Bildungsreform in Baden-Württemberg: Keine Schule für alle
Die Gemeinschaftsschule war lange das große grün-rote Bildungsversprechen. Mittlerweile ist man im Ländle weniger ambitioniert.
STUTTGART taz | Diesen Mann lässt Baden-Württembergs Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD) gerne reden. Umgeben von einem Pulk Journalisten steht Heinz Görner im Klassenzimmer der Karl-Stirner-Schule Rosenberg. Er gehört zu den LehrerInnen im Land, die seit Beginn des Schuljahres die Fünftklässler der allerersten Gemeinschaftsschulen unterrichten. Wie gerne er das macht, betont er mit Worten wie „herrlich“ und „fantastisch“ immer wieder.
Dies führt Warminski-Leitheußer zu ihrem positiven Fazit: „Es ist heute sehr deutlich geworden, wo die Vorteile liegen in so einem innovativen Bildungsansatz.“ Doch trotz dieser Erfahrungen und ihrer bildungspolitischen Überzeugungen: Zuletzt hat die grün-rote Landesregierung klargemacht, dass sie die Gymnasien bei ihrer Bildungsreform zunächst unangetastet lassen will. Stattdessen spricht sie inzwischen vom „Zwei-Säulen-Modell“, bei dem die Gemeinschaftsschulen neben den Gymnasien stehen. Und das ist vor allem für die Grünen ein Richtungswechsel. Denn bislang hieß das Credo: „Eine Schule für alle“.
„Wir dürfen langfristig das Ziel einer flächendeckenden Gemeinschaftsschule nicht aus den Augen verlieren. Aber wir müssen einen gangbaren Weg finden“, sagte Sandra Boser der taz, bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. Das Zwei-Säulen-Modell sei ein mittelfristiges Ziel, die Bildungsreform brauche Zeit. „Wir waren uns immer bewusst, dass es schwierig ist, auch die Gymnasien in die Gemeinschaftsschulen zu holen“, sagt auch Fraktionskollege Siegfried Lehmann, der dem Bildungsausschuss im Landtag vorsitzt.
CDU-Mann zu Gast in der „Einheitsschule“
Kaum ein Landesthema wird so emotional und dogmatisch diskutiert wie die Bildung. Deswegen lud Warminski-Leitheußer den CDU-Oppositionsführer Peter Hauk ein, sich vor Ort ein Bild zu machen. Dessen Partei wettert immer wieder gegen „die Einheitsschule“.
Die Rollen sind denn auch klar verteilt: Während Hauk vor Ort den Skeptiker gibt, muss die Ministerin die Leute nur dazu anregen, ihre Eindrücke ausschweifend zu schildern. Denn die ersten Gemeinschaftsschulen im Land arbeiteten schon nach dem Konzept, ehe es den offiziellen Namen dafür gab. Entsprechend überzeugt sind sie.
So auch die Eltern, die den beiden Politikern an der Gemeinschaftsschule in Korb ihre Erfahrungen berichten. Deutlicher als sie kann an diesem Tag kaum einer den Erfolg des von Grün-Rot favorisierten Lehrkonzepts bestätigen. Doch mit ihrem Lob stellen diese Eltern indirekt ein Stück weit die neue Zögerlichkeitder grün-roten Bildungspolitik in Frage.
Eine Mutter berichtet, dass alle anwesenden Eltern ältere Kinder auf einem Gymnasium und jüngere auf der Gemeinschaftsschule hätten. „Die Jüngeren kommen entspannt und fröhlich nach Hause, ganz ohne Druck.“ Ein Vater ergänzt: „Auf der Gemeinschaftsschule wird viel besser auf das Kind eingegangen. Auf dem Gymnasium wird das Kind hingegen sich selbst überlassen.“
Doch das Zwei-Säulen-Modell birgt nun das Risiko, dass die Gymnasien erst einmal auf Zeit spielen und nicht zu spüren bekommen, dass auch sie sich weiterentwickeln müssten.
Grünen-Landeschefin Thekla Walker verteidgt sich: „Wir stehen zu unserem bildungspolitischen Ziel: eine Schule für alle“, sagt sie. „Die Frage ist nur, in welchem Zeitraum wir das erreichen.“
Leser*innenkommentare
jakobabs
Gast
Vorbild der Gemeinschaftsschule in B-W ist das Institut Beatenberg in der Schweiz, eine Privatschule mit 60 Schülern und ca. 25 Personen, die irgendwie um diese herumschwirren ("Lehrer" darf man ja wahrscheinlich nicht sagen). Ob der Finanzminister dafür den Geldbeutel aufmacht?
V. Gruner
Gast
„Die Jüngeren kommen entspannt und fröhlich nach Hause, ganz ohne Druck." - Dies liegt doch hoffentlich nicht daran, dass man nur wenig von ihnen verlangt und sie sich deshalb nicht sonderlich anstrengen müssen.
J. Schröder
Gast
Wenn Kinder entspannt nach Hause kommen, ist das das Eine. Wenn Sie aber beim Schulabschluss merken, dass ihr Abschluss nichts wert ist (wie man es in anderen Bundesländern sehen kann), dann werden sie auf eigene Kosten teure Kurse buchen müssen.
Zudem muss man sich fragen, ob man einen Staat will, der zwangsweise die Kinder den Familien entziehen will und ausschließlich das Interesse verfolgt, die Frau möglichst früh wieder in den Arbeitsprozess zu integrieren; da stören nämlich nur die Kinder. Ich bin für meine Kinder da, und nicht für den Staat und hoffe, dass viele ebenso denken.
Das hat Carsten leider auch nicht verstanden: ein funktionierendes Beispiel lässt nie einen Schluss auf die Gesamtheit zu, abgesehen davon, dass die GMS in BW erst seit drei Monaten laufen. Die Küken werden aber bekanntlich im Herbst gezählt - und in 5 Jahren ist diese Regierung garantiert nicht mehr im Amt und für ihr Tun zu verantworten.
J. Murat
Gast
Tja, "Carsten", wenn Du die Bildungspläne der Gemeinschaftsschule gelesen hättest, so wäre auch Dir aufgefallen dass sie weitestgehend identisch mit den Bildungsplänen der Realschule sind. Das sagt auch die von mir angegebene Quelle.
Deine Argumentation, die alte Regierung hätte die beschlossenen Reduzierung des Klassenteilers eh nicht umgesetzt, ist lächerlich. Fakt ist, dass GWL und Konsorten die Gymnasien gängeln wo es nur geht. Das betrifft auch die Umverteilung von Lehrerstellen und Fortbildungsgelder hin zur ach so tollen Gemeinschaftsschule, welche ja nach deiner eigenen Aussage nur dann funktioniert, wenn sich auch Eltern und Schüler voll dafür einsetzen. Also wird ein riesen Aufwand auf Kosten Dritter betrieben, wobei der Nutzen zweifelhaft ist.
Und das will GWL uns auch noch als Erfolg verkaufen!
Besser sollte sie an ihrer eigenen Kompetenz arbeiten, damit sie beim nächsten Auftritt vor Schulleitern nicht mehr naiv nachfragen muss was "OES" eigentlich ist.
Carsten B.
Gast
als Grundlage der Gemeinschaftsschule gelten laut Kultusministerium BaWü bis zur Fertigstellung der Lehrpläne die Lehrpläne von "Haupt-, Realschule UND Gymnasium", das ist auch logisch, da alle Abschlüsse angeboten werden. Außerdem wurde von der CDU die Senkung des Klassenteilers nur angekündigt, das Geld für diese Senkung war allerdings im Haushalt nicht bereitgestellt, vor der Nicht-Ausführung der Aktion wurde sie allerdings abgewählt. Die Gemeinschaftsschule wird funktionieren, denn dort, wo es sie in BaWü schon gibt, funktioniert sie überwiegend sehr gut. Übrigens: Ich bin Lehrer am Gymnasium in BaWü und Mitglied in der GEW, welche bedingungslos für die Gemeinschaftsschule ist. Noch was: Gemeinschaftsschule funktioniert nur MIT den Schülern und Eltern und Lehrern, weshalb sie auch nicht überall befohlen werden kann.
Wolfgang Banse
Gast
Bildung für alle-d,h. auch, dass für jede und jeden Schuulpflichtigen eine entsprechende Schulart vorhanden ist.
J. Murat
Gast
Ach ja, um die Gymnasien noch etwas mehr zu gängeln hat die GWL den noch von der alten, schwarzen Regierung gesenkten Klassenteiler wieder angehoben.
Ansonsten tritt sie nicht mehr in Erscheinung. Sogar vor Lehrern muss "Kollege" Kretschmann sie vertreten wie am Deutschen Lehrertag 2012.
(http://www.deutscher-lehrertag.de/download/DLT2012_A5_Programm_Workshops.pdf)
Die Frau ist eine Fehlbesetzung!
Grün wirkt
Gast
War Baden-Württemberg nicht immer bei Tests (Pisa und Co.) mit an der Spitze? Wäre doch gelacht, wenn diese Ungerechtigkeit gegenüber den Ländern im Norden nicht ausgemerzt werden könnte. Dauert nun halt nur etwas länger.
J. Murat
Gast
Da hat die GWL mal wieder Äpfel mit Birnen verglichen und die Nadine glaubt ihr das auch noch.
Die "Gemeinschaftsschulen" verwenden nicht die Bildungspläne der Gymnasien sondern die der Realschulen. (Quelle: http://www.kultusportal-bw.de/servlet/PB/menu/1366538/index.html Punkt 8.)
Erst im Schuljahr 2014/15 sollen die Bildungspläne dann vorliegen.
Also sollten die hyperbegeisterten Eltern doch bitte die Gemeinschaftsschule mit der Realschule vergleichen.