: Binationale Scheidungen
Türkische oder deutsche Hochzeitsfeier? – Eine Frage des Geschmacks. Ob die Ehescheidung nach türkischem oder nach deutschem Recht gesprochen wird, kann hingegen weit reichende Folgen für Unterhalt der Frau und das Sorgerecht haben
von ALKE WIERTH
Der erste Anwalt, den ich um ein Interview über deutsch-türkische Scheidungen bitte, schüttelt sich: Solche Fälle vertritt der türkischstämmige Berliner nicht mehr. Zu unerfreulich. Erfreuliche Scheidungen gibt’s wohl nicht, meint der Istanbuler Anwalt Dr. Mehmet Köksal – wenn die Dinge erfreulich liefen, gäbe es schließlich keine Scheidung. Seine Spezialität sind die ganz unerfreulichen Fälle – Kindesentführungen, Streitereien um Unterhaltsfragen oder Besitz bei deutsch-türkischen und türkisch-türkischen Paaren, von denen nach der Trennung ein Teil in dem einen, der andere in dem anderen Land lebt.
Bei binationalen Partnerschaften ist das oft die notgedrungene Konsequenz einer Scheidung: In Deutschland hängt es von der Dauer der Ehe ab, ob der ausländische Partner ein Recht auf weiteren Aufenthalt in der Bundesrepublik hat. Deutsche, die in die Türkei heiraten, erwerben sich grundsätzlich kein vom Bestand der Ehe unabhängiges Aufenthaltsrecht. Auch während der Dauer der Ehe bekommen sie immer nur befristete Aufenthaltsgenehmigungen, und zwar bis dass der Tod sie scheidet. Die nach türkischem Recht ganz unkomplizierte Annahme der türkischen Staatsbürgerschaft zieht, auch nach dem neuen deutschen Staatsbürgerschaftsrecht, den automatischen Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft nach sich und wird deshalb kaum in Anspruch genommen. Nach der Scheidung vom türkischen Partner hat ein deutscher Staatsangehöriger dann gar keinen Anspruch mehr auf Aufenthalt – ob eine Genehmigung erteilt wird, liegt allein im Ermessen des zuständigen Beamten.
Viele deutsche Frauen – es sind in diesen binationalen Ehen in erster Linie die Frauen Deutsche – verlassen nach einer Trennung die Türkei. Neben den aufenthaltsrechtlichen Problemen hängt das auch mit wirtschaftlichen Gründen zusammen – haben sie nicht einen sehr reichen (und sehr fairen) Mann geheiratet, werden sie nur wenig Unterhalt bekommen, und auch an eine Arbeitsgenehmigung kommt man in der Türkei nur schwer.
Hat das Paar gemeinsame Kinder, ist bei einer solchen Trennung nur schwer eine einvernehmliche Lösung zu erreichen. Einer muss verzichten – und wird in Zukunft wegen der großen Entfernung seine Kinder nur selten sehen. Sind die bei der Trennung noch klein, ist es nicht mal sicher, dass sie später beide Elternsprachen sprechen: Es erfordert schon besondere Anstrengungen, wenn der nicht Türkisch oder nicht Deutsch sprechende Partner die Kinder zweisprachig erziehen soll.
Bei der Klärung von Sorgerechts- und Unterhaltsfragen kann es eine große Rolle spielen, in welchem Land beziehungsweise nach welchem Landesrecht das Paar sich scheiden lässt. Das ist nicht immer frei zu entscheiden: Ein deutsch-türkisches Paar, das in Deutschland geheiratet hat, kann sich hier nach deutschem Recht scheiden lassen. Lebt es aber bereits lange in der Türkei, kann es auch dort geschieden werden. In Deutschland lebende türkisch-türkische Paare können sich in der Türkei, aber auch von deutschen Gerichten scheiden lassen – die müssen dabei allerdings türkisches Recht anwenden, und zwar auch dann, wenn einer der beiden Partner nach der Eheschließung Deutscher geworden ist. Ein in Deutschland gefälltes Scheidungsurteil muss dann in der Türkei anerkannt werden, damit der Partner mit türkischer Staatsangehörigkeit auch in seinem Land als geschieden gilt. Bei türkisch-türkischen Paaren prüft der türkische Richter dabei nur, ob türkisches Recht von dem deutschen Gericht korrekt angewendet wurde. Bei deutsch-türkischen Scheidungen nach deutschem Recht muss dann auch der türkische Richter bei der Überprüfung deutsches Recht anwenden.
Es ist, meint der Istanbuler Anwalt Mehmet Köksal, längst nicht mehr so, dass die türkischen Richter in Sorgerechtsfragen immer zu Gunsten des Vaters oder des türkischen Staatsangehörigen entscheiden. Scheidungsprozesse nach türkischem Recht unterscheiden sich aber fundamental von deutschen, denn nach türkischem Recht wird schuldig geschieden. Ehebruch oder böswilliges Verlassen können ebenso Scheidungsgründe sein wie schwere Misshandlungen und Beleidigungen oder unehrenhafter Lebenswandel. Der große Interpretationsspielraum, den diese Formulierungen bieten, ist vor allem für die Frauen oft ein Grund dafür, eine Scheidung in Deutschland zu bevorzugen.
Wenn beide Seiten in die Scheidung einwilligen und sich über zu klärende Fragen einigen können, kann eine Scheidung in der Türkei von Vorteil sein: Sie geht schneller und kostet weniger Geld. Will aber einer der beiden Ehegatten sich gar nicht trennen, kann er für eine Menge Probleme sorgen. Es gibt nämlich noch einen wichtigen Unterschied zwischen dem deutschen und dem türkischen Recht. Während in Deutschland ein Scheidungsverfahren im juristischen Sinne dann beginnt, „rechtshängig wird“ in der Fachsprache, wenn die vom scheidungswilligen Teil eingereichte Klage dem anderen offiziell zugestellt wurde, beginnt ein Verfahren in der Türkei bereits mit Einreichung der Klage bei Gericht. Aus diesem kleinen Unterschied können große Problem entstehen: Denn das gibt dem nicht scheidungswilligen Ehepartner die Gelegenheit, eine in Deutschland bereits eingereichte Scheidungsklage vor ein türkisches Gericht zu ziehen.
Meist sind die dabei Frauen die Gelackmeierten: Reichen sie bei einem deutschen Gericht die Scheidung von ihrem türkischen Ehemann ein, und kriegt der Wind davon, dann kann er, sofern ihm die Klage noch nicht offziell zugestellt wurde, selbst bei einem türkischen Gericht die Scheidung beantragen. Das Verfahren ist damit in der Türkei eröffnet, die in Deutschland beantragte Klage muss eingestellt werden. Ist in der Türkei dann erst einmal ein Scheidungsurteil gesprochen, kann der türkischen Staatsbürgerin auch kein deutsches Gericht mehr helfen. Und auch das türkische Sorgerechtsurteil kann in Deutschland nur bedingt angefochten werden: wenn der Hauptaufenthaltsort der Kinder Deutschland ist, kann ein deutscher Richter zwar ein Urteil sprechen, doch um das in der Türkei zu vollstrecken, müsste vor einem dortigen Gericht ein Vollstreckungsbescheid erwirkt werden. Dazu muss das türkische Gericht die Zuständigkeit der deutschen Kollegen anerkennen, und außerdem kann es Probleme geben, wenn die Kinder sich zu diesem Zeitpunkt schon lange in der Türkei aufhalten.
Mehmet Köksal hat einen solchen Fall gerade nach vielem Hin und Her doch noch zu Gunsten der Mutter entschieden. Die Kinder, meint er, sind immer die Hauptleidtragenden: Sie mussten mit Polizeigewalt zur Mutter ins Flugzeug nach Deutschland gebracht werden. Nach mehr als zwei Jahren in der Türkei hatten sie Deutschland schon fast vergessen.
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