Bilder als Schnäppchen in Ulm: Weil es überflüssige Kunst einfach nicht geben darf
Manchmal soll Kunst weg, weil man sich an einem Bild sattgesehen hat oder weil man es nicht erben will. Im Ulmer Kunstkaufhaus findet sie neue Kunden.

I st das Kunst, oder kann das weg? Ziemlich abgegriffene Frage, schon klar. Was aber, wenn die Antwort lautet: Ja, das ist Kunst, und sie kann weg. Weil der Kitschalarm losgeht, der Papa aber wirklich seltsames Zeug gesammelt hat, ein gemaltes Jagdstück nun einmal nicht unbedingt in einen vegetarischen Haushalt passt. Spätestens dann ist er da, der Gewissenskonflikt. An dem Bild hing doch so viel Herzblut dran von Oma, mit dem Gemälde bin ich groß geworden, diese „Südliche Landschaft“ war eine Urlaubserinnerung. „Oh, und da ein echter Dingens, na wie hieß er noch?“
Zu Tausenden landen solche ungewollten Artefakte im Kunstkaufhaus in Ulm. Betrieben von einem gemeinnützigen Stadtteilverein, der AG West, öffnet es seit drei Jahren immer für ein paar Wochen seine Pforten.
„Wir sind eine Rettungsstation“, umschreibt Geschäftsführer Markus Kienle das Wesen seiner Galerie, die ihre Entstehung eben einer solchen Rettung verdankt. Denn ihren Grundstock bildete der Nachlass eines Sammlers und begnadeten Zeichners. „Die Entrümpelungsfirma war schon bestellt von den Erben“, erinnert sich Kienle, „wir packten zwei Autos voll.“
Mittlerweile wird die Galerie mit dem bestückt, was die Leute vorbeibringen. Künstler seien darunter und oft die Nachfahren, die mit einem künstlerischen Nachlass nichts anfangen können. Entsprechend kunterbunt und polystilistisch geht es zu in dem Pop-up-Store. Die Bilder dicht an dicht gereiht in drei Räumen, pralle Grafikmappen auf den Tischen. Besuchende müssen aufpassen, dass sie nicht eines der Gemälde umstoßen, die da angelehnt sind, wo halt noch Platz ist.
Kunst kaufen
im Ulmer Pop-up-Kunstkaufhaus geht in diesem Jahr noch bis 13. September im Kreativhafen der Volkshochschule, Hafenbad 18/1. Danach muss man für die Schnäppchenkunst wieder auf den nächsten Sommer warten.
Viele kommen, um zu stöbern, blättern in Mappen, lassen den Blick schweifen. Entdeckerlust trifft auf ironieaffinen Service: „Benötigen Sie eine Abhängeberatung?“ Das Angebot richtet sich an Kunden, deren Wände zu Hause bereits voll hängen.
Den nicht erkannten van Gogh wird man hier nicht finden, doch aber prominente Positionen der Nachkriegskunst wie Antes, Hrdlicka, Sonderborg. Letzterer war auch lange Jahre Professor für Malerei in Stuttgart. Gerahmtes Lokalkolorit nimmt breiten Raum ein, vertreten ist klassische Moderne, vereinzelt „Contemporary“, wie das im Galerienjargon heißt. „Souvenir-Kunst“ mit lokalen Motiven hat eine eigene Abteilung.
Weggeworfen wird im Kulturkaufhaus nichts, aber auch nicht alles angenommen. Wobei sich die Macher immer wieder wundern, wenn als aussichtslos geltende Stücke doch noch weggehen. „Jüngere Leute sehen Kunst, die auf uns bürgerlich wirkt, anders: Sie finden das schon wieder gut, was uns eher peinlich ist“, analysiert Kienle. Das Publikum – so bunt gemischt wie das Angebot. „Unsere Niederschwelligkeit lockt Leute an, die nie einen Schritt in eine Galerie wagen würden.“
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Um den Nachschub machen sich die ehrenamtlichen Kaufhausbetreibenden keine Sorgen. Weil das Projekt längst Selbstläufer ist und weil der demografische Faktor ihm entgegenkommt. Je mehr der meist gut gesattelten Babyboomer ins kritische Alter kommen, desto häufiger ploppe das Problem der drohenden Obdachlosigkeit von Kunstsammlungen auf.
Nachfrage bei Van Ham, ob sie als Rettungsanker in Frage kämen? Eher nein. Eine Sprecherin dieses renommierten Kunstauktionshauses mit Sitz in Köln erklärt die Grundbedingung für die Aufnahme ins Auktionsprogramm: „Ein Künstler muss schon zu Lebzeiten eine Relevanz und internationale Aufmerksamkeit erlangt haben.“ Sollte keine Chance auf relevante Preise bestehen, „ist ein Engagement wirtschaftlich nicht darstellbar“. Im Kunstkaufhaus, Jahresumsatz 30.000 Euro, liegt der Durchschnittspreis unter 100 Euro, verramscht werde nichts. „Aus Respekt vor den ArtistInnen“, betont der Geschäftsführer, der mittlerweile fit darin ist, die gängigen Marktpreise zu recherchieren und Hintergrundinformationen zu Werken beizuschaffen. „Narrative spielen bei Kunst eine große Rolle“, bekräftigt die Van-Ham-Sprecherin.
Da die diesjährige Kaufhaus-Saison allmählich zu Ende geht, holt nun die Betreibenden ihrerseits das Grund- und Ausgangsproblem ein: „Unser Bestand wächst, er schrumpft nicht.“
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