Bischöfin über Kirchentag in Frankfurt: „Differenz kann sehr schön sein“
Ökumene, ade? Nein, sagt die evangelische Regionalbischöfin Petra Bahr. Ein Gespräch über Gemeinsames, Trennendes und Phasen des Kopfschüttelns.
taz: Frau Bahr, von Frankfurt am Main aus findet vom 13. bis 16. Mai der 3. Ökumenische Kirchentag statt – Protestantisches und Katholisches finden sich zusammen. Wozu aber ist ein solcher Tag überhaupt gut?
Petra Bahr: Kirchentage sind Gemeindefeste XXL. Mit Gottesdiensten, Debatten, Besuch von der Bürgermeisterin, viel Musik, Essen an langen Tischen und Lagerfeuer am Abend, übertragen auf das ganze Land. Viele haben was einzubringen.
Gut, aber warum gemeinsam?
Weil es den Charakter einer Vergewisserung über das Christsein heute hat. Es gibt ja die „Kirchentagsgemeinden“ und die „Katholikentagsgemeinden“. Die feiern zusammen, weil sie sich durchaus viel ähnlicher sind, als die konfessionellen Debatten manchmal glauben machen.
Und was sind im Wesentlichen eigentlich die Unterschiede, für ein nichtgläubiges Publikum umrissen, zwischen katholischem und evangelischem Glauben?
Ich kann es nur mit dem alten Friedrich Daniel Schleiermacher sagen: Bei den einen führt der individuelle Glaube zur Kirche, bei den anderen die Kirche zum individuellen Glauben, superverkürzt. Die Bedeutungen von Institution und Amt unterscheiden sich in den theologischen Grundlagen mehr, als vielen klar ist.
Jahrgang 1966, ist seit 2017 Regionalbischöfin für den Sprengel Hannover in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers. 2020 wurde sie zum Mitglied des Deutschen Ethikrats gewählt. Sie ist verheiratet und hat einen Sohn, lebt in Hannover und Berlin.
Spielen diese Unterschiede im Alltag von christlichen Menschen eigentlich noch prägende Rollen?
Nur noch selten. Und das ist ein Segen. Vor ein paar Jahrzehnten haben im katholischen Münsterland die Katholischen am Karfreitag die Wäsche aufgehängt, um die Evangelischen zu ärgern. Es gab Prügeleien zwischen Kindern, denen der Umgang mit „den Anderen“ verboten war. Wer sich als Katholik in eine Protestantin verliebte, konnte sogar enterbt werden. Alles Familiengeschichten aus der Bundesrepublik. Dazu sehr viel böse Klischees und Unwissenheit. Heute kennen wir das aus anderen Konflikten um die Religion der Anderen.
Noch in den sechziger Jahren waren Liebesbeziehungen, die in Ehen münden sollten, schwierig, wenn die eine Person dieser, die andere jener Konfession anhing. Haben sich diese fundamentalen Markierungen inzwischen nicht erledigt?
Diese Konflikte sind allmählich verschwunden, ja. Ich glaube übrigens nicht, dass das an der Arbeit der ökumenischen Gremien liegt. Der Alltag hat sich verändert. Theologische Differenzen werden nicht mehr als Parole verkürzt wiederholt und deshalb spitzer. Sie haben sich im Alltag irgendwie verschliffen, und zwar nicht erst durch das, was ich Entkirchlichungsprozesse nenne. Jetzt gibt es die Gruppe der Christinnen und Christen, die in manchen Gegenden zusammen als verschrobene Minderheit wahrgenommen werden. Trotzdem sollte man die konfessionellen Prägungen nicht unterschätzen.
Warum nicht?
Religion hat immer was mit Erfahrungen zu tun, oft mit Kindheitserfahrungen. Musik, prägende Menschen, Rituale, ja sogar Gerüche prägen vor jeder intellektuellen Auseinandersetzung. Deswegen ist es meines Erachtens auch vergeblich oder gar ignorant, katholischen Freundinnen, die wütend darauf sind, dass ihnen das geweihte Amt vorenthalten wird, zu sagen: „Werd’ doch evangelisch“, sie sind eben katholischer Konfession.
Ökumene als Idee: Da könnte man auch sagen: „So what – in der Bundesliga müssen sich ja Bayern und Dortmund auch nicht zusammentun, ihnen reicht es, Fußball zu spielen, aber verschieden zu sein, weil das zum Wesen des (fußballerischen) Lebens schlechthin gehört“? Oder?
Na ja, ich finde es schon traurig, dass die Christentümer so zersplittert sind. Kein gemeinsames Abendmahl mit der guten Freundin, dem Ehemann. Klar, Streit und Trennung begleiten das Christentum von Anfang an, sonst wäre der hintere Teil des Neuen Testaments nie geschrieben worden. Nur ging und geht es oft um menschliche Macht und nicht um Gotteserfahrungen, die die Welt verändern können. Das ist die große Schuld der Kirchen. So haben sie immer einen Grund, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Anderseits stimmt es: Glaubensstile, auch innerhalb der Konfessionen, sind anregend. Differenz kann sehr schön sein, wenn man sie nicht als Bedrohung erfährt.
Worauf, theologisch gesprochen, müssen Protestant*innen – wie Sie ja auch – in Differenz zum Katholischen bestehen?
Zwei Dinge: Das geistliche Amt ist nicht ans Geschlecht, sondern an Auftrag und Segen Christi gebunden. Es hebt mich nicht von anderen ab. Die Kirche kann kein Raum ohne Gläubige sein, weil sie die Gemeinschaft aller Getauften ist.
Wie erklären Sie sich die Hartnäckigkeit des Katholikentums, sich beim gemeinsamen Abendmahl zu verweigern?
Alles hängt hier am Amtsverständnis. Das ist bitter. Solange es dort keine Veränderungen gibt, bleibt die gemeinsame Eucharistiefeier ein Traum – oder ein heimlicher Akt, den Gemeinden trotzdem feiern, weil Pastorin und Priester sich über das Lehramt hinwegsetzen. So bleibt es, bei allen Gemeinsamkeiten vor Ort, meist bei getrennten Tischen, ausgerechnet da, wo viele Gläubige sich am intensivsten von Gottes Nähe berühren lassen.
Haben Protestantismus und Katholizismus nicht in Abgrenzung zu allen anderen Glaubensrichtungen Gemeinsames – sagen wir: in jesuanischer Hinsicht?
Klar. Die Pointe des Christentums liegt in diesem doppelten Gedanken: das Lebensprogramm Jesu als das eigene begreifen und zu glauben, dass Christus das Zeichen dafür ist, das Gott nicht irgendwo, sondern in dieser Welt, genauer: im Anderen zu finden ist. Alles andere kommt danach. Nicht dass ich diese Reihenfolge oft genug auf den Kopf stellte.
In unserer pandemischen Zeit wird der Ökumenische Kirchentag ohnehin vor allem digital veranstaltet – aber davon abgesehen: Ist der ökumenische Weg weiterhin nötig?
Christinnen und Christen brauchen einander. Sogar, wenn es Phasen des Kopfschüttelns gibt. Vor allem braucht diese Welt Menschen, die von einer Kraft leben, die großer ist als die Neigung zum Fatalismus.
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