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Bilanz der digitalen EinbürgerungEinbürgerung leicht gemacht

Seit einem Jahr können in Berlin die Anträge zur Einbürgerung auch online eingereicht werden. Seitdem haben sich die Zahlen mehr als verdoppelt.

Antrag digital, das Dankeschön aber noch analog: Einbürgerungsfest in Berlin Foto: Sebastian Gollnow

Berlin taz | Nam Nguyen* ist seit vier Wochen deutscher Staatsbürger. Den Einbürgerungsantrag haben der ehemalige DDR-Vertragsarbeiter und seine Frau im August online gestellt. Es hatte einige Wochen gedauert, bis sie alle notwendigen Papiere zusammen hatten. Drei Stunden brachte das Ehepaar damit zu, den digitalen Fragebogen der Einbürgerungsbehörde beim Landesamt für Einwanderung (LEA) auszufüllen und die Dokumente einzeln hochzuladen.

Mit Erfolg. Nach ein paar Wochen meldete sich ein Amtsmitarbeiter per Mail mit Rückfragen. Nachdem Nguyen diese beantwortet hatte, bekam er die Einladung zur Überreichung der Einbürgerungsurkunde. Nam Nguyen zeigt der taz das Foto der feierlichen Prozedur. Es zeigt auch: Verwaltungsvorgänge können selbst in Berlin digital und verhältnismäßig rasch abgewickelt werden.

Seit einem Jahr sind für Einbürgerungen nicht mehr die Bezirke zuständig, sondern eine zentrale Stelle im LEA. Wobei die Digitalisierung für eine enorme Zeitersparnis sorgt. Dafür hatte sich noch der rot-grün-rote Vorgängersenat starkgemacht. Das Ergebnis: Die Zahl der Einbürgerungen hat sich 2024 im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. Bis November bürgerte Berlin nach LEA-Angaben 21.000 Menschen ein. Im gesamten Jahr 2023 waren es gerade mal 9.000, davor zwischen 6.000 und 7.000 pro Jahr. Für 2025 hat sich das LEA 40.000 Einbürgerungen als Zielmarke gesetzt.

„Angesichts routinierterer Arbeitsabläufe und weiterer Personalzuwächse ist das Ziel ambitioniert, aber erreichbar“, sagt ein LEA-Sprecher zur taz. Waren in allen Bezirken zusammen nur 90 Mitarbeiter für Einbürgerungen zuständig, verfügt die neue Abteilung über 178 Stellen, die alle auch besetzt sein sollen.

Ältester Antrag seit 2016

Das hohe Tempo reicht allerdings noch nicht aus. Denn die neue Einbürgerungsstelle im LEA übernahm im vergangenen Jahr 40.000 unbearbeitete Einbürgerungsanträge von den Bezirken. Also fast doppelt so viele Fälle, wie sie 2024 bewältigen konnte. „Der älteste offene Antrag stammt aus dem Jahr 2016“, sagt der Grünen-Abgeordnete Jian Omar.

Zudem gilt seit dem Sommer ein neues Einbürgerungsrecht. Damit können Einbürgerungswillige bereits nach fünf statt bisher acht Jahren rechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland die Einbürgerung beantragen, ohne die bisherige Staatsangehörigkeit zwangsläufig aufgeben zu müssen.

Letzteres war für den 61-jährigen Nam Nguyen ein Grund, endlich Deutscher zu werden. Er lebt bereits seit DDR-Zeiten im Land. Seinen vietnamesischen Pass wollte er aber nicht verlieren, sagt er. „Darum habe ich früher nie den deutschen Pass beantragt.“

Und noch eine Erleichterung gibt es für ihn als ehemaligen DDR-Vertragsarbeiter: Wie die früheren Gastarbeiter in der Bundesrepublik muss auch er keinen Sprachtest mehr absolvieren, um Deutscher zu werden. Ob Nguyen den bestanden hätte? Er ist sich da nicht sicher. „Ich habe ja in der DDR nur vier Wochen Deutsch gelernt. Danach habe ich mein Leben lang gearbeitet und hatte keine Zeit dafür.“ Zwar hat der Imbissbetreiber im Umgang mit Kunden viel Deutsch dazu gelernt. „Aber eine schriftliche Prüfung habe ich mir nicht zugetraut“, sagt er zur taz.

