Bildung für Flüchtlinge: Warten statt lernen

Trotz Schulpflicht sitzen viele jugendliche Flüchtlinge nicht im Klassenzimmer. Sie stehen sowohl für die Berufs- als auch für die Oberschule auf Wartelisten.

51 Minderjährige leben derzeit in der zentralen Flüchtlingsaufnahmestelle (Zast) in Bremen-Habenhausen Bild: Michael Bahlo

39 jugendliche Flüchtlinge stehen auf der Warteliste der Allgemeinen Berufsschule in Bremen. Sie wollen und sollen zur Schule gehen, das schreibt die Schulpflicht vor. Aber weil sie schon über 16 Jahre alt sind und noch kein oder wenig Deutsch sprechen, kommen für sie nur die elf Klassen an der Allgemeinen Berufsschule in Frage. „Berufswahlvorbereitung mit intensiver Sprachförderung“ heißen die – und sind „proppevoll“, berichtete am Donnerstag Berufsschullehrerin Sandra Pilster. „Wir richten neue Klassen ein, aber es fehlt uns sowohl an Räumen als auch an Lehrkräften“, sagte sie in einer Diskussionsrunde zu unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen im Lagerhaus.

Zuvor hatte eine Mitarbeiterin des Innensenators, Ute Schenkel, stolz darauf hingewiesen, dass Bremen als erstes Bundesland allein geflohenen Minderjährigen erlaubt, eine begonnene Ausbildung auch nach dem 18. Lebensjahr zu vollenden. Dies soll ihnen für die Zeit der Ausbildung Sicherheit geben – und eine Perspektive für die Zeit danach. Denn damit steigen die Chancen, nicht nur vorübergehend in Deutschland geduldet zu werden, sondern eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. „Damit werden die jungen Flüchtlinge in ihrem Ehrgeiz und ihrer Motivation unterstützt, regelmäßig die Schule zu besuchen und eine Berufsausbildung zu Ende zu bringen“, hatte Innensenator Ulrich Mäurer Ende September in einer Pressemitteilung geschrieben.

Ehrgeizig und motiviert seien die SchülerInnen bereits jetzt, sagt Pilster: „Wer zu Fuß aus Afghanistan hierher gekommen ist, der will etwas erreichen.“ In der Praxis ändere sich für ihre SchülerInnen jedoch nichts, denn die wenigsten seien mit 18 – dann endet die Schulpflicht – so weit, dass sie nach einem Anfänger- und einem Fortgeschrittenenjahr überhaupt einen Hauptschulabschluss machen könnten. Der ist Voraussetzung für eine Ausbildung. In ihrer letzten Klasse sei niemand dabei gewesen, der den Abschluss geschafft hätte, sagt Pilster, in anderen Jahren drei oder vier. Einigen fehle es nicht nur an Deutschkenntnissen, sondern auch an Schulerfahrung. Was mit den jungen Flüchtlingen passiert, die ohne Abschluss die Schule verlassen, wissen die Behörden nicht. Das soll sich ändern, versprach am Freitag die Sprecherin der Bildungssenatorin. „Wir wollen den Flüchtlingshintergrund in Zukunft erfassen“, so Christina Pelzer zur taz.

Sandra Pilster erzählt, dass sie viele Schüler in einer speziellen Klasse unterbringe, die ohne Abschluss eine Ausbildung zum Konstruktionsmechaniker ermöglicht. „Wir bräuchten so etwas noch für andere Branchen“, sagt Pilster, beispielsweise für Gastronomie oder Pflege. Aber sowohl Berufsschulen als auch Unternehmen trauten sich das nicht zu. „Das geht nur in Einzelfällen, wenn sich jemand dahinterklemmt.“ So würde ein ehemaliger Schüler eine Ausbildung zum Zweiradmechaniker machen, sein Vormund hatte sich dafür eingesetzt.

Das Problem, sagt Pilster, verschärfe sich derzeit: „Wenn jemand noch ein weiteres Jahr brauchte, aber schon über 18 war, dann konnten wir den bis vor Kurzem noch ein Jahr bei uns behalten.“ Doch in den letzten vier Jahren habe sich die Zahl der jugendlichen Flüchtlinge so drastisch erhöht, dass das nicht mehr ginge. „Dann würden die leer ausgehen, die neu ankommen und auf der Warteliste stehen.“

Eine Warteliste gibt es auch für jene, die eine Oberschule besuchen könnten. Pilsters Kollegin berichtete von zwei 17-jährigen Mädchen, die derzeit in der Berufsschule „geparkt“ seien, dort aber eigentlich nichts verloren hätten. „Wir suchen derzeit eine zweite Schule, die eine solche Klasse einrichten kann“, erwiderte Helmut Kehlenbeck, der als Zuständiger der Bildungssenatorin für Migrantenförderung an der Runde teilnahm. Auch für die Berufsschüler würden weitere Klassen eingerichtet.

Von weiteren Problemen berichtete der Geschäftsführer des Jugendhilfeträgers Effect, Thomas Stapke. Effect betreut die derzeit 51 Jugendlichen, die in der Zentralen Aufnahmestelle (Zast) in Habenhausen leben müssen. Diese teilten sich dort, berichtete Stapke, zu fünf und zu sechst ein Zimmer und hätten nur stundenweise einen Ansprechpartner im Haus. Die Hälfte von ihnen bekäme nur zwei Stunden Deutsch-Unterricht am Tag. Viele könnten sich ihre Mahlzeiten wegen der eingeschränkten Ausgabezeiten nicht in der Kantine abholen.

Laut Bernd Schneider, Sprecher der Sozialsenatorin, gibt es Gespräche mit dem Beirat Horn, ob Jugendliche aus der Zast in die Berckstraße umziehen können. Dort sollten eigentlich Familien und Erwachsene untergebracht werden: „Das wäre auch eine Notunterkunft, würde aber durch eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung den Standards der Jugendhilfe entsprechen.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.