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Biografie über Olaf ScholzMund abputzen, weitermachen

„Zeit“-Journalist Mark Schieritz hat ein freundliches Porträt über Kanzler Olaf Scholz geschrieben. Bei entscheidenden Fragen muss auch er passen.

Farblos geblieben: Olaf Scholz Foto: Michael Kappeler/dpa

Man darf sich die kurze Politikerbiografie als ein scheues Wesen vorstellen. Flink springt sie nach dem Amtswechsel aus dem Busch, zeigt sich kurz und huscht oft ebenso rasch wieder in den Blätterwald zurück. Kaum ist sie da, ist sie auch wieder weg. Hinschauen ist also angesagt, denn es ist eine gewisse publizistische Hochnäsigkeit, anzunehmen, dass erkenntnistechnisch von einer 175-Seiten-Biografie nicht viel zu holen sei. Die kurze Form wird oft unterschätzt.

Der Journalist Mark Schieritz legt fast noch termingerecht zur Kanzlerwahl ein solch knappes Format vor und fragt, wer ist unser Kanzler.

So banal die Frage, so berechtigt ist sie. Denn was weiß man schon über den Menschen Scholz, wie er tickt, was ihn antreibt. Viel ist es nicht – und bereits dies macht ihn zu einem Politiker seiner Zeit. Wer auf Anekdoten, gar auf Zoten und Possen aus dem Leben des jungen Olaf S. hofft, wird enttäuscht: Es gibt sie schlichtweg nicht. Scholz reiht sich hier nahtlos in die Generation der Steinmeiers und Merkels ein, die nicht forsch an Zäunen rüttelte und trotzdem – ja, gerade aus diesem Grund – Karriere machte, die deutsche Politik am Anfang des 21. Jahrhunderts bestimmt hat und es nach wie vor tut.

Scholz ist einer von ihnen. Er tritt 1975 in die SPD ein, engagiert sich – auch international – für die Sozialdemokratie, gehört zum Stamokap-Flügel der Jusos, steigt als Kreis- und Landesvorsitzender stetig auf. Seit Anfang der 2000er Jahre prägt er auch die Bundes-SPD an wichtigen Positionen.

20 Jahre im Scheinwerferlicht

Als Hamburger Innensenator, Bundesarbeitsminister, Erster Bürgermeister von Hamburg, Bundesfinanzminister und stellvertretender Bundeskanzler regiert er im Land und im Bund als feste Größe auf dem politischen Tableau der Bundesrepublik – und doch, auch nach gut 20 Jahren im Scheinwerferlicht des politischen Interesses: als Person bleibt Scholz reichlich farblos.

Das macht jedem Biografen zu schaffen. Womöglich hätte Schieritz nur tiefer graben müssen, Scholz’ Weggefährten und vor allem auch seine politischen Gegner befragen, Protokolle studieren und ihn selbst zum Gespräch bitten müssen (nichts davon ist geschehen). Das ist einerseits ein Kritikpunkt, andererseits – und der Autor legt das nahe: es hätte im Fall Scholz wohl eh keinen Zweck gehabt.

Das Buch

Ein Mann, der kein Wort zu viel sagt. Reden grundsätzlich für überschätzt hält. In Interviews nur das antwortet, was er ohnehin vor hat zu sagen, oder bei unangenehmen Fragen schlichtweg schweigt. Das „ordentliche Regieren“ hat er zum Grundsatz seiner Politik gemacht. Gute Verwaltungspraxis und der Ausgleich von Interessen ist ihr Wesenskern, Verhandlung die Lösung.

Das politische Klein-Klein ergibt sich für ihn aus der sachlogischen Einsicht, dass die Dinge nun einmal kompliziert sind und außer ihm selbst nur wenige sie zu durchschauen vermögen. Dieser selbstgewisse Aktentaschen-Populismus ist Scholz zu eigen und wird von ihm hanseatisch-schlumpfig gepflegt und zuweilen kultiviert.

An sich gezweifelt habe er nie

Dass der regierungserfahrene „Bundes-Olaf“ im Stoff steht wie kein Zweiter, sei jedenfalls der entscheidende Vorteil bei der Bundestagswahl gewesen, heißt es aus der SPD. An sich gezweifelt habe er ohnehin nie. Für Niederlagen wie den verpassten Parteivorsitz 2019 habe er einen gut geübten Umgang entwickelt: Er ignoriert sie einfach.

Dieselbe Lässigkeit, die Scholz bei der Aufarbeitung seiner Rückschläge an den Tag legt, zeigt Schieritz bei der freundlichen Beschreibung der „Pannen“ in der Karriere des Olaf Scholz. In knappen Worten und nach wenigen Seiten urteilt Schieritz, dass die G20-Krawalle von Hamburg, der beispiellose Wirecard-Bilanzbetrug und der Steuerbetrug der Warburg-Bank nach Lage der Dinge „zumindest was Olaf Scholz betrifft keine politischen Skandale“ seien. Autor und Protagonist sind da einer Meinung: Mund abputzen und weitermachen.

