Bildung: Ein Anfängerfehler
Die Lenau-Grundschule in Kreuzberg hat ein Problem: Eine Klasse mit rein deutschsprachigen Kindern bringt die Eltern mit Migrationshintergrund auf die Palme
Seit der Einschulung der Erstklässler vor zehn Tagen ist es in der Lenau-Grundschule in Kreuzberg dahin mit dem Schulfrieden. Die von vielen Eltern im Bezirk erwünschte „Kreuzberger Mischung“, eine ausgewogene Anzahl von Kindern mit und ohne deutsche Herkunftssprache, findet sich nur in drei der Anfängerklassen wieder. Und in zwei Klassen nicht: die Klasse A3 mit 20 ErstklässlerInnen nur deutscher Herkunftssprache und die deutlich kleinere Klasse A6, in der jedes Kind Migrationshintergrund hat. „Rassismus“ sei dies, sagen einige Eltern mit Migrationshintergrund, die seit Tagen versuchen, Druck auf die Schulleitung und die Eltern der A3 auszuüben.
Kameras am Schuleingang
„Ich kann nicht mehr“, stöhnt eine Mutter angesichts der Kameras, die deswegen vor dem Schuleingang postiert wurden. Ihr Kind, auch hier eingeschult, sei zwar nicht betroffen, aber das Thema habe sich durch einige eifrige Eltern und durch die Medienpräsenz hochgeschaukelt. „Man kann doch ganz entspannt darüber reden“, wirft ein Vater ein, dessen Kind in die A3 geht. Den Vorwurf des Rassismus will er nicht annehmen: „Dann würde ich doch mein Kind woanders einschulen lassen“, sagt er und erzählt, dass sich Elterngruppen schon seit über einem Jahr getroffen hätten, damit ihre Kinder sich vorab besser kennenlernen. Auch sein jüngeres Kind werde er wieder an der Lenau-Grundschule einschulen lassen. Deshalb ist er „zweckoptimistisch“, dass dieser Unmut, der sich jetzt so geballt zeigt, bald wieder abebbt.
Gruppeneinschulungen, wie sie die beiden Elternteile in Anspruch nahmen, waren von der Schulleitung beabsichtigt und erwünscht. Seit Jahren hatte die Lenau-Grundschule am Wegbleiben der Eltern mit rein deutschem Hintergrund zu leiden. So erklärte sich auch der Ruf als „Migrantenschule“. Besonders, da Eltern aus dem nahen Bergmannkiez ihre Kinder an den beliebteren drei Schulen im Umfeld anmeldeten.
Mit besonderen Projekten wie einem Leseförderungsprojekt stellte die Lenau-Grundschule aber unter Beweis, dass sie vor allem Kinder mit Defiziten gut fördern kann. Dazu kam, dass die beliebteren Grundschulen maßlos überfüllt waren, sodass Kinder mit deutscher Herkunftssprache wieder den Weg an die Lenau-Grundschule fanden.
Diesem Zuspruch wollte die Schulleitung mit ihrem Zugeständnis an die Eltern begegnen. Bisher sei die Schule mit den Gruppenanmeldungen auch gut gefahren, sagt die Schulleiterin Karola Klawuhn. Aber: „Dieses Jahr sind Kinder, deren Eltern nicht in solchen Gruppen organisiert waren, auf andere Schulen gegangen. Dieses konnten wir nicht einplanen. So kam es zu der Bildung der Klasse nur mit Kindern nichtdeutscher Herkunftssprache.“ Sie habe ihren Fehler eingesehen und nun werden die Klassen auf Geheiß der Senatsbildungsverwaltung zum Anfang nächster Woche erneut gemischt – gegen den Willen der Eltern und SchülerInnen, so die Schulleiterin.
„Viele steigen hier schnell auf den Türken-, Araber- und Deutschen-Zug auf“, sagt eine Mutter, „die Frau, die am lautesten krakeelt, hat ja noch nicht einmal ein Kind hier auf der Schule.“ Sie selbst habe auch Migrationshintergrund und habe ihr Kind bewusst an dieser Schule angemeldet. Es gehe ihr gegen den Strich, dass immer noch gedacht werde, dass „deutsch“ gleichbedeutend sei mit guter Bildung – vor allem bei Bildungsbürgern jeglicher Herkunft. Es seien Eltern, die ihre Kinder mit nicht allzu vielen türkisch- und arabischstämmigen Kindern in einer Klasse sehen wollen.
Der Graben, der nun zwischen den Eltern verläuft, müsse mühsam wieder zugeschaufelt werden, so die Mutter. Der Gesprächstermin zwischen den Eltern und der Schulleitung am Montag sei kontrovers ausgegangen und habe sie nicht zufriedengestellt, erzählt die Mutter weiter. Auf einer nichtöffentlichen Veranstaltung am morgigen Donnerstag hofft sie auf ein weiteres klärendes Gespräch. Und darauf, dass endlich wieder Ruhe herrscht – vor allem im Alltag der Kinder.
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