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„Blacksad“-Comics als GesamtausgabeAbgründe der Nachkriegszeit

Wie Raymond Chandler und der Film noir: Die Noir-Comics von Juan Díaz Canales und Juanjo Guarnido liegen nun als Gesamtausgabe vor.

Szene aus „Blacksad“ Foto: Carlsen Comics

Es ist Winter, auch ansonsten herrscht ein frostiges Klima im Viertel „The Line“. Passanten scharen sich um eine Straßenkreuzung und blicken nach oben: An einer Laterne baumelt leblos ein Opfer von Lynchjustiz.

Die Szene spielt sich in einem heruntergekommenen ehemaligen Vorzeigeviertel New Yorks ab, das von konkurrierenden Gruppen beherrscht wird. Einerseits von den Schlägern der „Black Claws“, farbigen Underdogs in Lederjacken, in weit größerem Ausmaß jedoch von der politischen Organisation „Arctic Nation“, die Rassentrennung mit Gewalt durchsetzen will. Von wohlhabenden Gönnern gefördert, proklamieren Weiße ihre unter anderem mit dem christlichen Glauben legitimierte nordische „Rassen-Vorherrschaft“. Das mysteriöse Verschwinden eines schwarzen Mädchens ruft John Blacksad auf den Plan – Privatschnüffler und schwarzer Kater.

Rassenhass gepaart mit religiösem Fundamentalismus – starker Tobak für einen Comic, dessen Charaktere allesamt anthropomorphe Tiere sind. Im zweiten Band der Reihe „Blacksad“ mit dem Titel „Arctic Nation“ wird trotzdem oder gerade wegen dieser Verfremdung glaubhaft die Rassenproblematik in den USA der Nachkriegszeit auf den Punkt gebracht.

Die „Blacksad“-Comics spielen ungefähr in den 1940er bis 1950er Jahren: Der Krieg wirkt noch nach, einige wenige haben es mit viel Rücksichtslosigkeit zu Reichtum gebracht, der Rest steht entweder auf deren Gehaltsliste oder auf der Seite des Gesetzes. Wobei in „Arctic Nation“ die familiären Verstrickungen und Lebenslügen eines korrupten Polizeibeamten eine große Rolle spielen.

Die Comics

Juan Díaz Canales, Juanjo ­Guarnido: „Blacksad“. Gesamtausgabe. Carlsen Verlag, 304 Seiten, 49,99 Euro

Ein klassischer Noir-Krimi also? Einerseits orientiert sich der Erzählton an den Romanen Raymond Chandlers oder Dashiell Hammetts, und die Zeichnungen zitieren ebenso passend, wenn auch farbig, die düstere Ästhetik der Filme der Schwarzen Serie. Inhaltlich geht die Reihe jedoch weit über eine bloße Hommage im Retro-Look hinaus. Die bisher erschienenen fünf Bände (2000 bis 2013) sind nun in einem Sammelband erschienen.

Naturalistisch-karikierender Stil

Geschrieben sind sie vom 1972 geborenen Spanier Juan Díaz Canales, einem Drehbuchautor, der seit 2015 auch die neuen „Corto Maltese“-Abenteuer im Geiste von Hugo Pratt weiterführt. Zeichner ist sein fünf Jahre älterer Landsmann Juanjo Guarnido, der seit den 1990er Jahren in Paris lebt und lange in den Disney-Studios von Montreuil arbeitete. Seine Erfahrung im Kreieren ausdrucksstarker Animationsfiguren sieht man auch den „Blacksad“-Comics an, jedoch fehlt hier jede Lieblichkeit.

Überwältigend ist die handwerkliche Sorgfalt und der Detailreichtum, mit dem Guarnido seine Dekors ausgestaltet, die exakt Flair und Design der damaligen Zeit wiedergeben, ob in den Straßenzügen New Yorks oder an den Tankstellen der Route 66. Vor allem aber sind seine stets abgründigen, nie eindimensionalen Charaktere derart plastisch, dass es Spaß macht, dem Verlauf der Geschichten zu folgen. Jeder einzelne ist in naturalistisch-karikierendem Stil ausgearbeitet, in jedem Einzelfall wurde sorgfältig ausgewählt, welches Tier zum vorherrschenden Wesenszug passt.

Killer sind oft Reptilien (Leguan oder Krokodil), ein angesehener Polizeikommandant ein stattlicher Eisbär, ein windiger Journalist (der sich schnell zu Blacksads bestem Kumpan entwickelt), ist ein stets ungewaschener Fuchs. „Held“ John Blacksad, ein Underdog, trägt als cooler schwarzer Kater gut gebügelte Anzüge und übt eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf weibliche Katzen aus.

Ein harmloser Tirolerhut kann über Leben und Tod entscheiden

Trotz dieser vermenschlichten Tier-Identitäten wirkt „Blacksad“ nie lächerlich, was auch am lakonischen Erzählton und den bissigen Dialogen liegt. Juan Díaz Canales gelingen durchweg gut gebaute Storys, die die Zeitgeschichte äußerst spannend aufbereiten und obendrein mit mehreren Wendungen überraschen. Während das erste Album „Irgendwo zwischen den Schatten“ den Katzendetektiv mithilfe einer klassischen Crime-Story einführt – es geht um den Mord an einer ehemaligen Geliebten Blacksads, einem Filmstar –, fokussieren die folgenden Geschichten ein gesellschaftsrelevantes Thema, das die Nachkriegsgeschichte der USA prägte.

Feine Aquarelle

„Die Stille der Hölle“ beschreibt atmosphärisch dicht die Abgründe der Jazzszene in New Orleans, in der die besten Musiker aus obskuren Gründen an Körperbehinderungen leiden und Heroinsucht ein weit verbreitetes Phänomen ist.

In „Amarillo“ wiederum geht es um das Verhältnis zwischen Dichtung und einem Leben voller Gewalt. Die Geschichte entwickelt sich zum gehetzten „Road Comic“, in dem zwei Beat-Generation-Dichter auf Rockerbanden treffen und ein Zirkus als Zufluchtsort dient. Die vielleicht komplexeste Story ist „Rote Seele“. Hier trifft John Blacksad seinen alten Freund Otto Liebber wieder (eine Eule), der als Wissenschaftler am Bau der ersten Atombombe beteiligt war und als Kandidat für den Friedensnobelpreis gehandelt wird.

Als Mitglied einer linksintellektuellen Gruppe namens „Die 12 Apostel“ steht er unter Beobachtung von Senator Gallo, der – McCarthy lässt grüßen – übereifrig Kommunisten jagt. Eine Mordserie dezimiert die 12 Apostel nach und nach, sodass Blacksad um seinen Freund fürchten muss. Ein Holocaustopfer stellt die wenig ruhmreiche Vergangenheit des deutschstämmigen Liebber bloß. Im vielschichtigen Szenario von Diaz Canales lassen sich die Protagonisten jedoch schwerlich in Gut und Böse einordnen. Ein harmloser Tirolerhut kann über Leben und Tod entscheiden. Und das Gemälde eines russischstämmigen Künstlers wird zum gefährlichen Informationsträger im Kalten Krieg.

Juanjo Guarnido gestaltet die Erzählungen mittels feiner Aquarellierung individuell aus, indem er für jede einzelne passende Farbtöne auswählt – etwa ein düsteres Grau-Braun für eine Großstadtgeschichte oder helle, gelb-rote Töne und blaue für die Jazzstory in New Orleans. Díaz Canales und Guarnido beweisen mit ihrer Noir-Krimi-Reihe, wie anspruchsvolles Erzählen in einem Comic funktioniert, ohne den Unterhaltungswert zu vernachlässigen. Es bleibt zu hoffen, dass weitere Abenteuer folgen werden.

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2 Kommentare

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  • Und was die fehlende Disney-Lieblichkeit angeht, sind die wechselnden weiblichen Hauptrollen durchaus erwähnenswert. Auch wenn ich persönlich schade finde, dass die alle aus einer Stanze gegossen wirken. In einem Artbook zum ersten Band erwähnt der Zeichner, dass er seine Frau als Modell nutzte.

  • (Weekly, der (gerüchtehalber) nur einmal wöchentlich die Unterwäsche wechselnde Sidekick, ist ein Wiesel, kein Fuchs.)