Biograf über Helmut Schmidt am Klavier: „In schwierigen Stunden geholfen“
Für Helmut Schmidt war Musik ein Ausgleich zum Kanzlerdasein. Trotzdem behielt er sein Image als Pragmatiker, sagt Autor Reiner Lehberger.
taz: Herr Lehberger, wie gut war Helmut Schmidt am Klavier?
Reiner Lehberger: Da gibt es verschiedene Antworten. Er selbst hat sein Können vielfach heruntergespielt, hat sich einen Dilettanten am Klavier genannt. Er hat aber auch gesagt, als 1982 seine Mozart-Aufnahme fertig war und als Platte vorlag: „Ich habe gar nicht gewusst, dass ich so gut spielen kann.“ Und er hat sich auch nicht verweigert, als 1985 seine Bach-Einspielung unter dem Titel „Kanzler & Pianist“ vermarktet wurde. Ich selbst glaube, er spielte gut. Jemand, der es wissen muss, ist Justus Frantz, im Prinzip sein Klavierlehrer, und der hat gesagt: Schmidt hat Potenzial, und wenn er übte, gelang ihm mehr als den meisten. Noch als er längst seine Hörfähigkeit verloren hatte, hörte sich sein Spiel gut an – ich kann es bezeugen.
Ohne Sie nötigen zu wollen, mal eben das ganze Buch zusammenzufassen: Welche Rolle hat die Musik für Schmidt gespielt?
Er hat von sich selbst gesagt, dass sie zeitlebens ein großer Kraftquell für ihn gewesen sei; die Musik ihm in schwierigen Stunden über vieles hinweggeholfen habe. Er hat sogar mal gesagt, ohne die Musik wäre sein Leben anders verlaufen. Ich glaube, diese Seite – der Konzentration, des Kraftgewinnens und des Seelenbalsams – war wichtig für ihn. Da gibt es ein sehr schönes Zitat, eigentlich über die Kunst, aber es passt auch zum Klavier: Wenn man vor einem Bild steht, ist man alleine. In dieser Einsamkeit sich zu konzentrieren und Kraft zu gewinnen und danach sich der Wirklichkeit erneut zuzuwenden – das sei immer wieder eine große Bereicherung in seinem Leben gewesen.
Gespräch „Helmut Schmidt und die Künste“ mit Manfred Lahnstein und Reiner Lehberger, Moderation: Jana Werner: Mo, 7.3., 19 Uhr, Hamburg, Bucerius Kunst Forum. Eintritt frei, Anmeldung nötig
So beschreiben manche Menschen Meditation.
Das dürfte es wohl auch gewesen sein. Dazu passt gut, dass er, wie er selbst gesagt hat, eigentlich immer die gleiche Musik gehört hat. Vorwiegend Bach. Und vor allem Bachs Goldberg-Variationen, gespielt von Glenn Gould. Diese Aufnahme habe er wohl mehr als tausend Mal gehört. Das passt ja in das Muster von Meditation sehr gut hinein: Man wählt für sich und sein Seelenheil etwas, das stark auf einen wirkt.
geboren am 22. Juni 1948 in Bochum, ist Professor i. R. für Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg und Mitbegründer des dortigen Schulmuseums. Er hat Bildungsprojekte auch für die Zeit-Stiftung konzipiert und zahlreiche Bücher über die – mitunter auch mit den – Schmidts geschrieben, zuletzt „Helmut Schmidt am Klavier. Ein Leben mit Musik“, Hoffmann und Campe 2021, 344 S., 24 Euro; E-Book 14,99 Euro.
Es ging bei Schmidt um beides: das Spielen von Musik, aber auch das Hören.
Es gab noch eine dritte und vierte Dimension: So hat er intensiv den Kontakt zu Musikern gesucht, war befreundet mit großen Dirigenten, nicht zuletzt mit dem wegen seines übermäßigen Geschäftssinns ja auch kritisch zu sehenden Herbert von Karajan. Und Schmidt ist in Erscheinung getreten als Veranstalter von sog. Hauskonzerten im Bonner Palais Schaumburg von 1975 bis zum Ende seiner Kanzlerschaft '82; zweimal im Jahr – etwas völlig Außergewöhnliches. Ich habe mit fast allen Musikern, die dort gespielt haben, Interviews geführt. Sie haben berichtet, das sei damals in der Kunstszene völlig neu gewesen und eine große Ehre für sie, und, ja, auch wichtig für ihre Karriere. Aber eben auch eine Aufwertung des Kulturellen durch die Politik, die sie sonst nie erlebt hätten.
Als Kanzler, der sich um die Kunst verdient macht: Steht Schmidt da nicht immer etwas im Schatten von Willy Brandt?
Ja, wobei sich bei Brandt ja mehr die Künstler für ihn politisch eingesetzt haben. 1975 gab es im Kanzleramt eine Überlegung, wie man Schmidts wirkliche Affinität zu Kunst und Musik politisch nutzen könnte, wie man das öffentliche Interesse darauf lenken könne, wie man ein neues Image kreieren könnte. Seit der Flut von 1962 galt er als der Macher, das hätte man gerne korrigiert. Richtig gelungen, so glaube ich, ist das nicht. Er ist schon als Kanzler der Krisen, als Macher, als Pragmatiker in Erinnerung geblieben.
Durchaus zu seinem Leidwesen.
Auf seine Affinität zu den Künsten hat er großen Wert gelegt: Seine Lebenserinnerungen, das dicke Buch „Weggefährten“, beginnt er über 70 Seiten mit Begegnungen mit Musikern und Künstlern. In diesem ersten groß angelegten, autobiografisch-politischen Buch gilt der gesamte erste Teil der Kunst und der Musik. Das werte ich als ein Ausrufzeichen. Schmidt wollte, dass diese Seite seiner Persönlichkeit dem Publikum in Erinnerung bleibt.
Ein Ball, der ja auch ein bisschen bei Ihnen gelandet ist.
In der Tat, mit der Biografie der Schmidts habe ich mich vielfältig beschäftigt. Aber mit Schmidts Musiknähe, deren Intensität ich bis dato auch nicht so präsent hatte, habe ich noch einmal einen anderen Schmidt kennengelernt, eine andere Seite an ihm. Wenn man sich nur einmal die überlieferten Briefe anschaut, zum Beispiel an Yehudi Menuhin oder Olga Bontjes van Beek, eine Künstlerin, die er seit den späten 1930er Jahren kannte: Wie er mit denen kommuniziert, das ist eine völlig andere Schreibe als in den Briefen, die er Politikern oder anderen Freunden schickt.
Anders inwiefern?
Einfühlsam, oft fast poetisch und vor allem bewundernd; ohne jegliche Einschränkung konnte er Künstler wirklich bewundern. Dieses wunderbare Foto im Buch, wo er vor Lenny Bernstein niederkniet, natürlich witzigerweise: Letzten Endes ist es aber auch Ausdruck, dass er die vollendete Meisterschaft von Künstlern noch mal höher bewerten konnte, als das, was er selbst mit seiner Politik vielleicht erreicht hat.
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