: Biomedizin statt sozialer Politik
Reagenzglasbefruchtung, vorgeburtliche Diagnostik und Präimplantationsdiagnostik – sind das die neuen Instrumente zur Befreiung der Frauen? Wer das denkt, liegt falsch
Die aktuelle Debatte über die neuen biomedizinischen Entwicklungen dreht sich vor allem um die Frage, welcher moralische Status dem menschlichen Embryo zukommt. Man meint offensichtlich, dass allein dieser Aspekt entscheidend ist, um etwa die embryonale Stammzellforschung oder die Präimplantationsdiagnostik zu erlauben. Diese Embryozentriertheit ist jedoch nicht sinnvoll. Erstens wird der moralische Status von Embryonen seit Jahren diskutiert, ohne dass sich die konträren Positionen auch nur ein wenig aufeinander zubewegt hätten. Und zweitens werden jene Einwände nicht weiter diskutiert, die diese Lebensschutzkontroverse nicht berühren. Dazu gehört die feministische Perspektive. Die Biomedizin verändert die soziale Wirklichkeit. Deshalb muss gefragt werden, welche Folgen sich daraus für das Leben und die Selbstbestimmung von Frauen ergeben. Gleichzeitig müssen wir klären, in welcher Gesellschaft wir künftig leben wollen.
Nun könnte frau allerdings fast den Eindruck gewinnen, diese feministische Perspektive und Besorgnis sei überflüssig. Vorwiegend männliche Ärzte tun so, als seien Reagenzglasbefruchtung, vorgeburtliche Diagnostik und neuerdings Präimplantationsdiagnostik Instrumente zur Befreiung der Frau. Und tatsächlich nehmen viele Frauen diese Angebote der Medizin sogar offensiv in Anspruch. Heißt das aber, dass die feministische Kritik an der Fortpflanzungsmedizin und an der vorgeburtlichen Diagnostik überholt ist? Und ist eine solche Kritik überhaupt legitim? Auch dann, wenn dadurch einzelnen Frauen verwehrt würde, ein gesundes leibliches Kind mit medizinisch-technischer Hilfe zu bekommen? Ich meine, ja. Ein feministisches Verständnis der Selbstbestimmung kann nicht auf die Wahlfreiheit bei biomedizinischen Angeboten reduziert werden.
In der Debatte über den Paragrafen 218 wandte sich die Frauenbewegung gegen den „Gebärzwang“ und die Festlegung auf die Mutterrolle. Nicht zuletzt dank der Reform können Frauen heute zwischen verschiedenen Lebensentwürfen wählen. Allerdings sind die Spielräume nach wie vor durch patriarchal geprägte gesellschaftliche Bedingungen begrenzt. So sehen sich Frauen einem zunehmenden Perfektionsdruck ausgesetzt, was ihre Familienplanung angeht. Ein Kind zum falschen Zeitpunkt – deshalb wird der Kinderwunsch oft aufgeschoben – oder gar ein behindertes Kind kann zum Karriere- und Armutsrisiko werden. Seitdem die Reagenzglasbefruchtung möglich ist, hat sich die Vorstellung erst recht verbreitet, dass sich der Kinderwunsch perfekt nach Plan verwirklichen ließe. Leider entpuppt sich dies aber für die meisten Frauen als Illusion. Nur ganze 13,6 Prozent der Reagenzglasbefruchtungen führen zum heiß ersehnten Kind – trotz aller gesundheitlichen und psychischen Strapazen, die Frauen dafür auf sich nehmen. Dazu gehören die Risiken der Hormonbehandlung und der operativen Eizellentnahme sowie eine stark erhöhte Mehrlingsschwangerschaftsrate – ca. 32 Prozent sind Zwillinge und ca. 7 Prozent Drillinge – mit entsprechenden Folgeproblemen wie Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen oder Frühgeburten.
