Biennale aktuelle Fotografie: Ablenkungsmanöver der Fotografie
Die Foto-Biennale „The Lives and Loves of Images“ ist ärgerlich unpolitisch und schrecklich medienreflexiv. Ein virtueller Rundgang.
Die Fotografie als Medium versteht es, die vielschichtigen Bedingungen der Entstehung ihrer Bilder hinter deren Gegenstand zu verbergen. Diese Verführung zum Kurzschluss bei den Betrachter*innen der Bilder haben bereits Bertolt Brecht und Walter Benjamin als „Bilderanalphabetismus“ beschrieben. Das meint, schreibt der Kunsthistoriker Georges Didi-Huberman, „wenn die vorgefassten Ideen – die Repräsentationen – uns daran hindern, schlicht und einfach anzusehen, was sich vor unseren Augen präsentiert“. Die diesjährige Biennale für aktuelle Fotografie wollte einmal mehr auf diese „Ablenkungsmanöver“ und „Manipulationsversuche“ der Fotografie verweisen.
Unter dem Titel „The Lives and Loves of Images“ subsummierte der Kurator David Campany eine Vielzahl überwiegend zeitgenössischer Positionen in sechs thematischen Ausstellungen in Mannheim, Heidelberg und Ludwigshafen. Sie im Ausstellungsbesuch zu erfahren, verhindern nun die Restriktionen aufgrund der Coronapandemie. Was bleibt, ist ein virtueller Rundgang durch die Biennale.
Ikonen der Dokumentarfotografie
Im Forum Internationale Photographie & Zephyr – Raum für Fotografie in den Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim war vor der Schließung „Reconsidering Icons“ zu sehen. Die großformatigen Arbeiten des Schweizer Duo Cortis & Sonderegger sind gut im Netz zu betrachten: Sie präsentieren Repliken berühmter Fotografien in Form von abfotografierten Tischmodellen. Mit offensichtlichen Miniatur-Rekonstruktionen von Nicéphore Niépces „La cour du dumaine du Gras“ (1826) oder Robert Capas „Death of a Loyalist Militiaman“ (1936) verweisen sie darauf, dass auch diese Ikonen der Dokumentarfotografie weniger zufällige Schnappschüsse als vor allem gelungene Kompositionen sind.
Der fotografische Konstruktionscharakter steht auch in „When Images Collide“ im Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen im Zentrum. Die im Titel suggerierte Frage, was passiert, wenn Fotografien aufeinandertreffen, wird leider nicht ernsthaft durchdekliniert. Besucher*innen sehen hier lediglich ein Nebeneinander von Arbeiten wie John Stezakers formalistische Postkartencollagen, die schlichten Doppelporträts von Christoph Klauke oder Martina Sauters Kombinationen von Standbildern populärer Filme mit eigenen Fotografien.
Die Ausstellung verpasst ihr emanzipatorisches Potenzial, denn der Titel ließ gesellschaftsrelevante Fragestellungen und Gegenstände erwarten: sich diametral gegenüberstehende Wirklichkeitsbilder beispielsweise. Eine Auseinandersetzung mit solchen stellt nicht erst in Zeiten von Alternative Facts und konkurrierenden Diagrammen eine wichtige Aufgabe dar.
Der Kontext verschiebt sich
Im Heidelberger Kunstverein demonstrieren Thomas Ruff, Clare Strand, Sebastian Riemer und Stanley Wolukau-Wanambwa in „Yesterday’s News Today“ die künstlerische (Um-)Nutzung von Pressefotografie.
Das beinhaltet nun auch die Frage, anhand welcher Bilder sich wohl an die Coronakrise erinnert werden wird. Hier kommen auch die Rückseiten der Abzüge in den Fokus der Aufmerksamkeit. Das macht sie als gleichwertige Informationsträger sichtbar und verdeutlicht, wie sich mit Kontextverschiebungen und unterschiedlichen Blickwinkeln fotografische Bedeutung neu generieren lässt.
„Between Art and Commerce“ im Port25, Raum für Gegenwartskunst in Mannheim, hält auch ohne Krise und trotz eines etwas abgenutzten Themas Entdeckungen bereit. So etwa Abzüge des deutschen Fotografen Hein Gorny, der in den 1930er Jahren Werbekampagnen für Unternehmen wie Bahlsen, Pelikan oder AEG fertigte. In ihnen wird die bildliche Inszenierung industrieller Reihung und Massenanfertigung deutlich. Trotz fehlender historischer Kontextualisierung fungiert Gorny als Sozialfigur einer fotografischen Ästhetisierung des Fordismus.
Damit schließen seine Bilder gekonnt an die großformatig gerahmten Fotografien des niederländischen Duos Schelten & Abbens an. In ihren abstrakten Produktfotografien, etwa für die Modemarke COS, entwickeln sie eine kompositorische Strenge, die wiederum mit den nüchternen schwarz-weißen Aufnahmen des Konzeptfotografen Christopher Williams in Dialog treten.
„Walker Evans Revisited“
So kann die Rolle der Fotografie im Prozess ihrer Verdinglichung im Warenkapitalismus reflektiert werden. Die Möglichkeit einer gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung mit Fragen der Sicht- und Darstellbarkeit von Arbeit und Klasse ist vor allem in der auch virtuell wirklich gelungenen Ausstellung „Walker Evans Revisited“ (Kunsthalle Mannheim) gegeben: Dort sind vor allem die in den 1930ern entstandenen berühmten Aufnahmen prekärer Lebenslagen in den USA der Weltwirtschaftskrise zu sehen.
Auf Säulen im Raum präsentiert, werden sie mit zeitgenössischen (Re-)Inszenierungen und Bezugnahmen an den umliegenden Wänden konfrontiert. Die so entstandenen Blickachsen, die gesellschaftliche Kontextualisierungen erlauben und vergleichendes Sehen fördern, gehen im virtuellen Raum leider mehr oder weniger verloren. Die mehrteilige Biennale ist ärgerlich unpolitisch und vor allem eins: schrecklich medienreflexiv. Derart selbstgenügsam ähnelt sie ihrem Kurator: Dieser sah offensichtlich keine diskursive Notwendigkeit darin, dem Ausstellungskatalog neben eigenen Texten auch solche weiterer Theoretiker*innen hinzuzufügen.
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