Bob Dylans Video „Like a Rolling Stone“: Wie fühlt sich das an?
Vom Moderator bis zum Tennisspieler: Im neuen „Like a Rolling Stone“-Video kommen Dylans Worte aus dem Mund derer, die sich für alles hergeben.
Wie fühlt sich das an, jeden Scheiß wegzumoderieren? Oder bei „Der Preis ist heiß“ zu gewinnen? Sich nachmittags animierte Comics reinzuziehen oder einem im Fernsehen übertragenen Sportevent beizuwohnen? Endlich wird Bob Dylans nach fast 50 Jahren immer noch aktueller Song „Like a Rolling Stone“ auch für das fernsehverdummte Publikum von heute so aufbereitet, dass dessen Bedeutung jeder versteht – und gleichzeitig das Medium selbst entlavt.
Zwischen 16 Kanälen kann sich der Zuschauer in dem Video entscheiden. Er kann entweder eine Koch- oder Reality-TV-Show, eine Geschichtsdokumentation, eine Game-Show, ein Tennismatch, eine Börsen- oder eine Fashion-Reporterin oder zwei Schauspieler in einem fiktiven Liebesfilm beobachten, je nach Lust und Laune zwischen den Kanälen hin und her schalten und sich so den eigenen Film zum Soundtrack zusammenzappen. Das geht stundenlang und mit ein bisschen Ausdauer sind angeblich auch ein paar Promis zu entdecken, aber es dominiert das Trash-TV.
Alle Protagonisten, von der Obst schneidenden Fernsehköchin über die Teilnehmer irgendeiner TV-WG namens „Bachelors Rose“, über den History-Channel bis hin zu einem ebenfalls fiktiven Musik-Sender mit Dylan-Konzert, bewegen synchron die Lippen zum Songtext: „How does it feel, to be on your own, without a home, like a complete unknown, like a Rolling Stone“ – 48 Jahre nach der Veröffentlichung des Songs.
Aber 1965 hat Bob Dylan nicht nur „Like a Rolling Stone“ auf dem Album „Highway 61 Revisited“ veröffentlicht, sondern auch „Bringing It All Back Home“ mit dem „Subterranean Homesick Blues“, für den er in London auf der Straße Pappschilder mit dem Text synchron zum Song in die Kamera hält und dann wegwirft. Damit schrieb Dylan Musikvideo-Geschichte.
Daran knüpft er jetzt an, denn dieses Video ist nicht nur anrührend, sondern auch etwas ganz Neues. Allerdings lässt sich das, was die New Yorker/Tel Aviver Agentur Interlude mit diesem Video an Aufwand geleistet hat, nur erahnen. Weitere Kanäle sollen angeblich folgen.
Hau weg den Scheiß
Dennoch: Nicht Wegwerf-, aber Wegzapp-Produkte sind auch die Gesichter in den 16 Dylan-Kanälen, die er für sich singen lässt. Damit knüpft das Video an die Dylan-Filmbiographie von 2007 „I am not there“ von Todd Haynes an. In dem Film wird Dylan von verschiedenen Schauspielern dargestellt, darunter auch Cate Blanchett, Richard Gere, Christian Bale und Heath Ledger. Damals gab's massig Preise für die hochkarätige Besetzung, jetzt ist das Katzen-Anime, der Hausverkäufer oder der Wettermann ebenso eine Zapp-Option wie der singende Dylan.
Ein „Rolling Stone“ kann als Penner oder besser als Landstreicher übersetzt werden, der immerhin die Freiheit genießt, nichts mehr zu verlieren zu haben. So geht es auch der in dem Song besungenen Frau, aber das war nicht immer so – mit der Dame ging es bergab. So schnell kann's gehen. Eben verkauft man noch vor der Kamera den Tischstaubsauger, im nächsten Moment weiß man nicht, wann die nächste Mahlzeit kommt. Aber was ist eigentlich schlimmer? Und: „Wie fühlt sich das an?“
Fies ironisch kommen diese Worte in dem neuen Dylan-Video aus dem Mund von Leuten, die sich im Fernsehen für alles hergeben und sich teilweise selbst bereits als „Fernsehhuren“ bezeichnen. Die keifenden Reality-TV-Darsteller oder die Homeshopping-Channel-Verkäufer, aber auch die rührend-hilflose Fashion-Moderatorin.
Diese Menschen im Fernsehen diesen Text singen zu sehen, treibt einem die Tränen in die Augen und Fremdscham-Schauer über die Haut. „Niemand hat dir beigebracht auf der Straße zu leben und jetzt musst du dich dran gewöhnen. (...) Wie fühlt sich das an?“
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