Branchenreport Atomlobby: Castoren und Windräder im Angebot
Längere Laufzeiten? Viele Zulieferbetriebe sind darauf nicht angewiesen: Sie machen Atomgeschäfte im Ausland und verdienen am Rückbau von AKWs.
Glühendes Metall brodelt in großen Bottichen. Die Luft in der Gießerei ist stickig, es riecht verbrannt. Der Boden ist mit schwarzem Sand bedeckt. "Shpäroguss" nennt sich das 1.300 Grad heiße Gemisch, sagt Wolfgang Steinwarz. "Eisen mit Kohlenstoffeinschlüssen, die die Festigkeit erhöhen." Der Physiker, ein freundlicher Rheinländer mit grauem Bart, leitet die Nuklearsparte der Firma Siempelkamp in Krefeld.
In Gussformen, die acht Meter tief in die Erde ragen, entsteht aus dem glühenden Material ein Produkt, das zum Symbol für den Widerstand gegen die Atomkraft geworden ist: der Castor. Etwa 50 Behälter werden jedes Jahr für die abgebrannten Brennelemente aus deutschen Reaktoren gebraucht. Mehr als die Hälfte der 165 Tonnen schweren stählernen Rohlinge werden in der Gießerei von Siempelkamp im Auftrag der Gesellschaft für Nuklearservice hergestellt.
Das Unternehmen, das etwa 550 seiner insgesamt 2.600 Mitarbeiter in der Nuklearsparte beschäftigt, könnte also zu den Gewinnern gehören, wenn die Bundesregierung wie angekündigt die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängert. Schließlich werden dann mehr Castor-Behälter gebraucht. Auch die Lieferung von Schraubenspannmaschinen, Kränen und Diagnosesystemen für Atomkraftwerke verspricht bei längeren Laufzeiten auch längere Geschäfte für die Firma.
Siempelkamp ist eins von etwa 40 Unternehmen, die dem Deutschen Atomforum zufolge als Lieferanten oder Dienstleister im Nuklearbereich tätig sind. Die Zahl der Arbeitsplätze in diesen Betrieben reicht von einigen Dutzend bis zu mehreren tausend. Doch wie viele davon tatsächlich an der Atomkraft hängen, kann der Lobbyverein der Branche nicht sagen. Denn meist ist Kerntechnik nur eine Sparte von vielen. Und während die positiven Auswirkungen der Laufzeitverlängerung für die AKW-Betreiber Eon, RWE, EnBW und Vattenfall unbestritten sind, ist die Situation für den Rest der Branche weniger eindeutig.
"Kurzfristig würde der Ausstieg für uns keinen Unterschied machen", sagt Siempelkamp-Geschäftsführer Steinwarz. Dass das Unternehmen die politische Debatte relativ entspannt sehen kann, hat mehrere Gründe: Zum einen erzielt Siempelkamps Nuklearsparte etwa die Hälfte ihres Umsatzes im Ausland. Zu den größten Aufträgen gehören die sogenannten Core-Catcher für neue Druckwasserreaktoren, die Siempelkamp unter Leitung von Steinwarz in einem jahrelangen Prozess entwickelt hat. Die riesigen, aus 800 Gussteilen zusammengesetzten Kühlwannen sollen in neu gebauten Atomkraftwerken bei einer Reaktorkatastrophe die Kernschmelze auffangen. Das erste Exemplar wurde im vergangenen Jahr ins finnische Olkiluoto geliefert, drei weitere sind bestellt.
Zum Zweiten wäre auch der Ausstieg ein gutes Geschäft für Siempelkamp. "Nach der Stilllegung eines Reaktors wird dort noch 10 bis 15 Jahre gearbeitet", sagt Steinwarz. "Nicht nur Neubau, auch Abreißen ist Hightech." So ist Siempelkamp beim Atomkraftwerk in Stade, das 2003 stillgelegt wurde, für Demontage, Zerlegung, Verpackung und Entsorgung des Reaktordruckbehälters zuständig.
Für das Recycling des radioaktiv belasteten Stahls betreibt das Unternehmen in Krefeld eine selbst entwickelte Schmelzanlage. Diese ermöglicht es, bis zu 95 Prozent des Materials wiederzuverwenden - etwa für die kleineren Atommüllbehälter namens "Mosaik". Mehrere hundert dieser Gefäße für schwachradioaktiv strahlende Abfälle werden in Krefeld jedes Jahr gegossen.
