Biologe über Plastikverschmutzung: „Am Ende sind alle Meere vermüllt“
Mikro- und Nanoplastik sind noch gefährlicher für Mensch und Umwelt als die sichtbaren Kunststoffberge. Aber wer kann und muss die Probleme lösen?
taz: Herr Lehner, Sie sind eben im Pazifikland Samoa angekommen, um mit Ihrem Team Plastikproben im Meer einzusammeln. Rechnen Sie damit, diesen gigantischen Plastikmüllteppich zu finden, von dem man immer wieder liest?
Roman Lehner: Wir erwarten, dass wir auf dieser Expedition nicht viel sichtbares Plastik einsammeln. Wir sind auf der Suche nach dem Kleinstmikroplastik – also unter 0,3 Millimeter. Denn darüber gibt es eigentlich noch gar keine wissenschaftlichen Daten. Wir wissen jedoch, dass dieses Kleinstplastik größere Folgen für die Nahrungskette haben kann, weil viel mehr Lebewesen diese winzigen Teile aufnehmen können. Wir nehmen Proben, die bis zu 50 Mikrometer klein sind, also 0,05 Millimeter und somit mit bloßem Auge nicht mehr sichtbar. Dieser pazifische Plastikmüllteppich, von dem Sie sprechen – der ist eine Legende. Es gibt zwar verschiedentlich starke Anhäufungen von Plastikmüll in den Meeren. Aber man muss sich dabei nicht eine einzige riesige Plastikansammlung vorstellen, die wie ein Teppich auf der Oberfläche schwimmt.
ist Wissenschaftlicher Projektleiter & Mitbegründer des in Bern beheimateten Forschungsinstituts Sail & Explore. Aktuell forscht er am Adolphe Merkle Institute in Fribourg zu Mikro- und Nanokunststoffen und deren möglichen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Er war mehrere Jahre als wissenschaftlicher Führer auf meeresbiologischen Exkursionen tätig.
Weshalb genau ist Mikroplastik gefährlich?
Weil diese kleinen Teile nicht nur von größeren Tieren wie etwa Schildkröten, Fischen oder Walen aufgenommen werden können, wie das bei sichtbarem Müll der Fall ist, sondern von viel mehr Meerestieren. Und dann können sie sich in der Nahrungskette akkumulieren. Wenn Mikroplastik von Plankton aufgenommen wird, kommt es auch in kleine Fische oder Krill – und wird so in der Nahrungskette nach oben transportiert und weiter angesammelt, wenn die kleinen Fische von größeren und diese von noch größeren Fischen gegessen werden. Plankton wird aber auch direkt von den größten Tieren konsumiert, etwa vom Blauwal oder dem Walhai, das zeigt die ganze Relevanz innerhalb der marinen Nahrungskette! Übrigens können Plastikteile kleinster Größe auch von einzelnen Zellen aufgenommen werden. Dann wird es – wissenschaftlich ausgedrückt – besonders interessant in Bezug auf die menschliche Gesundheit. Ein Mikroplastikstück, wie wir es bis jetzt kennen – kleiner als 5 Millimeter, nur ein paar Mikrometer groß –, wird einfach durch den menschlichen Körper hindurchgehen. Es wird nicht von ihm aufgenommen, weil es noch zu groß ist. Wenn wir aber von fünf Mikrometer, also 0,005 Millimetern und noch kleiner reden, sind wir beim Nanoplastik. Und das kann auch von einer menschlichen oder tierischen Zelle aufgenommen werden und sich dann auch bei uns im Gewebe akkumulieren.
Ist der Pazifik besonders stark von Plastikvermüllung betroffen?
Pazifik, Atlantik und Indischer Ozean sind durch die globalen Meeresströmungen miteinander verbunden, was dazu führt, dass das Plastik vom Pazifik in den Atlantik und umgekehrt transportiert werden kann. Es gibt sicher gewisse Unterschiede, aber am Ende sind sie einfach alle sehr stark vermüllt. Allerdings ist das Mittelmeer – also in Europa eigentlich unser Hausmeer – das am stärksten verschmutzte Meer. Wir haben dort die höchsten Zahlen an Mikroplastik im globalen Vergleich überhaupt.
Woher kommt diese extreme Belastung des Mittelmeers?
Hauptgrund ist, dass es nur zwei Zu- und Abflüsse gibt – die Straße von Gibraltar und den Suezkanal. Das sind zwei relativ schmale Meerengen. Zudem haben wir die sehr komplexe Geografie des Mittelmeers. Denken wir nur an all die vielen kleinen Inseln, die es im Mittelmeer gibt, etwa in Griechenland, und Italien. Die führen zu einem Strömungsmuster, bei dem sich Plastik stark kumuliert und eigentlich gar nicht mehr aus dem Mittelmeer hinaus kann. Zudem gibt es viele Flüsse, die Plastik vom Land ins Mittelmeer transportieren. Und wir haben eine extrem hohe Anzahl von Touristen, jährlich über 300 Millionen Menschen, die ihren Urlaub am Mittelmeer verbringen. Sie konsumieren Produkte, welche oft in Einwegplastik verpackt sind und – wenn nicht sauber entwertet – oft im Meer enden.