Während etwa der Türkische Bund bei älteren Türken eher eine Zurückhaltung beobachtet, hat das neue Gesetz unter ehemaligen vietnamesischen Vertragsarbeitern eine regelrechte Einbürgerungswelle ausgelöst. Dies um so mehr, als in Facebook-Gruppen die Befürchtung geäußert wird, dass mit einer neuen CDU-geführten Bundesregierung die Regelungen zur doppelten Staatsangehörigkeit wieder rückgängig gemacht werden.

Insgesamt gehen beim LEA dem RBB zufolge seit dem neuen Gesetz 120 Einbürgerungsanträge pro Tag ein. Ist das nicht nur ein kurzfristiger Trend, dann sind das erneut mehr Anträge, als bearbeitet werden können.

Petra Schlagenhauf, die als Rechtsanwältin Mandanten im Einbürgerungsverfahren unterstützt, berichtet, dass viele Menschen, die 2024 einen neuen Einbürgerungsantrag stellten, so rasch eingebürgert wurden wie Nam Nguyen. „Das Problem sind die Altfälle, also diejenigen, die ihre Anträge noch bis 2023 bei den Bezirken gestellt hatten.“ Deren Anträge mussten zuerst digitalisiert werden, bevor jemand sie bearbeitete.

„Viele Altfälle fallen hinten weg, besonders dann, wenn der Einzelfall schwierig ist und sich die Mitarbeiter durch eine dicke Akte durcharbeiten müssen“, sagt Schlagenhauf. Mehreren betroffenen Mandanten wird die Anwältin zu einer Untätigkeitsklage vor dem Verwaltungsgericht raten. „Aber ein Richter sagte mir bereits, es würden rund 100 solche Klagen pro Monat eingehen.“ Für die Mandanten bedeutet so eine Klage, dass sie 800 Euro Gerichtskosten plus Anwaltskosten erst einmal auslegen müssen. Da fast alle diese Klagen aber gewonnen werden, trage am Ende das Land Berlin diese Kosten und die Mandanten bekämen das Geld zurück.

Es gibt einen weiteren Weg, die Einbürgerung zu beschleunigen: Den alten Antrag einfach noch einmal digital stellen. Grünen-Politiker Jian Omar sagt, inzwischen rate er das manchen, die ihn im Wahlkreisbüro aufsuchen, weil sie sich über die nicht erfolgte Einbürgerung beschweren. „Da müssen sie aber pro Person noch einmal 255 Euro Gebühren zahlen.“ Bei einer großen Familie sei das finanziell oft nicht möglich. „Den Grünen-Antrag, dieses Geld zu erlassen, wenn man es nachweisbar bereits beim ersten Antrag bezahlt hat, hat die Koalition leider abgelehnt“, sagt Omar zur taz.

Bei dem Abgeordneten melden sich auch viele Härtefälle, denen wegen der nicht erfolgten Einbürgerung Nachteile erwachsen. So beispielsweise ein IT-Ingenieur, der eine Stelle im öffentlichen Dienst nicht bekommen habe, weil er dafür verbeamtet werden müsse. „Wenn ich mich als Abgeordneter in solchen Fällen an die Verwaltung wende, habe ich oft Erfolg und der Fall wird vorgezogen. Aber das ist nicht immer so.“

Omar kritisiert, dass es keine Beschwerdestelle für das Einbürgerungsverfahren gibt. „Außerdem gibt es keinen geordneten Weg, die Altfälle abzuarbeiten. Das empfinden viele als ungerecht. Das muss sich dringend ändern.“

*Name geändert

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