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Booker-Literaturpreis für David DiopEin begnadeter Erzähler

Der International Booker Prize 2021 geht an David Diop. Er schreibt von „Senegalschützen“, die im Ersten Weltkrieg für Frankreich gekämpft haben.

Er hat die Fiktion gewählt, um der Realität näher zu kommen: Schriftsteller David Diop Foto: Alberto Cristofari/Contrasto/laif

„Bei der Wahrheit Gottes“: Diese Formel geht einem so schnell nicht aus dem Kopf, wenn man David Diops Roman „Nachts ist unser Blut schwarz“ gelesen hat. Wieder und wieder betet Ich-Erzähler Alfa Ndiaye sie herunter, um die Ereignisse auf dem Schlachtfeld fassen zu können.

Alfa Ndiaye ist einer der sogenannten Senegalschützen, die die Kolonialmacht Frankreich im Ersten Weltkrieg einsetzte. Sein bester Freund, Mademba Diop, von einem deutschen Soldaten mit dem Bajonett niedergestochen, liegt sterbend in seinen Armen und verlangt, Alfa solle sein Leiden schneller beenden. „Doch habe ich, bei der Wahrheit Gottes, Mademba, meinem Kindheitsfreund, meinem Seelenbruder, nicht richtig zugehört. Bei der Wahrheit Gottes, ich dachte nur daran, dem Halbtoten, dem Feind mit den blauen Augen, die Därme aus dem Leib zu ziehen. […] Ach! Ich weigerte mich.“

Für die englische Übersetzung des Romans („At Night All Blood Is Black“) ist der Schriftsteller Diop nun mit dem International Booker Prize 2021 ausgezeichnet worden. Den Preis, mit umgerechnet 58.000 Euro dotiert, teilt er sich mit Übersetzerin Anna Moschovakis.

Der 55-jährige Autor, Sohn einer französischen Mutter und eines senegalesischen Vaters, hat sich des Stoffs auch deshalb angenommen, weil der „Große Krieg“ etwas war, worüber man in seiner Familie nicht sprach. Sowohl sein senegalesischer Urgroßvater als auch sein französischer Großvater kämpften als Soldaten, schwiegen aber zeitlebens über das Geschehene. Im französischen Original ist „Frère d’âme“ 2018 erschienen, auf Deutsch 2019 bei Aufbau.

Atemloses Wahnsinnigwerden

Geboren ist Diop 1966 in Paris, seine Kindheit verbrachte er im Senegal. Zum Studieren kehrte er nach Frankreich zurück, er promovierte an der Sorbonne zur französischen Literatur des 18. Jahrhunderts. Heute ist er Professor im südfranzösischen Pau, er publizierte zuletzt zur Repräsentation von Afri­ka­ne­r:in­nen in Reiseberichten Texten des 18. Jahrhunderts. „Frère d’âme“ ist sein zweiter Roman, zuvor hat er sich in „1889, l'Attraction universelle“ (2012) mit Völkerschauen zur Zeit der Pariser Weltausstellung auseinandergesetzt.

Das Buch

David Diop: „Nachts ist unser Blut schwarz“, aus dem Frz. von Andreas Jandl, Aufbau Verlag, Berlin 2019, 160 S., 18 Euro

Für das prämierte Werk hat Diop recherchiert, ob noch Feldpost von den damaligen Kolonialsoldaten erhalten ist. Doch Historiker teilten ihm mit, die Briefe seien meist administrativer Art. Auch deshalb wählte er die fiktionale Form: „Ich dachte mir, dass ein fiktiver Text, nicht in Form eines Briefes, sondern einer Innenschau, vielleicht helfen könnte, die Gefühlslage eines afrikanischen Soldaten nachzuempfinden, eines Bauern, der mit seinem Kindheitsfreund in die Hölle ‚des großen Industriekrieges‘ geworfen wird, wie der Schweizer Dichter Blaise Cendrars schreibt“, erklärt Diop im Nachwort der deutschen Ausgabe.

Diop erzählt von rassistischen Stereotypen („Schokosoldaten“, „blutdürstige Wilde“, „Naturgewalten“), beschreibt in atemlosem, parataktischem Stil das Wahnsinnigwerden eines jungen Mannes inmitten des Schützengrabenhorrors, schildert dessen Aufwachsen bei den Peul im Senegal. All das hallt lange nach.

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