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Botschaften beim WM-TurnierLost in Übersetzung

Bei der WM verweigern sich die Empfänger der Kommunikation. Botschaften funktionieren nur auf dem Platz.

Botschaften, die woanders gar nicht gern gehört werden, hier „Free Palestine“ Foto: Petrs David Josek/AP/dpa

Kürzlich war ich ein paar Tage krank und habe das gemacht, was man dann so tut: comfort watching. Also Fußball. In kürzester Zeit hatte ich mehr von der WM gesehen als in den drei Wochen vorher, und es war sehr schnell der gleiche Rausch wie immer. Absurd fast, wie gewöhnlich dieses Turnier ist, bedenkt man, mit welcher besonderen Sündhaftigkeit die deutsche Öffentlichkeit es belegte. Auffällig stets erzählte man einander hier: Strategische Interessen haben die anderen, wir dagegen kritisieren und handeln aus moralischen Gründen. In Deutschland scheint dieser simplifizierte Blick auf Weltpolitik besonders ausgeprägt.

Weltmeisterschaften sind vor allem deshalb so interessant, weil so viel zwischen Fremden kommuniziert wird. Der Blick ins Publikum ist ein Weltenfenster. Die marokkanischen Fans, kommen die wohl mehrheitlich aus dem Exil oder aus Marokko? Die weißgekleideten Katarer, warum sitzen die eigentlich immer und singen nicht? Und was erhoffte sich der Typ mit Algerien-Flagge von seiner Reise nach Katar? Freilich kein Querschnitt der Bevölkerung steht hier, sondern oft die reichsten zwei Prozent, jene, die Flugtickets zahlen können. Das Gerede der Kommentatoren über „die brasilianischen Fans“ ist Unsinn. Ja, Weltmeisterschaften erzählen viel.

Gescheiterte Botschaften

Eine WM ächzt aber auch unter dieser stetigen Kommunikation. Und die scheitert grandios, weil man einander nicht verstehen kann und will. Nach dem Ausscheiden der Deutschen fragt mich ein Freund aus Marokko nach den Ursachen. Ich tippe eine vage sportliche Analyse, da antwortet er mit traurigem Smiley: „Ja, und außerdem habe ich gehört, dass sie schwul sind.“ Ich lache sehr lange. So viel zur erfolgreichen Botschaft der Mund-zu-Geste. Auf meine Erklärung und den Verweis, dass übrigens auch Schwule Fußball spielen können, kommt keine Antwort mehr. Gescheiterte Kommunikation. Ähnlich bei der allgegenwärtigen Palästina-Solidarität.

Die Deutschen rätseln dann darüber, ob das wohl eine Reaktion auf den One-Love-Protest sei und ob man Marokko trotzdem noch mögen könne. Über die israelische Besetzung palästinensischer Gebiete, die derzeit noch weiter verschärfte Gewalt gegen Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen und strategische, selbstkritische Lösungen reden sie nicht. Auch das eine Verweigerung der Kommunikation. Erfolgreich sind die Botschaften nur aufm Platz: Tor oder kein Tor, Messi drin oder Ronaldo raus. Wahrscheinlich ist Fußball auch deshalb so erfolgreich – weil der ganze eigene historische Ballast nichts ausrichten kann gegen diese betörend einfachen, gleichen Regeln.

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