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Boykott gegen israelische DJsDie Party ist vorbei

Der Gründer der israelischen Partyreihe Laundrette ist ein radikaler Kritiker Israels. Die propalästinensische Partyszene diffamiert ihn trotzdem.

Veranstaltungsplakat der Party-reihe Laundrette (Ausschnitt) Foto: resident advisor

Aus Tel Aviv

Jessica Ramczik

In Tel Aviv wurde die queere Partyreihe Laundrette einst gegründet, um einen Freiraum zu schaffen, für queere Menschen, für politische Außenseiter:innen, für alle, die in Israels zunehmend konservativer Gesellschaft keinen Platz finden. Einer der Mit­grün­de­r:in­nen ist Avichai Partok, DJ, Veranstalter und erklärter Gegner des israelischen Besatzungsregimes. Heute steht er im Zentrum eines Konflikts, der weit über die Clubszene hinausreicht.

Die Kommentarspalten unter seinen Social-Media-Posts zeigen, wie sehr sich die Vorwürfe von der Realität entfernt haben. Einige bezeichnen Partok als Verräter, andere loben seinen Mut, andere werfen ihm vor, Teil der palästinensischen Terroristen zu sein. Partok hat sich in den vergangenen Jahren nicht nur von der israelischen Regierung, sondern sogar vom Staat Israel als politischem Projekt distanziert.

Während diese Haltung in Israel heftig diskutiert wird, ist Partok im Ausland, besonders in linken und propalästinensischen Kontexten, Ziel von Boykottaufrufen geworden. Gemeinsam mit seinem Freund und Laundrette-Mitgründer Roi Perez, der seit Jahren in Berlin lebt und in der Panorama Bar auflegt, ist er zu einer Projektionsfläche geworden, auf der aktuelle Solidaritätspolitiken ausgetragen werden.

Ende Oktober sagte Partok zwei Gigs in New York ab. In einem Statement begründete er die Entscheidung mit dem immensen Druck, der auf den Ver­an­stal­te­r:in­nen laste. Die Organisationen Boycott Room, Ravers for Palestine und Sound Against Siege hatten zuvor zum Boykott aufgerufen, weil Partoks verpflichtender Militärdienst in Israel auf eine Nähe zu den israelischen Verteidigungsstreitkräften hinweise.

In einem ausführlichen Instagram-Statement reagierte Partok „Zuallererst: Ich lehne die israelische Besatzung und den anhaltenden Genozid in Gaza ab. Ich bin entsetzt über die jüngsten Verstöße gegen den Waffenstillstand und das anhaltende Abschlachten von Palästinenser:innen. Ich unterstütze den kulturellen Boykott Israels vollständig und lehne den Zionismus in all seinen Formen ab.“

Zur Frage seines Militärdienstes erklärte er: „Ich habe Israel vor acht Jahren verlassen, weder trete ich dort auf, noch habe ich dort einen Wohnsitz, zahle Steuern oder arbeite da. Wie alle israelischen Staats­bür­ge­r:in­nen wurde ich mit 18 Jahren zum Militärdienst verpflichtet, vor 27 Jahren. Ich diente in einer nicht kämpfenden, administrativen Position, ein Kapitel meines Lebens, das ich zutiefst bereue. Dieser Dienst war eines der vielen Dinge, die mich dazu brachten, zunächst das Siedlerkolonialsystem und das Apartheidsystem, in das ich hineingeboren wurde, zu hinterfragen und es letztlich abzulehnen.“

Partok betonte seine langjährige politische Arbeit „Während meines gesamten erwachsenen Lebens in Israel, vor, während und nach dem Militärdienst, war ich aktiv in der Antibesatzungswiderstandsbewegung engagiert. Dazu gehörten Demonstrationen gegen die Trennmauer und Landkonfiszierung im Dorf Bil’in Mitte der 2000er-Jahre sowie Bemühungen, palästinensische Far­me­r:in­nen während der Olivenernte vor Siedlergewalt zu schützen.“