Wenn Sie das Problem der Plastikverschmutzung mit anderen Problemen vergleichen müssten, etwa Klimaerwärmung, Artenverlust, wo steht dann das Plastik?
Die Plastikverschmutzung gehört neben der Klimaerwärmung zu den momentan global größten Umweltproblemen. Wir müssen uns beiden stellen, nicht zuletzt, weil sie mit einander verbunden sind. Bei der Plastikproduktion entstehen CO2 und andere Treibhausgase, die zur Klimaerwärmung beitragen.
Welches der beiden Probleme ist schlimmer?
Ich denke mal, die Klimaerwärmung, denn wir sehen die Folgen bereits. Beim Plastik, da geht es wahrscheinlich noch ein paar Jahre, bis wir einen direkten Effekt auf uns Menschen darstellen können. Wir haben zwar eine unglaublich große Menge Plastikmüll, der nicht nur in Gewässern, sondern auch am Land irgendwo in der Umwelt gelandet ist, und von vielen Organismen aufgenommen wurde. Trotzdem sind die Konzentrationen oftmals immer noch zu klein, um Folgen zeigen zu können.
Welche Rolle spielen wirtschaftliche Interessen bei der Regulierung von Plastikmüll, allen voran die von Konzernen wie Coca-Cola, die enorme Mengen an Plastik produzieren?
Große Unternehmen wie Coca-Cola sind sich des Problems bewusst. Ich finde es ein bisschen einfach, wenn man mit dem Finger auf sie zeigt und sie für das Problem verantwortlich macht. Unter dem Strich ist es der Endkonsument, der nicht richtig mit dem Produkt umgeht. Klar, wenn alle diese großen Firmen umstellen würden, würde dies eine markante Veränderung bewirken. Aber das ist nicht so einfach. Man kann gewisse Plastikprodukte nicht einfach von heute auf morgen ersetzen. Das funktioniert schon rein wirtschaftlich nicht. Die Plastikwirtschaft ist global ein sehr großer Wirtschaftszweig, der komplex vernetzt ist. Ich persönlich finde es sehr positiv zu sehen, dass so ziemlich alle großen Unternehmen bereit sind, etwas zu unternehmen, und dass sie versuchen, entweder neue Materialien einzusetzen oder Recycling zu fördern. Sie wissen, dass es nicht nur um die Zukunft unseres Planeten geht und der Umwelt, sondern auch um die Zukunft der Firma.
Sind solche Maßnahmen aber nicht einfach nur Greenwashing – die Firmen sagen, sie tun etwas, aber in Wirklichkeit sperren sie sich gegen einzuklagende Regeln?
Ja, es ist ein zweischneidiges Schwert. Oftmals rutscht das Ganze in den Bereich Greenwashing. Die Unternehmen produzieren weiter Plastik und haben daneben Programme für Alternativen, um eine saubere Weste zeigen zu können. Das ist schon so, aber am Ende geht es darum, dass man überhaupt etwas machen und Initiative zeigen muss. Ich finde es eigentlich viel wichtiger, dass die ganzen Aktivisten, die sich über das Plastikproblem aufregen, den Kontakt suchen zu diesen Firmen, um gemeinsam an möglichen Lösungsansätzen zu arbeiten. Beim Plastikproblem ist jeder Schritt in Richtung Zukunft ein guter Schritt. Es gibt effiziente Lösungen und weniger effiziente. Man darf nicht vergessen: Es ist ein relativ komplexes Problem, nicht nur ein wirtschaftliches, auch ein kulturelles.
Wieso ist der Umgang mit Plastik auch ein kulturelles Problem?
Man muss das Problem in jedem Land oder auf jedem Kontinent ein bisschen anders angehen. In Indonesien muss man die Dorfältesten überzeugen, dass „Plastic littering“ etwas Schlechtes für die Natur ist, um die ganze Bevölkerung zu erreichen. In Europa muss man durch Information und Bildung einen kulturellen und sozialen Wechsel bewirken. Aber immer gilt: Die Bevölkerung muss realisieren und umschalten und sagen: Okay, wir versuchen jetzt, auf Plastik zu verzichten.
Welche Rolle kann ein Abkommen spielen, wie es für die UN-Konferenz in Nairobi geplant ist?
Es wird sich zeigen, wie effizient dieses Abkommen sein wird. Aber es ist sicher ein guter und wichtiger Schritt. Schlussendlich müssen wir uns einfach vermehrt überlegen, wie man Produkte, die in der Umwelt Schaden anrichten, besser ersetzen kann. Vor 1950 gab es kein Plastik, und der Mensch hat trotzdem gut funktioniert und konnte seine Produkte verpacken. Die Alternativen existieren also schon lange, und es gibt mittlerweile noch viel, viel mehr. Man müsste diese Alternativen viel mehr fördern. Aber Plastik ist von der Produktionsseite her einfach viel zu billig. Jede Alternative ist immer zu teuer. Das macht es dann schwierig, sie zu initiieren und zu etablieren. Hier müsste man auf Regierungsebene zusammen mit der Wirtschaft Regeln ausarbeiten, damit solche Alternativen zu Plastik eine Chance haben, im Markt zu überleben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“