Bodenschätze in der Tiefsee: Goldrausch auf dem Meeresboden
Die UN vergeben immer mehr Schürflizenzen für die Tiefsee, die Nachfrage ist groß. Doch Umweltschützer schlagen Alarm.
„Das Tempo hat sich in den vergangenen fünf Jahren dramatisch beschleunigt“, sagt Michael Lodge, Vizegeneralsekretär der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) mit Sitz Kingston, Jamaika. Die 1994 gegründete UN-Organisation ist für die Regulierung des Tiefseebergbaus und die Vergabe von Schürflizenzen in internationalen Gewässern zuständig. „Der Privatsektor investiert in großem Stil“, sagt Lodge. Umweltschützer sind alarmiert. Sie fordern einen Schutz des fragilen Artenreichtums der Meere. Über die Risiken des Bergbaus unter Wasser sei bisher viel zu wenig bekannt.
Die ISA hat bislang 27 Abbaulizenzen vergeben, die weitaus meisten seit 2011. Die Verträge mit einer Laufzeit von 15 Jahren erlauben das Schürfen von Mineralien auf über einer Million Quadratkilometer Meeresgrund in Pazifik, Atlantik und Indischem Ozean. Insidern zufolge dürfte der kommerzielle Abbau innerhalb der nächsten fünf Jahre beginnen. Dabei kommen dann vollautomatische Kollektoren mit Kameras und Sonarsensoren zum Einsatz. Die zerkleinerten Mineralien könnten über Röhrensysteme auf Schiffe gesaugt werden.
Bei einer Tagung mit Vertretern von fast 170 Mitgliedstaaten begann die ISA in diesem Monat mit dem Entwurf von Rahmenbedingungen für die kommerzielle Ausbeutung des Meeresbodens.
China hat die meisten Lizenzen
Im Fachmagazin „Science“ forderte eine Gruppe internationaler Wissenschaftler die ISA Anfang Juli auf, die Vergabe neuer Lizenzen vorübergehend einzustellen, bis um die potenziellen Abbaugebiete Netzwerke von Meeresschutzzonen eingerichtet wurden. „Wir sind es künftigen Generationen schuldig sicherzustellen, dass wir nachdenken, bevor wir handeln und ein gründliches Verständnis der potenziellen Folgen des Tiefseebergbaus erlangen, bevor Bergbau zugelassen wird“, sagt Matthew Gianni, Mitgründer der Tiefseeschutz-Koalition (DSCC), die Beobachter zu der Tagung nach Kingston entsandte.
Doch trotz der Warnungen vergab die ISA gerade erst eine weitere Lizenz, sie ging an ein chinesisches Unternehmen. Betroffen ist ein rund 73.000 Quadratkilometer großes Gebiet im Pazifik. China hat damit die meisten Lizenzen der ISA erhalten, insgesamt vier. Die Mehrzahl der ISA-Lizenzen beziehen sich auf die Clarion-Clipperton-Zone zwischen Mexiko und Hawaii im Pazifik. In Tiefen von 4000 bis 6000 Metern gibt es dort reichhaltige Vorkommen von Kupfer, Kobalt, Mangan und Seltenen Erden. In neun Gebieten innerhalb dieser Zone dürfen Lizenznehmer aus Umweltschutzgründen nicht aktiv werden.
Andere begehrte Explorationsgebiete enthalten kupferreiche Sulfide, die sich um Ausbruchkanäle und die Kobaltkruste von unterseeischen Bergen und Vulkanen gebildet haben. Solche biologisch komplexen Zonen gibt es im Westpazifik, im Atlantik und im Indischen Ozean. ISA-Schätzungen zufolge könnte eine dieser Stätten bis zu 25 Prozent des jährlichen Bedarfs an Kobalt abdecken. „Die Mineralienkonzentration auf dem Meeresboden ist viel reichhaltiger als das, was an Land noch übrig ist. Deshalb wird die Nachfrage nur noch steigen“, sagt ISA-Vizegeneralsekretär Lodge.
Dem 18. und 19. Jahrhundert „unangenehm ähnlich“
Der Umweltbiologe Douglas McCauley von der Universität von Kalifornien in Santa Barbara sagt, der Tiefseebergbau und andere industrielle Aktivitäten wie Stromerzeugung im Meer deuteten darauf hin, dass die Menschheit im Begriff sei, eine „industrielle Meeresrevolution“ zu starten. Die aktuellen Vorschläge für die nächsten Jahrzehnte „sehen dem unangenehm ähnlich, was wir in den 1700er und 1800er Jahren dem Land zugefügt haben“, sagt McCauley. Und ergänzt, dass die Industrialisierung an Land mit einem drastischen Aussterben von Tierarten verbunden war.
Doch es gebe einige Dinge, die die Menschheit tun könne, um die Ausbeutung der Meere intelligent anzugehen. Erstens müsse vor einem Tiefseebergbau geklärt werden, welche Artenvielfalt dort unten herrsche. Zweitens müssten Schürflizenzen zurückhaltend vergeben werden und die Folgen im Verlauf untersucht werden. Drittens müssten Schutzzonensysteme vor Beginn des Abbaus eingerichtet werden, nicht erst danach.
„Die terrestrische industrielle Revolution ereignete sich, bevor wir die Mittel hatten, Ziele für die Entwicklung und Ziele für den Erhalt der Artenvielfalt zu schaffen“, sagt der Umweltbiologe. „Man kann den Leuten im 18. Jahrhundert nicht wirklich Vorwürfe für die Schäden machen, die sie an der Umwelt angerichtet haben. Aber wir sind mit Sicherheit Schuld daran, wenn wir den Tiefseebergbau nicht richtig betreiben.“
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