die gewalttätigen Angriffe des rechten Mobs in Hoyerswerda gesprochen, erinnert sich der Zeuge. „Bei uns müsste auch mal etwas brennen oder passieren!“, steht in einer Vernehmungsakte aus dem Jahr 2020. Das Wort „brennen“ wertet die Bundesanwaltschaft als Initialzündung für den Brandanschlag.
Auch auf mehrfache Nachfrage erinnert sich Heiko S. daran nicht. Das Wort „brennen“ habe er sogar mit Kuli aus dem polizeilichen Vernehmungsprotokoll gestrichen, sagt er. Er habe die Worte von St. damals eher so verstanden, dass die Gruppe vielleicht am nächsten Tag zum Asylbewerberheim ziehen würde, „um Randale zu machen“, wie in Hoyerswerda, „um ihnen Angst zu machen, damit sie verschwinden“.
Als er am Morgen nach der Tat vom Brandanschlag gehört habe, sei er überrascht gewesen. S. habe ihn am Telefon informiert; die Menschen säßen vor dem Heim auf Matratzen auf der Straße, habe der berichtet, kannte also offenbar die Szenerie am Tatort. Er habe S. zwar gefragt, ob der den Brand gelegt habe, doch eigentlich habe er es ihm nicht zugetraut. „Er hat nicht die Eier, so eine Tat zu begehen“, so Heiko S. fast 33 Jahre später.
Für die Verteidigung ist mit der Aussage von Heiko S. die Anklage gegen ihren Mandanten zusammengebrochen; Rechtsanwalt Wolfgang Stahl beantragt deshalb die Entlassung des Angeklagten aus der Untersuchungshaft. Bundesanwaltschaft und Nebenkläger widersprechen. Der Senat muss nun entscheiden, ob St. bei der nächsten Hauptverhandlung freikommt.
In jedem Fall wird sich der Bundesgerichtshof mit dem tödlichen Brandanschlag von Saarlouis beschäftigen müssen. Gegen das Strafurteil gegen Peter S. haben Bundesanwaltschaft, Verteidigung und Nebenklage Revision eingelegt. Die Klageschriften sind fristgerecht eingegangen und nach Karlsruhe weitergeleitet worden.
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