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Bildungsministerkonferenz in BerlinDoppelrollen und vage Versprechen

Die Bil­dungs­mi­nis­te­r:in­nen wollen den Übergang von Kita zu Grundschule verbessern. Bei anderen Themen sind sich die Länder noch nicht einig.

Stefanie Hubig (SPD), Karin Prien (CDU) und Simone Oldenburg (Linke) stellen die Ergebnisse der Bildungsministerkonferenz vor Foto: Jörg Ratzsch/dpa

Berlin taz | Diese Woche mussten sich Karin Prien und Stefanie Hubig im Spagat üben. Die Bildungsministerinnen aus Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz stecken beide mitten in den Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD. Gleichzeitig sind Prien (CDU) und Hubig (SPD) am Mittwochabend und Donnerstag mit den übrigen 14 Bil­dungs­mi­nis­te­r:in­nen in Berlin zusammen gekommen, um gemeinsame Positionen zu aktuellen bildungspolitischen Themen zu finden – auch zur Frage, wie sich die Länder zu den Absichten der möglichen neuen Bundesregierung verhalten.

Nach Abschluss der Bildungsministerkonferenz (BMK) am Freitag wollten sich Prien und Hubig verständlicherweise nicht zu den Koalitionsgesprächen äußern. So viel aber gaben die beiden preis: Sie seien zuversichtlich, dass sich die Bund-Länder-Beziehungen, die unter der FDP-Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger einen neuen Tiefpunkt erreicht hatten, bald wieder bessern. Dafür spräche, dass acht aktuelle oder frühere Bildungs- oder Wis­sen­schafts­mi­nis­te­r:in­nen an den Koalitionsgesprächen beteiligt seien, sagte Prien, die in der BMK die unionsgeführten Länder vertritt.

Für künftig bessere Bund-Länder-Beziehungen spricht auch ein Blick auf die inhaltlichen Schnittpunkte. Union und SPD haben in ihrem Sondierungspapier eine gezielte Förderung im Vorschulalter in Aussicht gestellt. Unter anderem wollen Christ- und Sozialdemokraten neben mehr verbindlicher Frühdiagnostik das von der Ampel eingestampfte Bundesprogramm „Sprachkitas“ neu beleben sowie das im Sommer 2024 angelaufene „Startchancenprogramm“ für sogenannte Brennpunktschulen auf die Kitas ausweiten.

Patenschaften und Elterngespräche

Damit läge Schwarz-Rot voll auf Linie der Länder, die sich unter der aktuellen BMK-Präsidentin Simone Oldenburg (Linke) dem Dauerthema Chancengerechtigkeit verschrieben und in der aktuellen Sitzung am Donnerstag auf bessere Übergänge zwischen Kitas und Grundschulen verständigt haben.

Am Freitag erklärt Oldenburg die Zusammenhänge: Es sei ungemein wichtig, „Brücken über die gesamte Schullaufzeit“ zu bauen: „Deutschland ist ein Land, in dem der schulische Erfolg bis heute sehr stark vom sozialen Hintergrund abhängt“, so Oldenburg. Für sozial benachteiligte Schü­le­r:in­nen, aber auch Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund bedeute das: „Jeder Übergang kann einen Bruch in der Bildungskarriere bedeuten“.

Die ungleichen Startchancen wollen die Mi­nis­te­r:in­nen nun mit gezielten Maßnahmen am Übergang von Kita und Grundschule minimieren. Als Beispiele nennt die Bildungsministerin von Mecklenburg-Vorpommern mehr multiprofessionelle Teams, eine bessere Einbindung der Eltern etwa über Familiengrundschulzentren oder Patenschaftssysteme unter Schüler:innen, die das soziale Miteinander stärken sollen.

Damit begibt sich die BMK auf einen Kurs, den Bil­dungs­for­sche­r:in­nen seit Jahren fordern: die Bedeutung der frühen Bildung stärker mitzudenken. Der Tenor: Um die ungleichen Startchancen wirksam zu bekämpfen, reichen Rezepte allein an Schulen nicht mehr aus. Tatsächlich zeigen Grundschulstudien wie Iglu oder Timss, dass die Abstände zwischen privilegierten und benachteiligten Kindern in der vierten Klasse bereits mehr als ein Lernjahr betragen – und diese Kluft weiter wächst.

Mehr Deutsch, mehr Mathe

Als Reaktion auf diesen Befund (und die generell sinkenden Leistungen in Mathe und Deutsch) haben die Länder die Stundenzahl für Deutsch und Mathe an Grundschulen erhöht und angekündigt, flächendeckend verbindliche Sprachtests und Förderungen für Kinder im Kita-Alter anzubieten. Auch das ist ein Punkt, den die Son­die­re­r:in­nen einer möglichen schwarz-roten Bundesregierung auf dem Zettel haben.

Nachlegen wollen die Bil­dungs­mi­nis­te­r:in­nen auch bei der Sprachförderung für zugewanderte Kinder und Jugendliche. Die Empfehlungen, die die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) dazu in einem Gutachten abgegeben hat – darunter eine bessere Erfassung von Sprachstand und Förderbedarfen bei Kindern und Jugendlichen – sollen im Juni auf einer Fachtagung Praktikern im Schulbetrieb zugänglich gemacht werden.

Stefanie Hubig betont, dass die Zahl der zugewanderten Schü­le­r:in­nen vor allem durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine deutlich gestiegen seien. „Allein in Rheinland-Pfalz sind das 22.000 Kinder“. Weil die zusätzliche Unterrichtsversorgung wegen des gravierenden Personalmangels an Schulen eine Herausforderung sei, erwägt die BMK unter anderem, das Unterrichtsfach Deutsch als Zweitsprache (DaZ) attraktiver zu gestalten.

Antiziganismus und Social Media

Neben den Themen Chancengleichheit und Sprachförderung befasste sich die BMK auch mit dem Umgang mit Antiziganismus an Schulen. Nach einer ersten recht allgemeinen Vereinbarung aus dem Jahre 2022 mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und dem Bündnis für Solidarität mit den Sinti und Roma Europas umfasst der jetzige BMK-Beschluss klare Handlungsempfehlungen gegen Ausgrenzung und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.

Darunter fallen die Sensibilisierung der Schulen für Antiziganismus, die verbindliche Aufnahme des Themas Sinti und Roma in die Lehrpläne (nicht reduziert auf die Opferperspektive, sondern auch mit ihrem Beitrag zur Kultur Deutschlands) sowie die Kooperation vor Ort mit Sinti und Roma-Selbstorganisationen.

Ein überfälliger Schritt, wie Hubig selbstkritisch einräumt. „Wenn wir uns vor Augen führen, wie stark die Ausgrenzung von Sinti und Roma bis heute überall zu sehen ist, hätten wir diese Empfehlungen schon früher haben sollen.“

Nicht einig geworden sind sich die Bil­dungs­mi­nis­te­r:in­nen dagegen beim Umgang mit Smartphones an Schulen. Das Thema kam am Mittwochabend beim Kamingespräch zur Sprache, auch drei Ex­per­t:in­nen aus der Wissenschaft waren geladen. Zwar seien sich alle Länder einig, dass der Umgang von Kindern und Jugendlichen mit Social Media ein vielschichtiges Problem ist, das „allein mit einem Handy-Verbot an Schulen nicht zu lösen ist“ (Prien).

Doch während sich die Länder mit CDU/CSU-Regierungsbeteiligung hier eher verbindliche Vorgaben und eine bundesweite Regelung vorstellen können, sind die SPD-geführten Länder offenbar zurückhaltender. So vertritt Hubig die Ansicht, dass die Schulen auch ohne klare Vorgaben gute Regeln aufstellen können.

Am Ende bedanken sich alle Seiten für den „guten Austausch“ und freuen sich auf weitere Gespräch zum Thema. Fast ein wenig erschreckend, wie harmonisch es gerade läuft zwischen SPD und Union.

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