Überraschung in der Bundesliga: Steinzeit ist Spitze!
Die schlichten Mittel von Union Berlin reichen aus, um das vielfach gelobte Spiel des Tabellenführers Borussia Mönchengladbach zu entzaubern.
Schon wieder. Tabellenführerbesieger. Jetzt können sie bei Union Berlin beginnen, T-Shirts für das Weihnachtsgeschäft mit diesem Wort zu bedrucken. Man war schon wieder fassungslos An der Alten Försterei. Am dritten Spieltag hatte der Aufsteiger den damaligen Tabellenführer Borussia Dortmund mit 3:1 geschlagen, am zwölften Spieltag folgte ein 2:0 gegen den nunmehrigen Spitzenreiter Borussia Mönchengladbach. Schon wieder also war etwas Unfassbares in Köpenick geschehen. Und doch war so ziemlich alles anders als zu Saisonbeginn. Union wird nicht mehr belächelt, auch nicht von den besten Teams der Liga. Der Aufsteiger hat sich Respekt erarbeitet.
Nach dem Spiel ging das Staunen darüber, was da im Südosten Berlins gerade geschieht, weiter. Da hatte der hochgelobte Tabellenführer vom Niederrhein gerade bei Union verloren, und niemand aus der Entourage der Gäste war wirklich enttäuscht. Die Spieler redeten, als hätten sie ein Duell mit einem Spitzenteam knapp verloren. „Wir haben versucht, uns zu wehren“, sagte Gladbachs Sportdirektor Max Eberl da etwa. Und: „Wir haben sehr, sehr gut versucht dagegenzuhalten.“ Oder: „Union hat unfassbar gut Fußball gespielt.“
Mittelfeldspieler Florian Neuhaus meinte beinahe schon stolz auf die Leistung seiner Mannschaft: „Wir sind immer wieder angerannt.“ Und Kollege Christoph Kramer war auch ganz zufrieden mit dem Spiel der Seinen. „Das war ja jetzt kein Auftritt, nach dem man sagt, boah, wie soll das denn jetzt weitergehen.“
Was war geschehen? Das Team des Tabellenführers war mit vier Punkten Vorsprung auf den Zweitplatzierten nach Berlin gereist. In den vergangenen Wochen war das Spiel ihres Klubs über den grünen Klee gelobt worden. Vor allem vom Gegenpressing wurde geschwärmt. Dass dieser Nervensägenfußball, der vor allem davon lebt, den Gegner am Spielaufbau zu hindern, auf Platz eins führen kann, sagt einiges über die Qualität der Liga aus.
Dass die Gladbacher mit ihrer Art gegen einen spielerisch eher bescheiden aufgestellten Klub wie Union nur zu drei echten Torchancen gekommen sind, dass sie in der zweiten Hälfte gar nicht mehr gefährlich waren, darf zudem als Beleg dafür gelten, dass stimmt, was Florian Neuhaus nach dem Spiel gesagt hat. „Wir sind noch nicht so weit, wie wir teilweise geschrieben wurden.“ In Wahrheit war es ein trauriger Auftritt, den Mönchengladbach da hingelegt hat.
Ball auf der Tribüne
Unions Trainer Urs Fischer war gewiss stolz auf die Leistung seiner Spieler, die seinen Matchplan gut umgesetzt hätten, wie er meinte. Sein Plan: lange Bälle nach vorne, in der Hoffnung, einer Stürmer würde sich mal einen Abpraller schnappen. Fast schien es ihm peinlich, dass es so einfach sein kann, die von anderen so gefürchtete Gegenpressingmaschine mit einem beinahe schon primitiven Mittel auszuschalten. „Rein fußballerisch gesehen, fand ich den Fußball von unserer Seite her nicht so toll“, sagte er. Wie sehr das genervt haben muss, das lässt sich aus diesem Satz von Gladbachs Christoph Kramer schließen: „„Tja, Gegenpressing. Es war eben auch nicht so einfach, uns den Ball schnell wiederzuholen, weil der Ball gleich irgendwo auf der Tribüne gelandet ist.“
Das Heimpublikum kann gut damit leben. In der 18. Minute jubelte es erstmals, als ein Verteidiger den Ball mit einem saftigen Befreiungssschlag ins Irgendwo gedroschen hat. Kurz zuvor war Union nach einem Ballgewinn im Mittelfeld, einem schnellen Pass nach vorne, einer Flanke und einem Kopfball von Anthony Ujah in Führung gegangen. Unmittelbar davor wiederum hatte Unions Verteidiger Manuel Friedrich vergeblich versucht, das Spiel planvoll aufzubauen. Schnell hatte er gesehen, dass das sinnlos ist, und den Gladbachern dafür lieber einen Einwurf geschenkt.
Nein, es war wirklich kein schöner Tag für alle, die das Spiel am Fußball mehr lieben als den Kampf. Dass der 1. FC Union für diese mit aller Leidenschaft angewandten Mittel aus der Zeit des Steinzeitfußballs von den Verlierern auch noch gelobt wurde, als sei er eine Spitzenmannschaft, ist bemerkenswert. Rot-weißen Fans kann so etwas natürlich egal sein. In der Nachspielzeit hatte Sebastian Andersson ja sogar noch das 2:0 geköpft. Es durfte wieder geweint werden An der Alten Försterei. Schon wieder.
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