Der dritte Grund, warum Siempelkamp mit dem Ausstiegsbeschluss relativ gut leben konnte, entsteht in der Gießerei gleich neben den Castor-Behältern: Rotor-Naben, Maschinengehäuse und Achszapfen für Windräder. Bis zu 50 Tonnen wiegen die gewaltigen Stahlkolosse, die später in großer Höhe umweltfreundlich Strom erzeugen werden. "Ohne unsere Erfahrungen in der Kernenergie könnten wir die nicht produzieren", freut sich Steinwarz. Die Rotornaben bestünden "praktisch aus dem selben Sphäroguss-Material, das wir für die Castor-Behälter entwickelt haben".
Im Jahr 1998, gerade als die rot-grüne Bundesregierung über den Atomausstieg verhandelte, stieg Siempelkamp in diesen Markt ein. Zwölf Jahre später werden haben die Windkraft-Komponenten, die in der Krefelder Gießerei produziert werden, die Castor-Behälter vom Gewicht her eingeholt. Das vielfältige Engagement macht sich bezahlt: "Für die nächsten 20 bis 30 Jahre fühlen wir uns unabhängig von den politischen Entscheidungen gut abgesichert", sagt Steinwarz.
Mit dieser Haltung steht Siempelkamp nicht allein. Wenn man sie danach fragt, relativieren viele Unternehmen die Bedeutung der AKW-Laufzeiten in Deutschland. Die frühere Hanauer Firma Nukem, die heute in Alzenau sitzt, erwirtschaftet mehr 95 Prozent ihres Umsatzes im Ausland. "Daher hat die politische Situation in Deutschland momentan keinen Einfluss auf Mitarbeiterzahl, Umsatz oder Gewinn des Unternehmens", erklärt das Unternehmen, das 200 Mitarbeiter beschäftigt. Cegelec, ein aus der AEG hervorgegangenes Unternehmen mit 1.800 Mitarbeitern in Deutschland und Österreich, das an 11 der deutschen AKW-Standorte als technischer Dienstleister tätig ist, fürchtet zwar "weitreichende negative Auswirkungen" eines Ausstiegs. Doch "konkret beziffern" ließen sich diese nicht - "auch vor dem Hintergrund, dass das Leistungsportfolio unseres Unternehmens auch einen mehrere Jahre dauernden Rückbau der Anlagen abdeckt". Enrichment Technology aus Jülich, wo 740 Mitarbeiter Anreicherungstechnik herstellen, teilt mit: "Der Ausstieg Deutschlands aus der Kernenergie würde unser Geschäft nicht negativ beeinflussen." Und auch im Bereich Nuclear Technologies des Energie-Konzerns Evonik würden einer Sprecherin zufolge "voraussichtlich keine Arbeitsplätze entfallen, wenn Deutschland wie geplant aus der Kernenergie aussteigt".
Klare Aussagen. Doch obwohl die meisten der genannten Unternehmen Mitglied im Deutschen Atomforum sind, gibt es solche ausgewogenen Stellungnahmen dort nicht zu hören. Der Lobbyverein der Branche wird traditionell von den vier großen Stromkonzernen dominiert - Präsident Ralf Güldner kommt ebenso wie Vorgänger Walter Hohlefelder vom größten Profiteur der schwarz-gelben Atompläne, dem Energiekonzern Eon.
In Eon-Atomkraftwerk Grafenrheinfeld sind die Auswirkungen der Laufzeitverlängerung leicht zu berechnen. "1.345 Megawatt" leuchtet auf einer Digitalanzeige im Besucherzentrum als momentane Leistung. Der Druckwasserreaktor läuft unter Volllast. Weil die Baukosten des 29 Jahre alten Kraftwerks längst abgeschrieben sind, beschränken sich die Ausgaben für den Betreiber auf die Gehälter der 370 Mitarbeiter sowie die Kosten für Brennstoff, Wartung und Entsorgung. Aus Schätzungen des Öko-Instituts geht hervor, dass das AKW Grafenrheinfeld in jeder Betriebsstunde einen Gewinn von 48.500 Euro erwirtschaftet. Das sind gut 400 Millionen Euro im Jahr.
Selbst wenn die Bundesregierung wie geplant zunächst eine Brennelementesteuer und später eine Öko-Abgabe in Höhe von 9 Euro je Megawattstunde kassiert, bleiben über 300 Millionen Euro im Jahr übrig. Allein in Grafenrheinfeld führen die 14 Jahre Laufzeitverlängerung, die die Bundesregierung dem Reaktor zubilligen will, beim Betreiber Eon demnach zu zusätzlichen Gewinnen von über vier Milliarden Euro.
Darüber kann sich auch die kleine Gemeinde freuen, in der das AKW liegt. Schon jetzt verfügt Grafenrheinfeld, deren Doppelturm der Marktkirche von den zwei Kühltürmen des Kraftwerks in den Schatten gestellt wird, über eine Infrastruktur, von der andere 3.400-Seelen-Dörfer träumen: eine riesige Sporthalle, eine fast täglich geöffnete, gut sortierte Bibliothek, ein überdimensioniertes Veranstaltungszentrum, eine hochmodern ausgerüstete, frisch sanierte Schule. Straßen, in denen kein einziges Schlagloch zu finden ist. Neu gepflasterte Fußwege. Perfekt gepflegte Grünflächen.
Das Eon-Kernkraftwerk ist nicht nur Sponsor des Sportvereins, Mäzen des Kulturvereins und größter Anzeigenkunde auf dem örtlichen Stadtplan und im Extrablatt. Vor allem zahlt das Unternehmen Gewerbesteuer. Rund zehn Millionen Euro waren es in den vergangenen Jahren jeweils - mit Abstand der größte Posten im Haushalt. Eigentlich wäre damit 2014 Schluss gewesen. Was der kleine Ort mit dem vielen Geld machen will, den ihm die Laufzeitverlängerung um 14 Jahre voraussichtlich beschert, weiß die parteilose Bürgermeistern Sabine Lutz noch nicht. Ein Freibad sei wegen des nahen Badesees unnötig, eine Indoor-Ski-Halle umstritten. "Aber uns fällt schon was ein."
Auch 100 Kilometer südöstlich von Grafenrheinfeld, beim größten deutschen Hersteller von Nukleartechnik, Areva NP, ist die Stimmung gut: In den vergangenen sechs Jahren stieg die Zahl der Arbeitsplätze von unter 3.000 auf 5.500 an. Auf dem weitläufigen Gelände sind moderne Büros und Labore entstanden. Die Fläche, die das deutsch-französische Gemeinschaftsunternehmen im Industriegebiet von Erlangen belegt, wurde kürzlich von 71.000 auf 100.000 Quadratmeter ausgedehnt. Doch mit den Laufzeiten im Atomkraftwerk Grafenrheinfeld, mit den politischen Entscheidungen in Deutschland insgesamt hat dies Wachstum kaum etwas zu tun. Und auch nicht mit dem jüngsten Geschäftsfeld der erneuerbaren Energien, die bei Areva derzeit erst zwei Prozent zum Umsatz beitragen. Entscheidend ist das atomare Auslandsgeschäft.
In einer gesicherten Halle auf dem Firmengelände, geschmückt mit Fahnen aus Deutschland, Finnland und Frankreich, blinken und surren derzeit 160 Leittechnik-Schaltschränke - jeder von der Größe eines Kleiderschranks. "Wir testen die Technik unter realen Bedingungen", sagt Johannes Pickelmann. Der 35-jährige Ingenieur, der schon seit 20 Jahren bei Areva arbeitet, freut sich sichtbar: Zum ersten Mal wirkt er nicht an Nachrüstungen und Wartung mit, sondern an einem Neubau. Die Schaltschränke aus Erlangen, der derzeit noch im Simulationsbetrieb laufen, sind für das finnische Atomkraftwerk Olkiluoto bestimmt. Dort sollen sie die gesamte Sicherheits- und Betriebsleittechnik steuern - etwa dafür sorgen, dass bei einem Stromausfall die Kettenreaktion im Reaktor gestoppt wird, indem automatisch Steuerstäbe zwischen die Brennstäbe fallen. Auf dem Projekt Olkiluoto, das international bisher vor allem wegen erheblicher Überschreitungen von Zeit- und Kostenplan in den Schlagzeilen ist, ruhen die Zukunftshoffnungen von Areva. Dort ist auch noch Siemens mit im Boot, der 34 Prozent an Areva hält. Nach Streit über mangelnden Einfluss hat der Industriekonzern, der sämtliche deutschen Atomkraftwerke gebaut hat, allerdings seinen Ausstieg aus dem Joint Venture erklärt. In Deutschland ist Areva NP auch heute noch aktiv - vom nordrhein-westfälischen Lingen aus beliefert das Unternehmen 13 der 17 deutschen Atomkraftwerke mit Brennelementen. Nicht nur im nahen Grafenrheinfeld, sondern bei jeder Jahresrevision in einem deutschen Reaktor sind bis zu 250 Areva-Mitarbeiter vor Ort. Vom Überprüfen und Auswechseln der Brennstäbe bis zur inneren Untersuchung von Rohrleitungen mit selbst entwickelten Robotern sind sie an allen Wartungsarbeiten beteiligt.
Doch auch bei Areva wären durch den deutschen usstieg voraussichtlich keine Arbeitsplätze bedroht gewesen. "Wir richten unsere Mitarbeiterzahl an den jeweils gültigen politischen Rahmenbedingungen aus", sagt Areva-Abteilungsleiter Uwe Stoll. "Wenn der Ausstieg wie geplant käme, bliebe die Zahl vermutlich gleich - zumal auch die Demontage von Kernkraftwerken zu unseren Aufgaben gehört."
Doch die fällt nun für die nächsten Jahre aus. Statt sie für den Rückbau von Atomkraftwerken zu verwenden, können die Stromkonzerne ihre eigens für Stilllegung und Endlagerung gebildeten Rücklagen - insgesamt rund 27 Milliarden Euro - auch künftig gewinnbringend anlegen. Weitere Großprojekte wie in Stade, wo sieben Jahre nach der Stilllegung des Reaktors noch 400 bis 450 überwiegend externe Arbeiter am Rückbau arbeiten, für den Eon eine halbe Milliarde ausgibt, wird es zunächst nicht geben. Kritik daran mag in der Branche aber niemand äußern.
Trotz der beschränkten wirtschaftlichen Bedeutung für die eigenen Unternehmen stehen die Zulieferer in Treue fest zur deutschen Atomkraft. Dabei spielt wohl auch die eigene Biografie eine Rolle. "Als Ingenieur, der seit Jahrzehnten mit Kernkraft arbeitet, fällt es mir oft schwer, die Entscheidungen der deutschen Politik nachzuvollziehen", sagt Areva-Ingenieur Uwe Stoll, der einst am Moskauer Energetischen Institut studiert hat und heute in der Reaktorsicherheitskommission das Bundesumweltministerium berät. Dass auch die Demontage von Atomkraftwerken ein gutes Geschäft ist, spielt für ihn keine Rolle. "Als Ingenieur baue ich lieber auf als ab", sagt er dazu nur.
"Die Diskussion nur auf Arbeitsplätze zu reduzieren, ist zu kurz gegriffen", meint auch Areva-Sprecher Mathias Schuch. "Wir sind in Erlangen nicht nur der zweitgrößte Arbeitgeber, sondern auch ein wichtiger Auftraggeber für andere Unternehmen, ein großer Ausbildungsbetrieb und Sponsor für Sport und Kultur." Unter anderem als Hauptsponsor des 1. FC Nürnberg versucht der Atomkonzern, sich in der Region bekannt und beliebt zu machen.
Auch Wolfgang Steinwarz, der Geschäftsführer von Siempelkamp Nukleartechnik, will die Debatte nicht auf wirtschaftliche Aspekte beschränkt sehen. "Kernenergie ist für mich eine Lebensaufgabe", sagt der Ingenieur, der sein ganzes Berufsleben in der Nuklearbranche verbracht hat. "Da steckt auch Herzblut drin." Darum engagiert er sich ehrenamtlich für die Nachwuchsförderung, hält Vorträge an Universitäten, prämiert die besten Doktorarbeiten zum Thema Atomkraft. Die beschlossenen Laufzeitverlängerungen reichen dem Rheinländer nicht - er spricht sich offen für AKW-Neubauten auch in Deutschland aus.
Über die Branche der Erneuerbaren redet er trotz der wachsenden Bedeutung der Windkraft für die Krefelder Gießerei eher skeptisch: "Persönlich halte ich es für falsch, allein auf Sonne und Wind zu setzen."
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