Bilanz der Winterspiele: Es war kalt
Die Winterspiele wurden mehr denn je zum Exerzierfeld politischer Interessen. Sportlerinnen wie Yilamujiang oder Gu gerieten zwischen die Mahlsteine.
Es war kalt in Peking. Oben in Zhangjakou mussten die Athletinnen bei minus 20 Grad ihre Skier über die Loipen treiben. Es gibt angenehmere Temperaturen für Ausdauersport. Ob solche Bedingen noch vertretbar sind, wurde gefragt, nachdem etliche Läuferinnen ihre Rennen nicht beenden konnten, regelrecht zusammengebrochen sind. Die Natur hat den Wintersport an seine Grenzen gebracht. Das mag passieren, auch wenn es für die, die da laufen mussten, eine Zumutung gewesen ist. Doch es gab andere Zumutungen. Es waren eisige Spiele. Mit dem Wetter hatte das nichts zu tun.
Egal was sich die Organisatoren der Spiele für die Schlussfeier noch ausdenken, die Geschmacklosigkeit, mit der sie die Eröffnungsfeier zu einer der finstersten Stunden in der Geschichte der Spiele gemacht haben, wird unvergessen bleiben. Dinigeer Yilamujiang, eine Uigurin, entfachte das olympische Feuer. Die Botschaft war ebenso plump wie durchschaubar. Sie lautete: Was soll dabei sein, wenn eine Sportlerin aus dem Vielvölkerreich China eine der Hauptrollen im olympischen Spektakel übernimmt? Das IOC wusste vor der finsteren Party davon. Sie sei eine Olympionikin, kein Problem, hieß es. Kein Problem?
Die Eröffnungsfeier dauerte bis spät in den Abend hinein. Früh am nächsten Tag stand der Wettkampf der Langläuferin an oben in den Bergen – mindestens zwei Stunden entfernt. Nur wer vom Ausdauersport nichts versteht, wird darin kein Problem sehen. Für die Staffel wurde Yilamujiang dann gar nicht nominiert. Sie hatte ihre Schuldigkeit ja getan. Doch die Organisatoren wurden das Thema nicht los. Vier Tage vor Schluss der Spiele platzte Yan Jiarong, der Sprecherin des Organisationskomitees, auf einer Pressekonferenz der Kragen. Menschenrechtsverletzungen in der Provinz Xinjiang? „Eine Lüge.“
Klarstellung zur Taiwan-Frage
Das sowie ihre Klarstellung zur Taiwan-Frage, wonach es nur ein China geben könne, hätten das Zeug zu einem großen Skandal gehabt, nutzte sie doch ein Podium unter den olympischen Ringen für ihre Äußerungen. Das IOC hat sich ja politische Neutralität verordnet. Den Gastgebern der Spiele kam der Fall der 15-jährigen Eiskunstläuferin Kamila Walijewa da wohl ganz gelegen. Das Thema überlagerte bei der Schlusspressekonferenz von IOC-Präsident Thomas Bach alles andere.
Bach zeigte sich entsetzt darüber, wie „kalt“ die Entourage des Teenagers nach Walijewas verpatzter Kür reagiert habe, dass man sich um das Mädchen, auf dem unvorstellbarer Druck gelastet habe, nach dem Wettbewerb nicht besser gekümmert habe. Er möchte eine Untersuchung des Falles, möchte, dass herausgefunden wird, wer dafür verantwortlich ist, dass ein Herzmittel in einen Kinderkörper gelangt ist.
Beinahe hatte man das Gefühl, Thomas Bach sei wirklich am Wohlergehen von Sportlerinnen interessiert, denen aus dem eigenen Umfeld Gewalt angetan wird. Schön wär’s. Die Bilder von den Olympiaausflügen Bachs mit Peng Shuai sprechen eine andere Sprache. Die Tennisspielerin, die eine Zeit lang verschwunden war, nachdem sie in einem Social-Media-Post einen kommunistischen Spitzenfunktionär der Vergewaltigung bezichtigt hatte, wurde von Bach wie eine Trophäe durch Olympialand geführt, beinahe so, als hätte er sie persönlich gefunden und gerettet. An der Untersuchung der Vorwürfe, die sie widerrufen hat, ist er nicht interessiert. Auch das gehört zu den frostigen Geschichten.
Ausgerechnet zu Eileen Gu hat Bach die dreimalige Olympiateilnehmerin Peng Shuai geführt. Die Freestyle-Skifahrerin, die in den USA aufgewachsen ist, eine chinesische Mutter hat und sich mit 15 entschieden hat, für die Volksrepublik zu starten, war eines der Gesichter der Spiele. Als Sportlerin schier unschlagbar, als Werbefigur so reizvoll, dass sie in China und den USA so viel verdient wie noch nie eine Athletin aus dieser Nischensportart zuvor. Während der Spiele konnte man die Versuche beobachten, die Doppelolympiasiegerin regelrecht zu zerreißen.
„Das arme Mädchen“
Patriotische US-Journalisten fragten immer wieder, ob sie noch Staatsbürgerin der USA sei. Gu, die weiß, dass normalerweise keine andere Staatsbürgerschaft haben darf, wer den Pass der Volksrepublik besitzt, blieb nichts anderes übrig, als der Frage auszuweichen. Prompt wurde sie als Propagandamaskottchen der Chinesen verunglimpft. Dass auch sie mit ihren 18 Jahren noch ein Teenager ist, bewahrte sie nicht vor der politischen Instrumentalisierung ihrer Biografie.
Eine Politisierung sahen auch russische Journalisten im Umgang westlicher Medien mit dem Fall Walijewa. „Das arme Mädchen“, von dem immer die Rede war, ist für etliche von ihnen nicht viel mehr gewesen als ein Werkzeug für ihre Storys über den Kampf der russischen Sportwelt mit dem Westen. Westliche Journalisten, die in Walijewa kein Mädchen, sondern ein Laborprodukt aus Putins Dopingwerkstätten sahen, lieferten da Vorlagen, die die Gegenseite aufgenommen hat. Wundern muss man sich gewiss nicht, dass bei dieser Weltenlage eine derart kalte Atmosphäre herrschte in Peking.
Klar, es gab auch Sport. Und den Deutschen wurde mit dem Sieg der Langlaufstaffel der Frauen ein olympischer Moment geliefert, der bleibt. Sportsgeist, auch davon gab es jede Menge. Unterlegene gratulieren Siegern. Nur wenn das so ist, funktioniert der Sport. Das IOC braucht es dafür nicht, auch wenn Thomas Bach in der Umarmung zweier Trickski-Akrobaten auf der Aerials-Schanze gar den olympischen Geist erkannt haben will. Der russische Bronzemedaillengewinner Ilja Burow und der Zweitplatzierte Oleksandr Abramenko aus der Ukraine hatten sich nach dem Wettkampf umhalst.
Gewiss eine große Geste in kriegerischen Zeiten, die zeigt, welche Reichweite Bilder von der olympischen Bühne haben können. Doch so herzerwärmend diese Geste auch war, es ist kalt geblieben in Peking. Eiskalt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour