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BinnenschifffahrtVolle Fahrt, halb leer

Mitten in der Krise der Containerschifffahrt startet die Behala die erste Binnenschiffverbindung für Containerfracht zwischen Berlin und Hamburg. Ein eher ungünstiger Zeitpunkt. Vielleicht aber auch genau richtig.

Mit dem Strom: Flussschiffer Bild: ap

Hochstapeln muss Thomas Ohl derzeit nicht. Der Besitzer der "MS Shir Khan" lässt den letzten Container im Westhafen noch mal umsetzen. Er steht auf seinem Schiff, trägt ein orange T-Shirt, Jeans und Gummipantoffeln. Auf der Reling liegt die Wasserpistole seiner Kinder. "Nicht auf einen anderen drauf", ruft er dem Fahrer im Hebewerk zu, "in die Lücke da soll er rein." Sonst kriegt Ohl nur Ärger beim Ausladen im Hamburger Hafen.

Seit Ende Juli legt Ohl jeden Donnerstag mit seiner Familie in Berlin ab. Als erstes Containerschiff verbindet die "MS Shir Khan" beide Städte. An diesem Tag befördert Ohl 23 Container. Eigentlich könnte er gut noch mal so viele draufstapeln, sein zweilagiges Schiff ist auf dieser Fahrt gerade mal halb leer. Oder halb voll - ganz wie mans nimmt.

Andere Containerschiffe wären derzeit froh, wenn sie überhaupt etwas zu transportieren hätten. Die Binnenschifffahrt hat mit der Finanzkrise hohe Einbuße hinzunehmen. Vor allem für die kleinen Häfen in Brandenburg sieht es düster aus. Weniger Stahl wird produziert und damit auch transportiert, die Menge an Erz und Eisen ist zwischenzeitlich um bis zu 40 Prozent zurückgegangen. In den großen Seehäfen ist es nicht anders: An kaum einem anderen Ort zeigt sich die Krise der Finanzwelt so augenscheinlich wie in Hamburg oder Bremerhaven. Die Container stapeln sich hier - aber nicht auf den Schiffen, als Zeichen eines boomenden Welthandels, sondern geparkt zu Lande, leer. Ein Bild des Stillstands.

Sieben Tage braucht Schiffseigner Ohl für die Strecke Berlin-Hamburg-Berlin. Bis zu 54 Container kann er jeweils transportieren, beladen mit allem, was es nicht eilig hat. Vor allem schweres Gut eignet sich für den Container, denn sowohl Lkw als auch Bahn haben Gewichtsbeschränkungen. Kaffee, Papier, Schrott, der nach Fernost gehen soll; Wasser in Plastikflaschen aus der Türkei oder Natursteine aus China, für den Alexanderplatz bestimmt, sind ideale Schiffsladungen. Aber auch für leere Container ist das Binnenschiff oft die günstigste Alternative.

Und trotzdem ringt die neue Linie um Kunden: Als die Berliner Hafen- und Lagerhausgesellschaft mbH (Behala) vor anderthalb Jahren plante, in den Containertransport einzusteigen, boomte der Markt noch. An zweistellige Zuwachsraten waren Reedereien und Speditionen gewohnt. Es sei ein schwieriger Moment für das neue Geschäftsfeld, gibt Michael Reimann, Vertriebsleiter bei der Behala, zu. Aber eben auch eine Chance. "Mit der Containerschifflinie gehen wir zwar ins Risiko, aber das ist überschaubar."

Eine Investition habe es schließlich nicht gegeben, höchstens Projektkosten, die sich in einem Zeitraum von anderthalb Jahren auf 10.000 Euro belaufen. Transportiert werde schließlich immer, sagt Reimann gelassen. Nur eben billiger.

Genau das macht Reimanns Kollegen, der Speditionsfirma Konrad Zippel, zu schaffen. Im Juli hatte der Hamburger Hafen im Containerumschlag einen Auftragsrückgang von 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat zu verzeichnen, sagt Axel Kröger, Geschäftsführer von Zippel. "Schlimmer geht es eigentlich nicht." Dabei bräuchte Kröger gar keine Statistiken und Zahlen, die die Krise belegen: Er muss sich nur umschauen von seinem Büro aus im Hamburger Hafen.

