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Biologe über Schutzmaßnahmen für Aale„Fangverbot auch für Binnenfischer“

Von September bis März darf der Aal nicht mehr in Nord- und Ostsee gefangen werden. Reichen werde dies nicht, sagt Fischereibiologe Reinhold Hanel.

Auf der Forschungsfahrt im April sammelten Hanel und seine Mit­ar­bei­te­r:in­nen diese Aal-Larven Foto: Marko Freese/Thünen Institut
Eiken Bruhn
Interview von Eiken Bruhn

Herr Hanel, Ihr Bremerhavener Institut ist europaweit das Einzige, das den Aal in allen Entwicklungsstadien beforscht, richtig?

Reinhold Hanel: Ja, weil wir die einzigen sind, die derzeit in seinem Laichgebiet in der Sargassosee forschen.

Ein Seegebiet südlich von Bermuda, in dem weder Eier noch erwachsene Aale gefunden wurden …

… aber so junge Larvenstadien, dass es daran kaum Zweifel gibt.

Warum ist der Aal von besonderem Interesse für die Forschung?

Er ist in vielen Ländern aus wirtschaftlicher Sicht ein wichtiger Fisch. Wissenschaftliche Daten sind notwendig, um die Bestandsentwicklung weiter zu verfolgen und Management-Maßnahmen besser evaluieren zu können.

Die sind notwendig geworden, weil der Aalbestand so extrem eingebrochen ist.

Ja, man bewertet die Bestandsentwicklung über die Mengen an Glasaalen, die an den europäischen Küsten ankommen, also die Jungfische. Im Vergleich zum Mittel der 1960er- und 1970er-Jahre ist die Glasaalankunft um etwa 95 Prozent eingebrochen. Um den Aal besser schützen zu können, verlangt die europäische Kommission zusätzliche Daten von den Mitgliedsländern.

Es gibt nicht genügend?

Es gibt nur Schätzungen zu Fang und Verzehr. Das liegt daran, dass der Aal vor allem für die kleingewerbliche Berufsfischerei und die Angelfischerei von Bedeutung ist. Gesicherte Daten zu deren Fangmengen gibt es europaweit nicht.

Bild: Reinhold Hanel
Im Interview: Reinhold Hanel

ist Professor für Fischereibiologie und leitet das Thünen-Institut für Fischereiökologie in Bremerhaven.

Welche Entwicklungsstufen werden gefangen?

Glasaal fängt man nur in Mündungsbereichen und da kommt in deutschen Flüssen kaum noch etwas an. In Deutschland werden vor allem Gelbaale in der Reusenfischerei in Binnen- und Küstengewässern gefangen und Blankaale auf ihrem Weg zurück ins Meer.

Warum hat er eine so große wirtschaftliche Bedeutung, wenn es ihn kaum noch gibt?

Das liegt am Preis. Es gibt in Deutschland kaum teureren Fisch. Deshalb sagen die Fischer, dass sie auf den Aalfang nicht verzichten können. Politische Entscheidungsträger folgen diesem Argument und sehen aus sozioökonomischen Erwägungen keine Möglichkeit für ein Fangverbot. Warum die Angler ihn trotz der angespannten Bestandssituation weiter fangen wollen, müssen die Ihnen erklären.

Wenn die Kleinfischer wegen der Fangquoten kaum noch etwas anderes fangen können, ist das doch nachvollziehbar …

Klar. Leider ist die Bestandssituation des Aals dermaßen besorgniserregend, dass es aus wissenschaftlicher Sicht im Moment keine Alternative zum Fangverbot gibt.

Für den Aal gilt immerhin erstmals eine Schonzeit in Nord- und Ostsee – von September bis März.

Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, gilt aber nur für Meeres- und Brackwassergebiete. Die gesamte Binnenfischerei ist davon unbeeinflusst. Wichtig für das Verständnis der Situation des Aals ist, dass nicht nur der Bestand in einem bestimmten Gebiet bedroht ist, wie bei Kabeljau oder Hering, sondern die ganze Art. Beim Aal gibt es nur den einen Bestand, wissenschaftlich auch als Population bezeichnet. Der Aal im Mittelmeer unterscheidet sich nach heutigem Stand des Wissens genetisch nicht von dem in Norwegen, sie haben alle ihren Ursprung in der Sargassosee.

Was macht den europäischen Aal so angreifbar?

Er wandert zweimal in seinem Leben 5.000 bis 7.000 Kilometer und nutzt dabei ganz unterschiedliche Habitate. Viele davon haben sich grundlegend verändert in den letzten 100 Jahren. So sind die meisten Binnengewässer aufgrund von Kraftwerken und Staustufen nicht mehr frei durchgängig. Zusätzlich hat sich die Gewässerverschmutzung massiv erhöht.

Darunter leiden auch andere Organismen.

Der Aal ist wegen seines hohen Fettgehalts besonders anfällig für fettlösliche Schadstoffe. Zusätzlich führt sein Leben am und im Gewässergrund zu erhöhter Exposition. Und er laicht nur einmal in seinem Leben, während andere Fischarten Schadstoffe bei der regelmäßigen Eiablage verlieren. Der Aal akkumuliert also in seinen zwei bis vier Lebensjahrzehnten alles, was er aufnimmt und gibt es in die Eier ab, was wir experimentell nachweisen konnten.

Deshalb forschen Sie auch im Laichgebiet.

Ja, unter anderem. Hauptsächlich geht es darum, Änderungen des Auftretens von Aal-Larven im Laichgebiet zu erkennen. Nur so sehen wir, ob die Schutzmaßnahmen in Europa greifen

Weiß man, warum der Aal genau dort laicht?

Dazu gibt es unterschiedliche Hypothesen. Es könnte an der niedrigen Räuberdichte liegen oder an den speziellen Bedingungen für die Larven, wie Wassertemperatur und vor allem Futterverfügbarkeit.

Am Meeresschnee?

Ja, das sind winzige Partikel organischen Materials. Eine Vermutung wäre, dass die Qualität dieser „Flocken“ in der Sargassosee einzigartig ist.

Und solange man das nicht weiß, kann man den Aal auch nicht züchten?

Es ist noch nicht gelungen, die Larven so zu füttern, dass sie bis zur Umwandlung zum Glasaal überleben. Bisher verhungern sie nach wenigen Wochen bis Monaten. Deswegen gibt es keine wirkliche Aal-Aquakultur, die Aal-Farmen sind reine Mastanlagen für wild gefangene Glasaale.

Glasaale werden in Deutschland auch in Binnengewässern ausgesetzt. Fischer und Angler sind dafür, weil sie sagen, so würde der Bestand erhalten. Wissenschaftler wie Sie halten dagegen.

Das sieht auch der Internationale Rat für Meeresforschung so, der einen vollständigen Fangstopp auch für Glasaale für Besatzzwecke empfiehlt. Die über Jahrzehnte durchgeführte Praxis des Aalbesatzes hat den dramatischen Bestandsrückgang begleitet und nicht verhindert. Besetzt wird vor allem dort, wo der Aal auch stark fischereilich genutzt wird. Die Maßnahme dient also vor allem der Aufrechterhaltung der Fischerei und nicht dem Wiederaufbau des Bestandes. Wenn etwa Jungaale oberhalb von Kraftwerken ohne uneingeschränkte Möglichkeit zur Abwanderung besetzt werden, lässt sich das schwer als Schutzmaßnahme erklären.

Nach EU-Richtlinie soll der Bestand geschützt werden, in dem die Abwanderung der Blankaale erhöht wird, womit gemeint ist, die Hindernisse zu beseitigen.

Die Durchgängigkeit und Qualität der Binnengewässer zu verbessern, ist ein ganz wesentlicher Aspekt und zurecht Teil der Diskussion. Problematisch ist aber auch, dass wir keine guten Daten darüber haben, wie viele Blankaale wirklich abwandern. Überprüfungen der Abwanderungsmodelle zeigen, dass die tatsächliche Anzahl der Aale, die unsere Flüsse verlässt, teils massiv überschätzt wird.

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