In seinem Statement räumte Partok auch Fehler ein: „Laundrette hat während des Genozids nicht mehrere Veranstaltungen in Israel ausgerichtet. Wir organisierten ein einziges Fundraisingevent im April 2024. Die Absicht dahinter war, Widerstand innerhalb des Landes zu unterstützen. Im Nachhinein bedauern wir diese Veranstaltung, da sie einen größeren negativen Einfluss auf die globale Community hatte, indem sie den Boykott brach, als sie lokal Widerstand unterstützte.“

Zu den Spen­den­emp­fän­ge­r:in­nen stellte er klar: „In der Vergangenheit haben wir sowohl israelische propalästinensische Organisationen als auch palästinensisch geführte NGOs unterstützt. Seit der Eskalation des Genozids wurden alle unsere Beiträge ausschließlich auf Hilfsmaßnahmen in Gaza ausgerichtet.“

Absage von Festivals

Es ist nicht das erste Mal, dass zum Boykott israelischer DJs aufgerufen wird. Auch der Auftritt von Roi Perez bei einem Festival in London im September wurde nach Protesten abgesagt. Zudem kam es zu einer Protestaktion während des Boiler-Room-Auftritts von E.LINA, bei der Kunstblut auf die DJ-Booth geworfen wurde. Die Aktion gilt als Protest gegen den Großinvestor KKR. Die Investmentfirma ist Eigentümerin von Boiler Room, Anteilseigner bei Springer und ihr wird vorgeworfen, aktiv Kriegshandlungen in Palästina zu unterstützen. Gleichzeitig bekannte sich Boiler Room zu den BDS-Leitlinien.

Neue Gruppen wie Ravers for Palestine, deren Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen anonym bleiben, koordinieren den Boykott vor allem über soziale Medien. Sie kündigen an, diesen bis zur vollständigen Befreiung des historischen Palästina fortzusetzen, also bis zur Abschaffung Israels. Online rufen sie dazu auf, alle Clubs und DJs zu boykottieren, die in irgendeiner Form Beziehungen zu Israel unterhalten, und sie fordern internationale Venues und Festivals dazu auf, eine klare Position zu dem aus ihrer Sicht stattfindenden Genozid in Gaza einzunehmen. Partok hat diese Forderungen öffentlich erfüllt. Er unterstützt den kulturellen Boykott, verurteilt die Besatzung und distanziert sich vollständig vom Staat Israel. Dennoch wird er zum Ziel der Kampagnen.

Der israelische Journalist Nissan Shor zog in der Ha’aretz eine historische Parallele. Er erinnert an Nikolai Bukharin, Herausgeber der Prawda, enger Stalin-Verbündeter, der trotzdem Opfer von dessen Säuberungen wurde: „Roi Perez und Avichai Partok verstehen nicht, dass selbst die vollständige Auslöschung des Staates Gruppen wie Ravers for Palestine nicht zufriedenstellen würde.“

Auf eine Anfrage der taz hat Partok sich nicht geäußert.

Be­ob­ach­te­r:in­nen ziehen weitere historische Parallelen und argumentieren, dass selbst revolutionäre Bewegungen der Vergangenheit irgendwann ihre eigenen Mitglieder verfolgten. Auch heute geraten offenbar selbst jene ins Kreuzfeuer, die sich am deutlichsten gegen den Status quo stellen.

Tatsächlich scheint es bei den Boykottaufrufen weniger um politische Aussagen zu gehen als um Herkunft und Identität. Selbst Künstler:innen, die sich klar gegen das israelische Regime stellen, werden für ihre Nationalität verantwortlich gemacht. Israelisch-Sein reicht als Verdachtsmoment. In israelischen Medien wurde Partoks Haltung unterschiedlich bewertet. Liberale Stimmen beschrieben ihn als Symbol einer Generation, die versuche, im Exil politisch integer zu bleiben, während rechte Kom­men­ta­to­r:in­nen ihm Naivität und Selbsthass vorwarfen.

Es werde ein Klima der Angst aufrechterhalten, während echte Ungerechtigkeit und Unterdrückung ungeprüft weitergingen, kommentierte Partok auf Instagram

Für die internationale Partyszene bleibt damit eine unbequeme Frage: Wenn selbst die totale Ablehnung des Staates Israel, jahrzehntelanger Aktivismus und radikale Selbstkritik nicht genügen, geht es dann überhaupt noch um politische Haltungen? Oder haben wir es hier längst mit antisemitischem Furor zu tun?

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