Blamage für Borussia Mönchengladbach: Albtraum gegen den Provinzverein
Borussia Mönchengladbach hat vor der Europa League von einem ähnlich glanzvollen Lauf wie Eintracht Frankfurt geträumt. Doch daraus wurde nichts.
Es klang wirklich drollig, als das fröhliche Grüppchen im Gästeblock des Borussia-Parks irgendwann zu singen anfing. 77 Anhänger des Wolfsberger AC sahen sich 35.000 Gladbacher Fans gegenüber – und dennoch ertönte aus der südöstlichen Ecke der Arena der freche Hinweis: „Hier regiert der WAC!“ Widerspruch vonseiten der Hausherren gab es nicht, ein Teil von Borussias Gefolgschaft war zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon entsetzt aus dem Stadion geflüchtet. Einen derartigen Hieb auf eigenem Boden musste der Rautenklub in einem halben Jahrhundert Europapokal-Geschichte schließlich nie zuvor einstecken, das unglaubliche 0:4 gegen den Dritten der österreichischen Liga hatte also historische Ausmaße. In jeder Hinsicht.
Denn während Gladbach einen enormen Schatz an internationaler Erfahrung hütet, feierte das Team aus der Kärntner Stadtgemeinde mit ihren 25.000 Einwohnern am Donnerstagabend Europacup-Premiere. Und wie. Schon zur Halbzeit hatten die Wolfsberger die vorab vollmundigen Borussen mit drei Treffern zum Schweigen gebracht. Am liebsten hätten die Niederrheinischen den Uefa-Cup, den sie 1975 und 1979 gewannen und nun stolz an den Spielfeldstand gestellt hatten, da bereits klammheimlich wieder zurück in ihr Vereinsmuseum getragen. Und sich nachträglich feste auf die Zunge gebissen – für die eigenen Aussagen im Vorfeld der Partie, die ihnen nun als österreichischer Bumerang um die Ohren flogen.
Mittelfeldspieler Christoph Kramer etwa artikulierte eine „unfassbare Vorfreude“. Und Max Eberl träumte bereits von ähnlich glanzvollen Fußball-Inszenierungen, wie sie die Eintracht aus der Bankenmetropole in der letzten Saison reihenweise aufführte und es dabei um ein Haar bis ins Finale der Europa League geschafft hätte. „Wir wollen großartige Fußballfeste feiern wie Frankfurt, vielleicht noch einen Tick länger“, tönte der Sportdirektor der Borussen. Das bleierne Gefühl in der Realität beschrieb dann Innenverteidiger Matthias Ginter: „Es ist ein Albtraum.“
Dabei brachten die Borussen parallel zu ihren rosaroten Vorstellungen von europäischen Feier-Abenden einen Trainer an den Start, der gerade beim Umgang mit Teams aus Österreich als absoluter Fachmann gilt. Vor seinem Wechsel in diesem Sommer nach Mönchengladbach coachte Marco Rose sechs Jahre lang die Jugendmannschaften und – sehr erfolgreich – die Profis der Salzburger, besiegte mit dem Ensemble aus der Mozartstadt in der letzten Europa-League-Runde unter anderem zwei Mal RB Leipzig.
Gefasster Umgang mit sportlicher Apokalypse
Diese Expertise nutzte dem gebürtigen Leipziger nun allerdings gar nichts. Stattdessen griffen die Maßnahmen des Kollegen Gerhard Struber. Um die bisherige Spielweise der Borussia unter Rose ins Leere laufen zu lassen, verdichtete der WAC-Coach erfolgreich das Zentrum. Zudem gelang es den Gästen, Gladbachs Rechtsverteidiger Stefan Lainer – den Rose aus Salzburg mit an den Niederrhein gebracht hatte – weitgehend am Spielaufbau zu hindern. „Für uns war es dann berechenbar, wenn sie über links eröffnet haben“, erwähnte Struber anschließend frech.
Der Wolfsberger Etat liegt bei 7 Millionen Euro, der von den Österreichern frisch demolierte Gegner aus der Bundesliga hat allein für Akteure wie Lainer oder Breel Embolo vor dieser Saison jeweils 10 Millionen Euro ausgegeben. Bemerkenswert gefasst ging daher der zuständige Übungsleiter mit der sportlichen Apokalypse um. „Es gibt Abende, die so laufen“, kommentierte Rose gelassen. Anderseits findet der 43-Jährige aber schon, dass ein Tag wie dieser möglichst einmalig bleiben sollte. „Wir haben richtig einen auf den Deckel gekriegt“, meinte er. „Das muss bei uns auslösen, dass wir dieses Gefühl in nächster Zeit nie mehr haben wollen.“
Bis auf ganz wenige Ausnahmen (Lainer, der zur Halbzeit eingewechselte Embolo, Torwart Yann Sommer) enttäuschten die Gladbacher auf ganzer Linie – und müssen nun zusehen, dass sie bis zum Derby gegen Düsseldorf die Kurve kriegen. Für den Wolfsberger AC geht’s am Sonntag die 128 Kilometer zum Auswärtsspiel in Hartberg (6.687 Einwohner). Das steirische Städtchen liegt 40 Kilometer nordöstlich von Graz – jener Stadt, in die Wolfsberg wegen des eigenen, zu kleinen Stadions bei Europa-League-Spielen umzieht. Unter anderem am 28. November, wenn die Borussia anreist – um sich dort nach Möglichkeit für einen historischen Albtraum zu revanchieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin