piwik no script img

Bilanz nach Jahrestag des Hamas-AngriffsPolizei im Dauereinsatz

Innensenatorin Iris Spranger (SPD) beobachtet „zunehmend aggressives Versammlungsgeschehen“ bei Pro-Palästina-Protest.

Am Montagabend brannten in Neukölln Reifen bei pro-palästinensischen Äußerungen Foto: Julius-Christian Schreiner/dpa

Berlin taz | Für die Polizei gilt es in Berlin fast immer, aber gegenwärtig in besonderer Weise: Nach der Demo ist vor der Demo. Denn auf die von Ausschreitungen begleiteten Pro-Palästina-Proteste bis Montagabend soll der Besuch von US-Präsident Joe Biden folgen – allerdings nicht schon wie geplant am Donnerstag, weil Biden jetzt wegen eines Hurricans verschob. Laut Landespolizeidirektion droht bei seinem Besuch keine Bündelung von Ausschreitungen: „Von den Versammlungsanmeldungen haben wir bislang keine Zusammenlegung der Themen“, sagte ihr Leiter Jörg Dessin vor Journalisten. Der taz liegt allerdings eine Mitteilung von Solidaritätsgruppen und Friedensbewegung zu gemeinsamen Protesten vor.

In einer Bilanz der jüngsten Vorfälle anlässlich des ersten Jahrestags des Hamas-Überfalls auf Israel am 7. Oktober 2023 gingen Dessin und Innensenatorin Iris Spranger (SPD) von weiteren Demonstrationen aus. Was in Nahost passiert, schlage sich „in einem zunehmend aggressiven Versammlungsgeschehen in Berlin nieder“, sagte die Senatorin. Zuvor hatte sie am Dienstagvormittag in der Sitzung des schwarz-roten Senats die Lage zusammengefasst.

In diesem Kontext habe es seit Oktober 2023 rund 700 Versammlungen und 5.000 Straftaten gegeben. Spranger sprach von „vollkommen unreflektierter Gewalt und Gewaltbereitschaft Einzelner“. Das sei nicht zu verallgemeinern: „Es gibt in unserer Stadt viele Menschen mit arabischem Migrationshintergrund, die den Terror der Hamas ablehnen und das Existenzrechts Israels anerkennen.“

Spranger betonte den Wert der Versammlungsfreiheit, stellte aber fest: „Hinter der vermeintlichen Palästina-Solidarität wird vor allem Antisemitismus und Hass auf Israel offenbar.“ Polizeichef Dessin sprach von einer „mittleren bis hohen zweistelligen Zahl von Rädelsführenden“.

Brennende Reifen in Neukölln

Mit Blick auf den nun verschobenen Besuch des US-Präsidenten deutete sich eine Bündelung von pro-palästinenschen Aktivitäten und genereller Kritik an Biden an. Laut der der taz vorliegenden Mail würden „verschiedene Akteure der Palästina-Solidaritätsbewegung und der Friedensbewegung“ gemeinsam mit linken Gruppen mobilisieren.

Senat kompakt

Länger arbeiten Die Altersgrenze für Beamte in Berlin steigt auf 67 Jahre. Darauf hat sich der Senat verständigt. Sie soll ab 2026 schrittweise von derzeit 65 Jahren angehoben werden. Hintergrund ist der chronische Personalmangel. Der dürfte sich noch verschärfen, weil bis 2030 rund 40.000 Beschäftigte altersbedingt ausscheiden. Berlin folgt nun dem Beispiel anderer Bundesländer. Ausgenommen sind Polizei und Feuerwehr. Innensenatorin Spranger (SPD) bezeichnete das als Zeichen von Anerkennung. (dpa, sta)

Die Ausschreitungen zum Jahrestag hatten ihren Höhepunkt am Montagabend in Neukölln erreicht. Dort errichteten laut Polizei rund 50 Menschen Barrikaden, zündeten Reifen an und bewarfen Polizisten mit Pyrotechnik und Steinen. Wie die Koalitionsfraktionen von CDU und SPD im Abgeordnetenhaus verurteilten auch die oppositionellen Grünen die Vorfälle. „Wir haben keinerlei Verständnis für diese Gewalt und auch bei antisemitischen Sprechchören gibt es nichts zu relativieren“, äußerte sich die Grünen-Fraktionsspitze, „weder hilft das den Menschen in Gaza oder im Libanon, noch fördert es Empathie oder Solidarität.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Und wieder einmal, live und in Farbe. Der Hass auf Juden wird immer weniger verbrämt.

    Wer "Hamas, Hamas" ruft oder den Widerstand im Libanon feiert, der feiert das Pogrom.

    Die Schreihälse wissen das und registrieren selbstredend auch, dass Hunderttausende gegen Rechts und die AfD auf die Straße gehen, für Juden und Israel allenfalls ein paar hundert.

    So ist eben die Lage. Wenn das Massaker vom 7. Oktober die Zivilgesellschaft nicht wach rüttelt, was sollte es dann können?

    Wahrscheinlich gar nichts. Und so muss man realistischerweise konstatieren, alles ist möglich.

    Die bisherigen Steigerungen des Antisemitismus haben nichts daran geändert.

    Rechnen wir also mit dem Schlimmsten.

    • @Jim Hawkins:

      Und die Bewegung ist auch noch stolz auf ihren Antisemitismus. Es wird immer unverhohlener.



      An "meiner" Uni - Columbia University in New York - wird jetzt ganz offen das Massaker vom 7. Oktober bejubelt. Am Montag begruessten mich "global intifada" Sticker ueberall auf dem Campus. Ich kann mir nur vorstellen, wie es den Juedischen Student*Innen damit ging.



      www.nytimes.com/20...YbN&smid=url-share



      Ich bin einfach nur noch fassungslos - besonders, weil viele 'linke' Kolleg*Innen dieser Rhetorik auch noch zustimmen & Tips geben wie man pro-Palaestinensische Themen in den Unterricht einbringen koennte.



      Und sollte man sich klar gegen Judenhass positioniert, ist man eben 'Zionist' & darf auch ermordet werden (siehe NYT Artikel). Gut, dass ich hier in der Taz noch von Leuten lese, die sich klar gegen Hass und Gewalt positionieren, und das Thema differenziert angehen.

    • @Jim Hawkins:

      Wenn ich es richtig verstanden habe, konnte die, beispielsweise, "Demonstration" in Frankfurt nicht verboten werden, weil ein bestimmtes Gesetz nur für die "normalen" Faschisten gilt, aber nicht für Islamo-Faschisten. Die hatten wir bisher "einfach" nicht auf dem Radar.

      Ich hoffe, dass der Gesetzgeber tätig wird und Islamo-Faschisten nicht anders behandelt werden als Faschisten. Die Bevölkerungszusammensetzung hat sich geändert und somit müssen meiner Meinung nach auch die gesetzlichen Spielräume neu definiert werden.



      Damit wäre schon etwas gewonnen.

      Noch gibt es keinen Grund aufzugeben.