Von hier aus kümmert er sich um die Vermarktung des neuen Binnenschiffs. Wenn man ihn darauf anspricht, wie der erste Monat verlief, beeilt er sich zu sagen: "Wir sind mit der Auslastung ganz zufrieden." Aber, fügt er mit Hamburger Zungenschlag an, "fragen Sie nicht, ob wir damit was verdienen. Da fangen wir beide an zu weinen." Die Preise im Containerhandel fallen ins Bodenlose. Vor allem der Wettbewerb zwischen den Lkw-Spediteuren sei ruinös, sagt er. "Nur damit die Räder rollen, fahren Lkw derzeit für jeden Preis." Die Spedition Zippel muss mithalten, allein schon weil sie selbst den Transport auf der Straße anbietet und das neue Schiff nicht mit der eigenen Lasterflotte konkurrieren darf. Beide seien aber gut ausgelastet. Mit Zahlen hält sich Kröger jedoch bedeckt: "Wir sprechen bei Weitem nicht von einem Rückgang von 30 Prozent."

Seit gut einem Monat läuft jetzt die Containerschifflinie zwischen Hauptstadt und Hansestadt. Die Frachtkunden halten sich noch zurück. Nicht nur wegen der Krise: Von vielen höre er oft, sagt Kröger, ach, ein Schiff komme doch nicht an. Oder: Wir machen mit, wenn die Linie etabliert ist. Dabei will der Spediteur gerade am Anfang "Menge generieren". Das funktioniere derzeit, wenn überhaupt, nur über den direkten Kontakt: "Wer in der Krise nicht jeden Tag die Kunden anspricht, hat schon verloren", sagt Kröger. Sehr preissensibel müsse er mit ihnen umgehen. Sein einziges Lockmittel ist der Rabatt: Kostet ein Container zum Beispiel eigentlich 400 Euro, gibt der Spediteur ihn gern auch für 380 Euro weg. Und das Geld ist den Kunden wieder die Zeit wert. "Jetzt fragen alle nach dem Preis. Und dafür kann es dann auch länger dauern."

Schiffsführer Ohl mag seine neue Ladung. Nicht so dreckig wie Schutt, den er früher transportierte, sagt er, es sei ein sauberes Geschäft. Auch für die Umwelt. Die erste Rundfahrt hat 4.000 Liter Diesel geschluckt. "Hab mich selber gewundert, wie wenig wir verbraucht haben", sagt Ohl. Für eine vergleichbare Ladung wären 50 Lkw-Fahrten und gut 1.000 Liter Sprit mehr nötig.

"Die Containerschifffahrt ist die Zukunft", betont Tilman Heuser, Geschäftsführer vom Berliner Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland BUND. Vor allem, weil sie umweltfreundlich sei: Bei der Lärmbelästigung schneidet sie sogar besser ab als die Bahn, und auch bei der Kohlendioxidbilanz sind beide vergleichbar - und deutlich besser als der Lkw.

Und noch in einem anderen Punkt gibt die Containerlinie zwischen Hamburg und Berlin dem BUND recht. "Selbst ein zweilagiges Containerschiff braucht keinen großen Tiefgang. Eine weitere Vertiefung und ein Ausbau von Spree und Havel, wie es das Wasserprojekt 17 des Bundesverkehrsministeriums vorsieht, ist deswegen völlig überflüssig", sagt Heuser. Flussausbau für immer größere Schiffe sei von gestern, heißt es beim BUND. Stattdessen solle man lieber die vorhandenen Wasserstraßen nutzen und die Brücken anheben.

Für die neue Containerschifflinie haben Berlin und der Bund das gemacht: Die Stadt ließ die Brücke an der Beusselstraße auf eine neue Höhe von 4,50 Meter bauen. Ohls Schiff passt gerade so unten durch. Noch zwölf Zentimeter hat es Platz, um nicht bei der Ausfahrt aus dem Westhafen das erste Hindernis zu rammen. Und auch im Hamburger Hafen passt das Binnenschiff derzeit genau in die Lücke - krisenbedingt an der Kaimauer. "Früher waren die Hafenbetriebe so stark ausgelastet," sagt Kröger, "dass sie einem kleinen Binnenschiff nicht unbedingt einen Platz gegeben hätten." Da war der Hafen auch noch voll mit den großen Containerschiffen.

Doch die kommen wieder, prophezeit der Spediteur. Der Welthandel in seinem Wachstum sei nicht aufzuhalten. Er lege bloß eine Pause ein. Zwei bis drei Jahre vielleicht. "Die Hälfte ist rum." Spätestens 2011 ziehe der Containerhandel wieder an, hofft Kröger. Und dann seien sie als Binnenschifffahrtslinie bereits fest etabliert und manch Konkurrent mit seinen Lkw in der Flaute eingeknickt. Ein weiser Mann im Hamburger Hafen habe zu ihm neulich gesagt: "Die Kunst ist, in der Krise im richtigen Moment aufs richtige Pferd zu setzen." Oder eben auf das richtige Schiff mit der richtigen Ladung.

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