Biennale „Socle Du Monde“: Wo Manzoni in der Fabrik arbeitete
Im dänischen Herning sammelte der Hemdenfabrikant Aage Damgaard Zero-Kunst. Eine Schau zeigt sie in Verbindung mit neuen Positionen.
In diesen Zeiten wird schnell mal aus einer Biennale eine Triennale. Niederzwingen lässt man sich aber nicht im dänischen Herning, folgt lieber dem beziehungsreichen Motto „Welcome back my friends to the show that never ends“ (nach Emerson, Lake and Palmer) und feiert feine Zero-Kunst in Verbindung mit aktuellen künstlerischen Positionen, hervorragender Architektur und einem dicht mit Skulpturen bestückten Waldpfad.
Die Kleinstadt Herning auf Jütland war einst das Zentrum der dänischen Textilindustrie. Das ist vorbei. Der erfolgreiche Hemdenfabrikant Aage Damgaard hat den Niedergang mitvollzogen, seiner Leidenschaft für die zeitgenössische Kunst konnte das nichts anhaben. Ihn interessierten hauptsächlich die Zero-Künstler, allen voran Piero Manzoni.
Er lud ihn Anfang der sechziger Jahre zu sehr speziell auf seine persönliche Philosophie abgestimmten Residencies ein. Denn der radikale Avantgardist und Adelsspross musste in dieser Zeit in der Fabrik Damgaards arbeiten und die Kunstwerke, die während seines Aufenthalts entstanden, wanderten ohne Umschweife in die Sammlung des Mäzens.
Manzoni starb 1963 mit noch nicht dreißig Jahren, Damgaard erwarb weiterhin, was der Markt hergab, sodass sich die weltweit größte Manzoni-Sammlung im Herzen Jütlands befindet, ergänzt durch bedeutende Werke seiner Zero- und Arte-Povera-Mitstreiter und der Künstler, die sich nach dem zweiten Weltkrieg für eine Erneuerung der künstlerischen Bildfindung und -sprache einsetzten, jenseits von artigen Abstraktionen, expressiven Farbexperimenten oder gar beseelten künstlerischen Empfindungsbelegen.
Museumsgebäude für aufmüpfige Avantgarde
Für diese Avantgarde, für den ruhelosen Manzoni, für den ebenfalls jung verstorbenen Francesco Lo Savio, für Agostino Bonalumi, Enrico Castellani, für die Künstlerin, die sich Dadamaino nannte, und all die anderen Aufmüpfigen erfand der amerikanische Stararchitekt Steven Holl ein originelles, dabei gut bespielbares Museumsgebäude mit einer Außenhaut, die frappierend an die Struktur von zerknittertem Hemdenstoff erinnert.
Socle du Monde, bis 30. Oktober,Herning, Dänemark
Es ersetzte die nicht mehr zeitgemäßen Strukturen des 1977 gegründeten Herning Museum of Contemporary Art – HEART. Museumsleiter Holger Reenberg ist nun, da die konservatorischen und versicherungstechnischen Voraussetzungen erfüllt werden, in der Lage, wichtige Kunstwerke nach Herning einzuladen.
Bis dahin war das eine von internationalen Häusern zwar viel genutzte, aber eben nur in eine Richtung funktionierende Einbahnstraße. Das Holl-Gebäude bildet zusammen mit der runden ehemaligen Produktionshalle und dem 1976 errichteten Museum für die Sammlung der Künstler Carl-Henning Pedersen und Else Alfelt ein stimmiges Ensemble, auch wenn einem das Treiben von deren riesig-bunten Trollen auf ihren CoBrA-Murals erst mal einen Schlag versetzt.
Als Herzstück der Biennale wurden die Exponate zusammen mit Leihgaben neu arrangiert, wobei der Aspekt der gegenseitigen Inspiration, der gemeinschaftlichen, oft sorgfältig geplanten, manchmal auch schön aus dem Ruder laufenden Auftritte in den Vordergrund rückt.
Fibonaccireihe in neon
Zu den vielen ikonischen Werken der Sammlung gehört auch eine neonstrahlende Fibonaccireihe von Mario Merz (Sinnbild für die Gesetzmäßigkeiten des Wachstums: Jede Zahl ist die Summe der beiden vorangegangenen Zahlen, also eins und eins gleich zwei, eins und zwei gleich drei und so weiter) – und natürlich Manzonis Socle du Monde.
Der auf den Kopf gestellte Bronzewürfel, der die Welt, den Globus zum Kunstwerk erklärt, ist Namensgeber der Biennale. Goldfarben ausgekleidete Kabinette geben dem rohen Arte-Povera-Material, etwa den Arbeiten von Jannis Kounellis, eine kostbare Anmutung. Pistolettos Orchestra di Stracci ergötzt mit schallendem Pfeifkonzert der Wasserkessel in einem Lumpenkreis.
Das collagierte Foto seiner nackt und eher gemütlich als lasziv hingestreckten, Pfeife rauchenden Venus mit haarigen Männerfüßen, angebracht an der weithin sichtbaren Museumsfassade, irritierte prompt. Es gab Anweisung, Nippel und Schoß der Frau irgendwie zu bedecken. Alles viel zu gefährlich, für Mann und Verkehr und überhaupt. Nun gibt’s halt drei kreisrunde Punkte auf dem monumentalen Plakat.
Am Stadtrand, unweit der Ausstellungsgebäude überragt ein brutalistisches Hochhaus, die ehemalige Volkshochschule, buchstäblich alles. Die aus einem Open Call kuratierten Arbeiten junger Künstler haben hier einen schweren Stand im Kontext des beeindruckenden Statements der original erhaltenen Architektur aus den radikal modernistischen Siebzigern.
Museum für örtliche Textilindustrie
Ähnlich, aber versöhnlicher verhält es sich mit den Arbeiten in dem weitläufigen Textilmuseum im Zentrum der Stadt. Zwischen Maschinen und Schaukästen, die die Hervorbringungen der örtlichen Textilindustrie dokumentieren, überrascht aktuelle Textilkunst. Rätselhaft und einprägsam auch der rechteckige grobe Holzblock mit den vier entzückenden Puppenmäntelchen als Eckkantenschoner von dem New Yorker Charles LeDray.
Ganz oben in einem Kirchturm wartet ein mit dem typischen Gewebe aus recycelten Flaschenverschlüssen von dem ghanaischen Künstler El Anatsui farbstark und feierlich ausgekleideter Raum – Arte Povera mit exquisitem Ergebnis.
Und über die gesamte Stadt verteilt hat Jaume Plensa 21 schmale Aluminiumtüren an Hauswände installiert. Auf jeder ist ein Artikel der 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verkündeten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte eingraviert.
„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen“, so beginnt sie im ersten Artikel. Die Türen werden auch später noch an die 8. Biennale von Herning erinnern, die so niemals ganz endet.
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