Bombenattentate in Libyen: Der Terror erreicht Tripolis
Nicht nur in Bengasi, auch in der Hauptstadt kommt es jetzt zu Anschlägen. Dafür wird ein geheimes Netzwerk von Gaddafi-Loyalisten verantwortlich gemacht.
TRIPOLIS taz | Ein Jahr nach der Befreiung von Tripolis hält eine Reihe von Bombenanschlägen die libysche Hauptstadt in Atem. Zuletzt hatte sich zwar die Sicherheitslage stark verbessert, da die Nachbarschaftsmilizen weitgehend von straff organisierten Truppen des Innenministeriums abgelöst wurden.
Vergangenes Wochenende explodierten jedoch vor Gebäuden dieser „Oberster Sicherheitsrat“ (SSC) genannten Gendarmerie zwei ferngezündete Sprengsätze. Zwei Passanten kamen ums Leben, mehrere wurden verletzt.
In den folgenden Tagen konnten Experten weitere Sprengsätze an der belebten Omar-Muktar-Straße entschärfen. Unmengen von großkalibriger Munition liegen weiterhin schlecht bewacht in ehemaligen Depots der Armee, teils auch offen in der Sahara. Bürgerinitiativen haben seit Monaten auf die von diesen Geschossen ausgehende Gefahr hingewiesen. Nun scheinen sich ihre Befürchtungen zu bewahrheiten.
Nach den gut organisierten und in friedlicher Atmosphäre abgelaufenen Wahlen haben die Anschläge die Bewohner von Tripolis überrascht. Sicherheitsprobleme schienen sich bislang auf den Osten Libyens zu beschränken. Im Juli wurden die Büros des Internationalen Roten Kreuzes (ICRC) in Misrata und Bengasi mehrfach mit Panzerfäusten und Bomben angegriffen, ein Mitarbeiter wurde verletzt. In Bengasi kamen in den letzten drei Monaten mehrere Offiziere der ehemaligen Armee bei Attentaten ums Leben. Alle waren 2011 zu den Revolutionären übergelaufen.
Über die Hintermänner der Zwischenfälle herrscht in der Öffentlichkeit Verwirrung. In Bengasi vermutet man hinter den Angriffen auf das Rote Kreuz islamistische Kräfte. In deren Internetforen wird der Schweizer Hilfsorganisation heimliches Verteilen von Bibeln vorgeworfen. Das Rote Kreuz hat seine Arbeit außerhalb von Tripolis mittlerweile eingestellt.
„Die ICRC-Mitarbeiter haben während der Belagerung von Misrata unter Lebensgefahr vielen Menschen auf beiden Seiten geholfen. Sie jetzt zu bedrohen, ist eine Schande für die Revolution. Die Täter missverstehen wohl das Rote-Kreuz-Symbol auf den Fahrzeugen“, sagt der Journalist Ahmed Shlak aus Misrata und steht mit seinem Unverständnis für die Mehrheitsmeinung.
Die Anschlagsserie in Bengasi begann bereits vor Monaten. „Wir glauben, dass die Bevölkerung und die demokratisch gewählten Institutionen verunsichert werden sollen. Es gibt immer noch viele Gegner eines demokratischen Libyen. Wer sich seine Hände in Regimezeiten schmutzig gemacht hat, muss Angst vor einer unabhängigen Justiz und Polizei haben“, sagt Hadi El Gariani, Staatssekretär für Versöhnung.
34 Tatverdächtige wurden verhaftet
Die Attentäter eines der Bombenanschläge in Tripolis wurden nach Aussage des SSC von einer Überwachungskamera gefilmt und teilweise identifiziert. 34 Tatverdächtige hat der SSC in den letzten Tagen in Tripolis festgenommen. Sie scheinen Teil eines geheimen Netzwerks von Gaddafi-Loyalisten zu sein, die von einem Teil der verbliebenen Gaddafi-Familie in Ägypten und Algerien finanziell unterstützt werden könnten.
In Tarhuna, rund achtzig Kilometer südöstlich von Tripolis, toben seit Mittwoch Kämpfe zwischen der neuen libyschen Armee und bewaffneten Gruppen, die zum militärischen Flügel dieses Netzwerks des alten Regimes gehören. Der Versuch der neuen libyschen Armee, im Melghet-El-Waqa-Gebirge vor den Toren Tarhunas die Bewaffneten festzunehmen, dauert an.
Die Polizeiaufgaben hat de facto der neu entstandene SSC übernommen, der die immer noch kaum in Erscheinung tretenden Polizeibeamten aus der Exekutive verdrängt. Die schwache Armee steht in Konkurrenz zu den „Derra-Libya“-Einheiten, denen Bürgerrechtler unterstellen, islamistisch unterwandert zu sein. Beobachter vermuten hinter der Konkurrenz der Sicherheitsapparate einen Grund für die schlechter werdende Sicherheitslage.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren