piwik no script img

Biodiversität in DeutschlandSag mir, wo die Blumen sind

Natur braucht Wege, Arten müssen wandern. Das Bundesamt für Naturschutz fordert Pläne zur „grünen Infrastruktur“.

Die Buchenwälder auf Rügen: ein Rückgrat grüner Infrastruktur Foto: dpa

Berlin taz | Den Bedürfnissen von Pflanzen, Tieren, Böden und Flüssen genauso viel Gewicht verleihen wie denen von Autofahrern und Stromkunden – das ist das Ziel des „Bundeskonzeptes Grüne Infrastruktur“. Am Mittwoch hat Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz (BfN), es in Berlin vorgestellt.

Das Konzept wird getragen von folgender Idee: So wie das Land Autobahnen und Schienen durchziehen, damit Menschen sich in ihm bewegen können, so benötigt es auch Wege für Gelbbauchunken, Wildkatzen, Küchenschellen oder Störe. In isolierten Lebensräumen sind sie von Inzucht bedroht, sie müssen mobil sein, um dauerhaft überleben zu können.

„Wir machen erstmals gebündelt sichtbar, welche Flächen im Land unsere grüne Infrastruktur bilden“, sagt Jessel. Deren Rückgrat seien etwa Nationalparke, Naturschutzgebiete, Flussauen oder ökologisch wertvolles Grün in Städten. Es gelte nun, sie zu verbinden.

Dieses Ziel ist nicht neu: Schon 2012 hatte die schwarz-gelbe Bundesregierung das Konzept „Wiedervernetzung“ beschlossen, auch das Naturschutzgesetz macht den Bundesländern schon seit Langem die Vorgabe, wichtige Lebensräume miteinander zu verbinden.

Passiert ist bislang wenig, alle Konzepte und Pläne „weisen große Umsetzungsdefizite auf“, kritisiert Jessel. Mit dem neuen Anlauf der „grünen Infrastruktur“ nutzt das BfN nicht zufällig Begriffe aus der Planung von Verkehrswegen und Energie­netzen.

Drei notwendige Schritte

„Wir möchten, dass der Bundestag unser Konzept verabschiedet, genauso wie den Bundesverkehrswegeplan“, fordert Jessel. Die Belange der Natur könnten dann in die Planungen neuer Autobahnen oder den Ausbau von Wasserstraßen gleichberechtigt und frühzeitig einfließen. Das Konzept werde nur gelingen, wenn es nicht nur im Umweltministerium, sondern auch in „anderen Ressorts“ und den Ländern Resonanz finde.

Angesprochen sind hier vor allem das Verkehrs- und das Landwirtschaftsministerium, denen Naturschutz in der Regel als Störfaktor gilt. Das Konzept sei „ein großer Schritt“, sagt Magnus Wessel, Leiter Naturschutzpolitik und -koordination beim Bund für Umwelt und Naturschutz, „das BfN hat vor der Bundestagswahl alle fachlichen Voraussetzungen geschaffen, um die Zerschneidung der Landschaft zu beenden“.

Eine seltene Allianz aus Nabu, WWF, Jägern und ADAC stützt das Konzept

Damit die „grüne Infrastruktur“ tatsächlich ausgebaut werde, seien drei Schritte notwendig, so Wessel: Es dürften keine öffentlichen Flächen mehr verkauft werden. Die Länder müssten definieren, wie sie ihre Biotope verbinden wollen, und drittens müsse der Bundestag das Konzept zügig verabschieden.

Auch eine seltene Allianz aus Naturschutzbund (Nabu), Worldwide Fund for Nature (WWF), Deutschem Jagdverband und Allgemeinem Automobilclub (ADAC) unterstützt das Konzept. „Lebensgemeinschaften können sich an den fortschreitenden Landschafts- und Klimawandel nur anpassen, wenn Arten sich über weite Strecken ausbreiten können“, heißt es in einem gemeinsamen Papier. Jäger und Autoclub sind mit von der Partie, weil „grüne Brücken“ für Wildtiere über Schnellstraßen Wildunfälle vermeiden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Schöne Idee. Anderseits gibt es auf dieser Welt kaum noch Stücken Natur, die nicht von Wegen und Straßen durchschnitten sind. Ob jetzt eine Wildbrücke die Zerstörung, die eine neue Schnellstraße anrichtet, kompensieren kann, wage ich zu bezweifeln.

  • 3G
    35887 (Profil gelöscht)

    Die Realität sieht anders aus. Die immer intensivere Land- und Forstwirtschaft einerseits und zum anderen ein hysterischer Sicherheitswahn und Ordnungsfetischismus von Straßen- und Wasserbauämtern, Bahn, Kommunen aber auch den BürgerInnen selbst vernichtet mehr und mehr Habitate der einheimischen Flora und Fauna. Dazu kommt im ländlichen Raum eine geradezu zügellose Gier nach Brennholz für die in den 2000er Jahren wieder zunehmend installierten Stückholzheizungen, der vor allem viele Strauchgehölze zum Opfer fallen, da für diese in der Regel keine Fällgenehmigung benötigt wird.

     

    Vielerorts sind die Bestände einheimischer Allerweltsarten bei Vögeln auf 20% des Niveaus von 1985 gesunken, und die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts waren schon alles andere als eine präindustrielle Idylle. Gleiches gilt für zahlreiche Insekten, noch katastrophaler sieht es bei den Amphibien aus. Den unstrittigen Verbesserungen zum Beispiel bei der Luft- und Wasserqualität steht eine ungebremste Zerstörung zahlloser kleinräumlicher Biotope gegenüber, bei der keinerlei Trendwende in Sicht ist.

     

    Ein allgemeines Problembewußtsein diesbezüglich ist jedoch weitestgehend nicht vorhanden. Die meisten ignorieren oder verdrängen diese "inconvenient truth" so wie den Klimawandel, denn noch ist im Alltag von den negativen Folgen beider Entwicklungen erst wenig zu spüren.