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Boomtown trifft Provinz

■ Vom Kampf zwischen Kunst und ihrem räumlichen Umfeld soll eine Ausstellung von „Kunst aus Berlin“ in Vegesack zeugen

Die Journalisten-Kollegin, die sich damit abmüht, eine der aus dünnen Holzplatten „gefalteten“ Bodeninstallationen des Bildhauers Christoph Mertens von oben zu fotografieren, hat verstanden, worum es hier geht: „Wenn ich mich jetzt noch weiter nach vorn beuge, falle ich auf das Kunstwerk, und dann entsteht etwas ganz Neues.“ Davon will der Künstler aber nichts hören – obwohl er sonst durchaus viel vom Zufall hält und sogar behauptet, diesen bei der Entstehung seiner Werke mitentscheiden zu lassen: „Ich gebe meinen Werken nur eine einzige Vorgabe, dann lasse ich sie sich völlig frei aus sich selbst entwickeln.“

Ein Beispiel für diese Vorge-hensweise des Künstlers steht mitten im Ausstellungsraum des Kulturbahnhofs Vegesack, wo am Sonntag die vom Kunstverein Bremen Nord ins Leben gerufene Ausstellung „Kunst aus der Hauptstadt“ eröffnet wird. Sie stammt von einem der zehn unter anderem aus den Sparten Skulptur, Malerei, Installation und Grafik stammenden jungen KünstlerInnen aus Berlin, die für diese Ausstellung nach Vegesack gekommen sind. Aus der Fläche zweier übereinandergelegter Tischholzplatten hat Christoph Mertens 25 Quadrate herausgesägt und neun davon zu einem kubusförmigen Podest in der Mitte aufeinandergelegt. Das einzige vom Künstler im voraus festgelegte Element war in diesem Fall die Dicke des Holzes. Die Größe des Kubus' und damit die Höhe der daraus entstehenden tischähnlichen Holzskulptur ergab sich dann zwangsläufig und ohne bewusste Einwirkung von außen.

Die Auswahl der zehn in Berlin lebenden Künstler war relativ subjektiv und zufällig: „Wir haben keinesfalls den Anspruch, einen repräsentativen Querschnitt durch die Berliner Kunstszene zu zeigen“, erklären die Veranstalter denn auch ausdrücklich. Deshalb spielt die große, plakative Kunst, die die Berliner Szene wie die jeder anderen Großstadt beherrscht, hier auch nur eine sehr untergeordnete Rolle: Gegenstände des öffentlichen Alltags Berlins wie zerkratzte Glasscheiben zeigt beispielsweise der Graphiker Ottjörg A. C. in seinen „Existentmal U7“ genannten Werken, mit denen er unsere Wahrnehmung für das Gewohnte schärfen und hinterfragen will. Noch deutlicher ist dieser Bezug zum Alltag bei den kinetischen Objekten Norbert Poreddas, die den Betrachter an ein Gewirr aus sich bewegenden Armen oder Beinen erinnern – oder an Straßenbahnschienen oder Antennen. Auch die Motive des Bildhauers Wiking Bohns sind nicht unbedingt Berlin-spezifisch: Die abstrahierte Figur des menschlichen Körpers ist es, die hinter der manchmal kindlich anmutenden Ausdrucksweise zum Vorschein kommt.

Welche Rolle spielt es dann überhaupt noch, dass die Künstler und ihre Werke aus der Hauptstadt kommen? Brigitte von Stebut-Schoen vom Kunstverein Nord findet es einfach spannend festzustellen, wie sich diese im Gewimmel der „Boomtown“ entstandenen Arbeiten im eher provinziellen Umfeld von Bremen-Vegesack entwickeln und behaupten könnten. Vielleicht lässt sich daraus ja auch irgendwann die Frage beantworten, über die sich Künstler und Veranstalter bislang noch nicht ganz einigen konnten: Ob diese Kunst nämlich auch auch in Vegesack hätte entstehen können?

Wer diese Frage nach der wechselseitigen Beeinflussung von Kunst und Kontext für sich persönlich beantworten möchte, kann dies auch bei dem im weiteren Zusammenhang mit der Ausstellung geplanten Spiel „Epofakt“ unter der Regie des Grafikers Ottjörg A. C. tun: „Wie bringe ich die Kunst ins Museum?“ – dieser Untertitel der Veranstaltung deutet bereits an, was die Organisatoren vom Kulturbahnhof noch deutlicher ausdrücken: Um „Pokern, Siegen und Verlieren“ soll es gehen – gemeint ist das in bezug auf das Kunstgeschäft der von internationalen Künstlern immer stärker überschwemmten Metropole Berlin. Da diese Art, sich dem Thema Kunst zu nähern, besser zur Dunkelheit als zum Tageslicht passt, wurde das Spiel für 22 Uhr angesetzt.. mc

Eröffnung am 26.9., 11 Uhr; Dauer bis 17.10. Infos unter Tel.: 65 00 60

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