Bilanz der Fahrradstaffel: Scheuklappen unterm Helm
Die Fahrradstaffel der Polizei ist seit einem Jahr auf der Straße. Offenbar macht sie vor allem Radfahrern das Leben schwer. Kritik daran kommt von den Piraten.
Genau ein Jahr ist es nun her, dass die Berliner Polizei die Pedalkraft für sich entdeckte: 20 BeamtInnen fahren seither mit neongelben Oberteilen und silberfarbenen Helmen auf dem Fahrrad durch die Innenstadt. „Jetzt wird die Polizei den Radfahrern eher auf Augenhöhe begegnen“, verkündete Verkehrsstaatssekretär Christian Gaebler (SPD) bei der Vorstellung der sogenannten Fahrradstaffel.
Nun zeigt die Statistik: „Auf Augenhöhe begegnen“ ist eine freundliche Umschreibung für „auf dem Kieker haben“. Denn wie aus der Antwort der Innenverwaltung auf eine Anfrage der Piraten hervorgeht, werden vor allem die Radfahrer von der Staffel zur Kasse gebeten.
Schon an der Zahl der aufgenommenen Regelverstöße wird der Unterschied deutlich: Zwischen Juli 2014 und Mai 2015 wurden Autofahrer in rund 1.200 Fällen von der Fahrradstaffel zur Rede gestellt – meist weil sie in zweiter Reihe, auf Radstreifen und -wegen hielten oder parkten, aber auch wegen Abbiege- oder Vorfahrtfehlern. Für die Bußgeldkasse bedeutete das in diesem Zeitraum ein Plus von rund 32.000 Euro.
330.000 € Radler-Bußgeld
Bei den Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung, die von Radfahrern begangen wurden, sieht die Bilanz der Staffel ganz anders aus: Rund 5.000 wurden registriert. Meist war es das Überfahren von roten Ampeln, auch das Fahren auf Gehwegen oder auf Radwegen entgegen der Fahrtrichtung gehörten dazu. An Bußgeldern kamen dadurch sogar 330.000 Euro zusammen, allein 270.000 Euro für die „Rotlichtdelikte“.
Verlassen hat der Fleiß die radelnden Ordnungshüter dagegen beim Aufspüren von Infrastruktur, die den Radverkehr gefährdet oder behindert – wie problematische Verkehrsführungen, Fahrbahnschäden oder Sichtbehinderungen. Ganze 12 Meldungen machten sie.
All das findet Pirat Andreas Baum, der die Anfrage gestellt hatte, befremdlich: Schließlich seien „fehlende, unterdimensionierte oder zugeparkte Radwege und unsinnige Radverkehrsführungen“ genauso wie das Fehlverhalten von Autofahrern die größten Gefahren, denen Berlins Radler ausgesetzt seien. Die Fahrradstaffel kümmere sich aber viel weniger darum als um die „Sanktionierung des Radverkehrs“.
Fünfmal so viel festgestellte Verstöße von Radfahrern wie von Autofahrern und sogar zehnmal so viele Bußgeldeinnahmen: „Ein Verhältnis, das an der Realität auf der Straße völlig vorbei geht“, findet Baum. Dass die Staffel kaum Mängel an Radverkehrsanlagen registriert habe, sei „angesichts der teilweise katastrophalen Zustände ein echtes Kunststück. Die Scheuklappen scheinen gut zu sitzen.“
Die Kritik will man bei der Polizei so nicht stehen lassen: Es sei eben schwierig, mit dem Fahrrad Autofahrer zu jagen, meint Andreas Tschisch, Sachbereichsleiter Verkehr im Stab des Polizeipräsidenten. Dafür seien andere Einheiten zuständig. „Wir haben keine Scheuklappen, sondern machen, was ein Polizist auf einem Fahrrad in der Lage ist zu tun.“
Laut Tschisch wurde die Fahrradstaffel durchaus konzipiert, um Gefahren zu reduzieren, die durch den Radverkehr entstehen. Zudem verzerrten die dokumentierten Ahndungen – wie die verhängten Bußgelder – den Blick. Die Staffel werde oft unterhalb dieser Schwelle tätig. Sprich: Ein in zweiter Reihe haltender Autofahrer, der auf Ansprache hin sofort weiterrollt, taucht in der Statistik nicht auf.
Problem „Berliner Linie“
Der Piraten-Anfrage ist es auch zu verdanken, dass eine in der Öffentlichkeit wenig bekannte Dienstanweisung der Polizei wieder in den Fokus gerät: die „Berliner Linie“ beim Umgang mit Falschparkern. Laut Innenstaatssekretär Bernd Krömer handelt es sich um „Abwägungskriterien als Grundlage eines einheitlichen polizeilichen Einschreitens“, die man 1978 als Reaktion auf einen BGH-Beschluss erarbeitet habe.
Gemäß dieser „Linie“ lässt man Lieferfahrzeuge in zweiter Reihe parken, wenn das „Interesse des Parkenden an der durchzuführenden Lieferung objektiv gegenüber dem Interesse des Fließverkehrs überwiegt“, aber auch weitere Kriterien erfüllt sind, etwa dass links neben einem haltenden Lkw noch eine Fahrspur frei bleibt.
Eine Anpassung dieser Kriterien an die neue Realität von Radstreifen, von denen 1978 niemand zu träumen wagte, hat offenbar nicht stattgefunden.
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