Black American Music: Der Sound der Höhle
Seit 1986 ist das „Onkel Pö“ in Hamburg dicht. Doch legendäre Konzerte wie das von Chet Baker oder Dizzy Gillespie leben dank Mitschnitten wieder auf
In dieser Musik geht es um Musik, Musik, und nur um Musik. Das ist das Schöne. Auch wenn sie selbstverständlich ein Produkt ihrer Gesellschaft, die in ihr mitklingt, war und ihr Untergang mit deren technologischen Fortschritt zu tun hatte. Denn, wenn es stimmt, dass die Handmühle eine Gesellschaft mit Feudalherren und die Dampfmühle industrielle Kapitalisten ergibt, dann hat die Entwicklung der aktiven Subwoofer für P.A.-Anlagen das Ende von Onkel Pö’s eingeläutet: Technische Entwicklung bestimmt den Klang der Welt, der andere Klänge verdrängt und übertönt und nahezu unhörbar macht.
Für Bands und ein Publikum, die an einen elektronisch über Monitor mit der Bühnenperformance verschmolzenen Raumklang gewöhnt sind, kann der Sound in einer Art Höhle nicht mehr angemessen gewesen sein. Eine Musik, die einhüllt, umfängt und bewegt, die aber eben sich selbst nicht das wichtigste ist, löst also eine andere ab, in der sich das Individuum ausspricht, die großen, tragischen Helden und die Genies.
Und die hatten eine Bühne bis 1986 an der spitzen Ecke, wo der Lehmweg und der Eppendorfer Weg aufeinanderstoßen: Das Lokal dort hat einen kegelförmigen Grundriss, und die Wände im Pö’s waren mit Holz-Paneelen verkleidet, „das ergab eine unheimlich tolle Akustik“, sagt der frühere Betreiber Holger Jass. Und dann die Enge. Die Konzerte dort müssen unwiederbringliche Ereignisse gewesen sein; eine Ahnung von ihnen vermitteln die Mitschnitte des NDR: Fünf davon liegen mittlerweile auf neun CDs vor, die im Jazzline-Label von Delta-Music erschienen sind.
Hat es möglicherweise mit der Dauer der einzelnen Takes zu tun, dass es erst jetzt, mehr als drei Jahrzehnte nachdem die letzte Note klagend ausvibriert ist, diese Mitschnitte veröffentlicht werden? Auf die Bedingungen in der Schallplattenproduktion oder Formatradio-Sendeslots jedenfalls haben diese Künstler keine Rücksicht genommen: Das freie Spiel der Töne und Melodiebögen ist alles, dem sie sich verpflichtete fühlten. Zwei CDs waren nötig, um den Chet Baker-Auftritt von 1979 wiederzugeben. Dabei lässt er seine Trompete an jenem Abend nur durch fünf Titel schweben. Bloß dauert der kürzeste von denen noch immer über 13 Minuten. „You Can’t go Home again“ wirkt, ein Jahr nachdem Baker sich endgültig für Europa und fürs Heroin entschieden hatte, wie eine klare autobiografische Ansage, jenseits von Gut und Böse, abhängig und frei: Klänge wie aus weißem Licht.
Die NDR Live-Mitschnitte aus dem Jazzclub in Hohe Luft erscheinen bei rattay musik in loser Folge seit März 2017.
Bislang liegen in der Reihe „At Onkel Pö's Carnegie Hall“ vor: Dizzy Gillespie's Auftritt von 1978, 2CD / 3LP; Chet Baker's Konzert von 1979 2 CD /, 2 LP; Johnny "Guitar" Watson 1976, 1 CD / 2LP; Albert Collins, 2 CD, 3 LP; Albert Collins And The Icebreakers, 1980 2CD, 3 LP sowie Elvin Jones Jazz Machine, 1981, 2 CD / 2 LP
Alle Aufnahmen sind auch als Download erhältlich
Die Konzerte, die der NDR in den 1970er-Jahren mitgeschnitten hat, sind Feste der Freiheit des Einzelnen, der Spontanität des Virtuosen und Beweise der Emanzipation. Denn „Onkel Pö’s Carnegie Hall“, so der selbstironische vollständige Name, war einer der angesagtesten Jazzclubs der Welt. Oder wenigstens Europas oder doch neben Dennis’ Swing Club in der Papenhuderstraße, drüben in Uhlenhorst, wo Ella Fitzgerald einmal gesungen hat und auch Harry Belafonte, sicher der wichtigste in Hamburg. Damals, ach!, wie lange liegt das alles zurück.
Mit wehmütig-nostalgischem Blick hat vergangenes Jahr der Regisseur Oliver Schwabe dem Pö als der „Höhle von Eppendorf“, ein filmisches Denkmal gesetzt, mit versonnen lächelnden Altherrenköpfen – und die erzählen die Geschichte der Kneipe als eine Star-Parade. Ja, ja, Al Jarreau war dort erstmals diesseits des Atlantiks aufgetreten, am 12. März 1976, seinem 36. Geburtstag. Otto Waalkes hat im Pö’s bei Udo Lindenbergs frühen Konzerten als Pausenclown für Furore gesorgt. Joe Cocker trat hier trotz Stromausfall auf. Ich hab mein Bein in Stalingrad verloren.
Aber manchmal muss man eben in der Vergangenheit schwelten. In Hohe Luft war man dabei stilistisch zudem weniger festgelegt als in Uhlenhorst: Später haben dort auch jazzferne Gruppen wie U2 gespielt, Talking Heads, Trio und auch örtliche Newcomer-Bands durften sich auf der Bühne versuchen, die von den Berühmten und Abgefuckten geheiligt worden war: Chet Baker, Johnny Guitar Watson oder eben Dizzy Gillespie, der Erfinder des Bebop, der Mann mit der verbogenen Trompete und der Ochsenfroschblastechnik.
Alle schwärmen ja immer vom coolen Baker, man kann ihn auch nur lieben, aber ohne Gillespie wäre es mit ihm in den 1970er-Jahren vorbei gewesen. Auch musikalisch ist der dann vermutlich doch die wichtigere Figur gewesen, offener, umtriebiger – jemand, der vielleicht weniger dem perfekten Klang nachjagt und sich mit ihm von der Welt abschließt, sondern mehr ihre kommunikativen Möglichkeiten auslotet und erweitert.
Deshalb scheint sein Konzert auch nach fast 40 Jahren aus der Konserve genossen noch immer das lebendigste geblieben: Es gibt auch Momente des Smalltalks mit dem Publikum, Dizzy switcht von Witz zu Ernst und zurück, so wie auch seine Präsidentschaftskandidatur 1964 eben nur halb spaßig gemeint war: Klar, er betrieb sie ohne Aussicht auf Erfolg, nur, „weil ein guter Präsident den Willen zum Swing“ haben und die Politik einfach groovyer sein müsse.
Aber es erinnert doch daran, dass in jener Zeit die Größen der Black American Music echte Weltstars waren, die in Eskapaden den Rock und Pop-HeroInnen in Nichts nachstanden. Und Personen des öffentlichen Lebens waren, deren Taten und Worte infolge ihrer Prominenz Gewicht hatten.
Gillespie war jemand der erkannt und erfahren hatte, dass er diese politische Dimension seines Auftretens – mindestens, um nicht fremdbestimmt zu werden – annehmen und kultivieren musste. Und so lässt er das Publikum in Hamburg über ein paar Worte gegen Rassenhass jubeln, schiebt ein paar Worte gegen Judenhass nach, und fängt dann an zu spielen: „The Land of Milk and Honey“ ist damals ein neues Stück, ungewohnt in seinem von Zäsuren geprägten, blockhaften Refrain, ein wenig wie die Fanfaren aus Sandalenfilmen, nur freilich viel subtiler, im Hintergrund meint man zwischendurch Gläser klirren zu hören und die Luft vorm CD-Player wird rauchig.
Später bläst Gillespie noch seinen längst zum Standard avancierten 1940er-Jahre-Hit „A Night in Tunesia“, ein Klassiker des Bebop: Die Songs sind selbst Statements, wenn auch keine politischen Forderungen oder Botschaften. Nie habe man sich gesagt, komm’ „let’s play eight bars of protest“, lass uns acht Takte Protest spielen. Man sei aber, indem man die eigene Musik gespielt hat, „die unsere Identität proklamiert hat“ eine „avantguard of social change“ gewesen – eine Avantgarde des gesellschaftlichen Wandels. So hat das Gillespie in seiner Autobiografie „To Be Or Not To Bop“ 1979 geschrieben. Es ist klar, dass der auch ein Wandel der Technologie war – und dessen treibende Kraft Musik war, Musik, Musik, Musik.
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