Als Illusion erweist sich auch, dass die vorgeburtliche Diagnostik ein gesundes Kind garantieren könne. Denn die weitaus meisten Behinderungen entstehen während der Schwangerschaft, der Geburt oder danach. Und auch von den „genetisch bedingten“ Schädigungen wird bei einer vorgeburtlichen Diagnostik nur ein kleiner Teil erkannt. Liegt jedoch ein auffälliger Befund durch Pränataldiagnostik vor, heißt das für die meisten Frauen: Sie brechen ihre Schwangerschaft im zweiten Drittel ab – durch eine eingeleitete Geburt.
Die biomedizinischen Angebote stellen vermeintliche medizinische Lösungen für letztlich soziale Probleme dar. Nach wie vor entziehen sich viele Männer der gemeinsamen Verantwortung für Kinder und besonders für solche, die mehr Fürsorge und Unterstützung brauchen. Zudem legitimiert die angeblich mögliche Perfektion des Nachwuchses eine Arbeitswelt, deren steigende Anforderungen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zunehmend erschweren. Frauen mit behinderten Kindern trifft dies besonders hart.
Mit der Präimplantationsdiagnostik stehen wir vor einem neuen Meilenstein der Medikalisierung von Zeugung, Schwangerschaft und Geburt. Sie verbindet die Gendiagnostik mit der Reagenzglasbefruchtung. Für die Präimplantationsdiagnostik werden mehrere Eizellen gewonnen und im Labor befruchtet, um sodann eine „Selektion“ per Gentest vornehmen zu können. Nur „gesunde“ Embryonen werden für eine Schwangerschaft ausgesucht. Die betroffenen Frauen, die ja eigentlich fruchtbar sind, müssen also extra für die Präimplantationsdiagnostik eine Reagenzglasbefruchtung durchführen lassen.
Darüber hinaus weckt die Verfügbarkeit von Embryonen auch außerhalb der Fortpflanzungsmedizin neue Begehrlichkeiten. Mit embryonalen Stammzellen von „überzähligen“ Embryonen, so hofft man, könnte künftig im Labor Gewebe gezüchtet werden – als neue Perspektiven für die Transplantationsmedizin. Mit dem „therapeutischen Klonen“, bei dem Körperzellen des Patienten mit gespendeten Eizellen verschmolzen würden, wären möglicherweise sogar individuell zugeschnittene Zell- und Gewebsersatztherapien denkbar. Allerdings sind die therapeutischen Ziele weit gehend spekulativ. Gestritten wird nun darum, ob die Hoffnung kranker Menschen den „Verbrauch“ von Embryonen rechtfertigt. Unterschlagen wird dabei meist, dass für die Herstellung von Embryonen im Labor Eizellen benötigt werden. Insbesondere für das heiß diskutierte therapeutische Klonen wären unzählige „gespendete“ Eizellen notwendig. Die „Gewinnung“ von Eizellen aber ist mit erheblichen Gesundheitsrisiken für die Frau verbunden. Dazu gehören im Extremfall lebensbedrohliche Überreaktionen durch die zugeführten Hormone; es bestehen Verletzungsrisiken durch die Eizellpunktion und möglicherweise ein erhöhtes Krebsrisiko als Langzeitfolge. In den Ländern, in denen die Eizellspende erlaubt ist, sind „gespendete“ Eizellen für die Reagenzglasbefruchtung anderer unfruchtbarer Frauen schon heute Mangelware. Ließe man die embryonale Stammzellforschung und das therapeutische Klonen zu, würden „überzählige“ Embryonen von Reagenzglasbefruchtungen und „gespendete“ Eizellen zum begehrten Rohstoff für die Biomedizin. Dadurch entstünde zwangsläufig ein Zielkonflikt zwischen den wissenschaftlichen, medizinischen und ökonomischen Interessen an Eizellen und Embryonen und dem Schutz der Rechte der betroffenen Frauen. Zugespitzt formuliert, würden Frauen zu Rohstoffproduzentinnen für therapeutische Zwecke erklärt.
In diesem Kontext ist das Embryonenschutzgesetz, das den fremdnützigen Zugriff auf Eizellen und Embryonen (noch) untersagt, faktisch auch ein Gesetz zum Schutz der Rechte von Frauen – so paradox das klingen mag.
SIGRID GRAUMANN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen