Biopic über Popikone Nico: Biografische Endzeit
Susanna Nicchiarelli verfilmt mit „Nico, 1988“ die letzten zwei Lebensjahre der Popikone. Und setzt ihr ein würdiges Denkmal.
Einmal sitzt Nico in einer italienischen Küche und fragt nach dem grellgelben Zitronenlikör Limoncello. Der passt aber gar nicht zur Pasta, erwidert ihr Gastgeber. Egal. Nico stürzt ein ganzes Glas runter, als wäre es Cola. Apropos Cola: als sie diese in derselben Nacht nicht wie erwartet im Kühlschrank findet, reagiert die Sängerin überaus launisch. Sie braucht Cola. Genauso wie Alkohol. Zigaretten. Heroin. Und manchmal Limoncello.
Nico im Jahr 1988 ist ein Motor, der zwar noch läuft, singt, komponiert – vielleicht besser denn je –, aber für den die Normalbetankung längst nicht mehr ausreichend ist. Eine Schwierigkeit für alle jene, die sie in diesen Monaten auf einer kleinen Tournee durch Europa begleiten. Besonders in Osteuropa gibt es Probleme. Da ist nämlich nicht nur die Beschaffung von Drogen illegal, sondern auch der Auftritt der Ikone selbst.
„Nico, 1988“ der italienischen Regisseurin Susanna Nicchiarelli ist, so viel darf verraten werden, ein biografischer Endzeitfilm. 1988 ist das Todesjahr von Christa Päffgen. Das Jahr, in dem sie auf Ibiza ein Rad besteigt und verunglückt. Am gestrigen Mittwoch jährte sich ihr Todestag zum 30. Mal. Auf Ibiza lebte sie zeitweise mit dem bereits erwachsenen Sohn Ari, den sein Vater Alain Delon bis heute nicht anerkennt, in sonniger Abgeschiedenheit zwischen balearischem Flair und Spritzbesteck.
Fast schon idyllisch. Und auch Nicchiarelli schließt mit einem sich öffnenden himmelblauen Tor, durch das die 49-Jährige beinahe schwebt. Der Auftakt von „Nico, 1988“ jedenfalls ist apokalyptischer: Ein kleines Mädchen steht auf einem Hügel, von dem aus es auf einen Horizont blickt, der in der Nacht rötlich glimmt. „Was ist das Licht da, Mama?“, fragt es. „Das ist Berlin, mein Schatz. Es brennt.“
Nicchiarelli setzt die erste Klammer in einer Weltkriegsnacht. Nach Berlin waren Mutter und Tochter geflohen. Und hier bekam die Jugendliche später eine Anstellung im KaDeWe, als Verkäuferin und Schneiderin, wobei sie aufgrund ihres Aussehens rasch in das Fach der Vorführdame wechselte. Eine Position, aus der sie Fotograf Herbert Tobias im Alter von 16 Jahren „wegentdeckte“.
Versickerte Solokarriere
Der Rest ist Geschichte: eine internationale Karriere als Model und Schauspielerin (man sieht sie unter anderem in Fellinis „La dolce vita“), Muse von Andy Warhol und kurzzeitig Sängerin von The Velvet Underground. In den Siebzigern kennt man sie außerdem als Geliebte des französischen Regisseurs Philippe Garrel, mit dem sie auch Filme drehte.
Parallel startet sie eine Solokarriere, die jedoch immer wieder versickert. „The Marble Index“ (1968) – heute von der Musikkritik als wegweisendes Album akzeptiert – floppt, „The End …“ von 1974 erweckt vor allem Aufsehen im Rahmen einer RAF-Kontextualisierung sowie dem Werbeslogan „Warum Selbstmord begehen, wenn Sie diese Platte kaufen können?“, und „Drama of Exile“, das vorletzte Album von 1981, ist beinahe nicht existent, da die Masterbänder abhandenkommen.
Neuaufnahmen werden zwar gemacht, zudem erscheint eine Bootleg-Version – großartiges Material – trotzdem ist irgendwie der Wurm drin. Der Moment, in dem Susanna Nicchiarelli sich ihrer Christa annähert, ist zwei Jahre nach dem letzten Studioalbum „Camera Obscura“ von 1984.
Christa Päffgen die von der dänischen Schauspielerin Trine Dyrholm gespielt wird, lebt da in Manchester. Sie hat einen Manager, Richard (John Gorden Sinclair), der sich um ihre Velvet-Underground-Tantiemen kümmern wird und genauso darum, dass Sohn Ari (Sandor Funtek) wieder mit seiner Mutter zusammen sein kann.
Eine wahre Tour de Force
Obendrein organisiert er die Tour, gemeinsam mit Laura (Karina Fernandez), die gerne etwas mit ihm anfangen würde. Mit von der Partie ist eine Band, die Nico als „Amateure“ und „Junkies“ beschimpft – bis auf Geigerin Sylvia (Anamaria Marinca), eine Rumänin, die nicht selten guckt, als wüsste sie selbst nicht recht, wie ihr in diesem Haufen geschieht.
Die Tour wird zur Tour de Force – und ist voller unerfüllter amouröser Wünsche und Illusionen. Manchmal ist nicht ganz klar, ob die Männer, die sich immerzu um Christa scharen, an ihrer Person interessiert sind oder an der Vorstellung hängen, etwas vom dem Glanz der Männer, mit denen Nico schlief, könne auf sie überspringen.
Die Vergangenheit hat einen Geist hervorgebracht, der mit seinen milchigen Schleiern die Gegenwart verhängt. Nicchiarelli versucht, sich in ihrem Film nicht allzu sehr von ihm beeindrucken zu lassen, auch wenn ihr eine Faszination anzumerken ist – schließlich spielt auch „Nico, 1988“ in einer früheren Zeit, beruft sich auf einen Mythos – wenn auch einem wenig erzählten.
Als Trittbrettfahrerin der Kunstfigur Nico kann Nicchiarelli aber nicht gelten, sie stellt sich vielmehr an die Seite einer Frau, die ihr in einzelnen Episoden allerdings ähnlich enigmatisch erscheinen muss wie dem Umfeld, das sich um sie schart: Es treten kleinere Lügen auf, vermutlich werden unwahre Bekenntnisse gemacht und es gibt mittelschwere Wutanfälle.
Beide Orte sind leer
Das alles juckt Christa nicht mehr. Auf der Bühne sind ihre Augen weit aufgerissen, ansonsten wirkt der Blick auch schon mal weggetreten. In wacheren Momenten sagt sie Sätze wie: „Ich war ganz oben. Ich war ganz unten. Beide Orte sind leer.“ An zwei Dingen hängt sie aber: an ihrer Musik. Und an Ari.
„Nico, 1988“. Regie: Susanna Nicchiarelli. Mit Trine Dyrholm, John Gordon Sinclair u. a. Italien/Belgien 2017, 93 Min.
Nicht zuletzt auch an einer zur Tragödie geronnenen Aufgabe, deren Erklärung in den Zeilen eines Stücks von Nat King Cole steckt. Untergebracht in einem italienischen Edelhotel, bittet der Manager, der die Truppe umsonst logieren lässt, Nico um einen Auftritt mit seiner Jazzband. Christa gibt „Nature Boy“, in dem es heißt: „The greatest thing / You’ll ever learn / Is just to love / And be loved / In return“.
Man muss an „Nico-Icon“ denken, eine Musikdokumentation von 1995, in der jemand feststellte: „Niemand liebte Nico. Und Nico liebte niemanden.“ So sieht Susanna Nicchiarelli ihre Nico, die vielmehr eine Christa ist, nicht.
Sie sieht das vom Krieg geprägte Mädchen, das sich in Manchester an die Ruinen Berlins erinnert fühlt und es deswegen schätzt. Sie sieht die Mutter, die an ihrer Rolle gescheitert ist und versucht, Wiedergutmachung zu leisten. Sie sieht die Musikerin, die sich vom alten Image befreien und für das anerkannt werde möchte, was sie heute schafft.
Das alles vermittelt einen Anschein von Ausgewogenheit, „Nico, 1988“ ist ein Film, der seiner Protagonistin Unterschlupf gewährt. Dass es einem nicht zu heimelig wird, liegt zum einen daran, dass die Situation – die zwei finalen Jahre, in denen man Christa Päffgen hier begegnet – dramaturgisch viel hergibt oder auf ansehnliche Art angereichert wird.
Andererseits, und das ist nicht unwesentlich, erweist sich Nicchiarelli als begabte Regisseurin. In den letzten zehn Jahren vor allem als jemand in Erscheinung getreten, der sich mit den Themen Raumfahrt („Cosmonauta“) und Zeitsprüngen („La scoperta dell’alba“) auseinandersetzte, ergibt „Nico, 1988“ vielleicht metaphorisch keine schlechte Mischung aus diesen Bereichen: Nico/Christa steht ganz sicher nicht mehr fest auf dem Boden, driftet durch diverse Kosmen.
Durch welche genau, das hat für sie keine große Bedeutung mehr. Nicchiarelli deutet dafür indirekt auf die mit Nico Reisenden, fragt sie: Und was macht ihr hier eigentlich?
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