Natürlich werden höchste Ämter nicht für Selbstreflexionen vergeben – doch wer von Demut und Respekt spricht, darf schon mal selbstkritisch zurückblicken. Andersherum: Scholz’ Fähigkeit, politische Rückschläge wegzustecken und unbeirrt weiterzumachen, dürfte angesichts der Herausforderungen der Zeit – Krieg, Klima und Pandemie, um nur drei Stichworte zu nennen – eine künftig noch häufiger gefragte Qualität darstellen.

Aber was noch? Warum sollte ausgerechnet dieser Mann der richtige sein für Aufbruch und Modernisierung? Die Antwort bleibt offen. Man wird jedoch untergründig fündig.

Ökonomen und Historiker

Da ist ein gewisses intellektuelles Fundament, auf das Scholz sein Politikgebäude baut. Schieritz porträtiert ihn als lesenden und diskutierenden Menschen. Wo Politik oftmals aus einseitigen Spiegelstrichdokumenten abgeleitet wird, lässt Scholz immerhin Lücken fürs offene Gespräch zu: Vor allem Ökonomen und Historiker gaben sich im Finanzministerium die Klinke in die Hand. Die Schablone für seine Respekt-Kampagne im Bundestagswahlkampf geht zurück auf den Gerechtigkeitsentwurf des US-Philosophen Michael Sandel.

Scholz ist fasziniert von Sandels Buch „Vom Ende des Gemeinwohls“. Im Dezember 2020 diskutieren die beiden während einer SPD-Veranstaltung. Auch im Wahlkampf schließt er sich mit dem Harvard-Professor per Videokonferenz zusammen. Sandel vertritt die These, dass die Leistungsgesellschaft an ihr Ende gekommen sei und nunmehr verantwortlich sei für gesellschaftliche Spaltungen. Die Zeit des Aufstiegs durch Bildung sei passé, so Sandel.

Wer hart arbeite, könne alles erreichen – dieses Versprechen gelte nicht mehr. Der Aufstieg rechter Populisten, Polarisierung und Vertrauensverlust in die Politik seien Ausdruck dessen. Kurzum, es brauche neue gesellschaftliche Bündnisse, es brauche mehr Respekt. Sandels Thesen überzeugen Scholz.

Professoren auf Paketboten angewiesen

Darin liegt mehr als nur die Abkehr von den Agenda-Reformen, die Scholz einst zentral mitgetragen hat. Darin liegt auch ein Abschied vom sozialdemokratischen Bildungsversprechen der Ära Brandt. Nicht die Durchakademisierung der Gesellschaft stiftet Zusammenhalt, sondern der Respekt der Gesellschaftsteile untereinander. Auch Professoren sind auf Paketboten angewiesen.

Im coronageprägten Wahlkampf trugen Scholz nicht allein die Patzer der anderen ans Ziel. Er hatte auch eine stimmige Erzählung. Arbeit als soziale Teilhabe, die Grundrente (vor der Wahl) und Mindestlohn (nach der Wahl) bildeten schlüssige Klammern.

Man sollte es nicht übertreiben, zumal große Politikentwürfe dem Ex-Marxisten Scholz suspekt sind. Wie zum Beweis lieferte der Neu-Kanzler Mitte Dezember eine bemerkenswert blutleere Regierungserklärung ab. Doch ironischerweise tun sich der SPD ausgerechnet mit Olaf Scholz im Kanzleramt ungeahnte Chancen zur Neuausrichtung auf, wenn die programmatische Arbeit mit Personen und Konzepten ausbuchstabiert werden kann.

Und wenn der Partei die Zeit dafür bleibt. Zu sehr drängen die Krisen. Regierungshandeln erscheint mehr und mehr reaktiv, kaum mehr gestalterisch, wie es vor allem für sozialdemokratisches Handeln so wichtig und in einem Dreierbündnis schwierig ist. „Bazooka“, „Wumms“ und über Nacht ausgeheckte 100-Milliarden-Pakete mögen robust und richtig sein oder eben das genaue Gegenteil davon – einer stringenten Politikplanung entstammen sie jedenfalls nicht.

Der Klimawandel – nicht gerade Scholz’ Herzensthema, schreibt Schieritz – soll durch Innovation in den Griff zu bekommen sein, nicht durch Verzicht. Auch hier bleiben offene Fragen. Wie genau das in einer alternden Gesellschaft gelingt, wird sich zeigen.

Worin Scholz’ Beitrag liegen könnte, zu vereinen und zu moderieren einerseits und zugleich Fortschritt und Investitionen andererseits zu entfesseln, ist (noch) unklar. Welchen Part Deutschland und Europa bei der Friedenssicherung übernehmen können, bleibt abzuwarten. Ob Scholz der Richtige war und ist, wird sich erst an diesen Fragen messen lassen.

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